Ein doppeltes Wunschpferd hat es in sechs Jahren Mein Pferd noch nicht gegeben. Aber die Tölt-Premiere von Kandidatin Nicole Schapmann fiel buchstäblich ins Wasser. Deshalb lud die Islandpferde-Reiterin Marion Böckels sie für unsere Novemberausgabe 2012 zu einem Strandritt nach Oostkapelle (NL) ein. Am Strand reiten Malerische Dünenkämme, die Ränder von bunten Strandhäuschen gesäumt. Linker Hand ragt in der Ferne der Leuchtturm von Domburg gen Himmel, rechter Hand sind – so weit das Auge reicht – nur Sand, Meer und Wellenbrecher zu sehen. Mit einer Länge von rund 4,5 Kilometern gehört der Strand von Oostkapelle auf der Halbinsel Walcheren (Provinz Zeeland) zu den längsten der Niederlande – wirken die wenigen Touristen, die jetzt noch den knapp 2.500 Einwohner zählenden Badeort besuchen, als wären sie hier wie vereinzelte Muscheln auf dem Nordseesand verteilt worden.
Der Traum vom Isländer Rückblende, eine Woche vorher: Die 26-jährige Nicole aus Kerpen bangt um ihren Wunschpferd-Termin. Ein Jahr zuvor hatte sich die Kauffrau im Groß- und Außenhandel bei uns beworben, weil sie noch nie auf einem Isländer gesessen hatte – trotz 17 Jahren Reiterfahrung. Nun soll es auf dem Windhof so weit sein, wenn der Wettergott mitspielt. Ab mittags sollen laut Vorhersage Starkregen und Sturmböen einsetzen, die Temperaturen daraufhin um zehn Grad sinken. Wir überlegen, den Termin zu verschieben, wagen es aber zu guter Letzt, dank Marions Optimismus, doch Als wir aus dem Auto steigen, pfeift uns der Wind um die Ohren, und der Himmel ist so schwarz, als ginge jeden Moment die Welt unter.
Die Schulterfreiheit zum Tölten ist das A und O Marion erteilt Nicole auf die Schnelle einen Crashkurs in Tölt-Grundlagen: Tendenziell werden Isländer weiter hinten gesattelt als Großpferde, um ihnen mehr Schulterfreiheit für den Tölt zu geben. Die Sitzfläche soll sich genau auf dem Mittelpunkt zwischen Widerrist und Kruppe befinden. So wird die Vorhand nicht unnötig belastet. „Je weiter du vorne sitzt, desto mehr wird der Bewegungsapparat der Vorhand eingeengt“, erklärt Marion der aufmerksam zuhörenden Nicole. Aufsteigen soll sie parallel zum Sattel, ohne sich zu drehen, um den Rücken des Pferdes zu schonen. Dann beschreibt uns Marion, welchen Feldweg sie nehmen werden. Wir preschen mit dem Auto zum Treffpunkt. Dort angekommen, positionieren wir uns mit Fotoapparat, Schreibutensilien und Videokamera an der Weggabelung – genau in dem Moment, als der Himmel seine Schleusen öffnet. Binnen zwei Minuten sind wir nass bis auf die Haut. In der Ferne sehen wir zwei Punkte, einer davon trägt eine rote Jacke – und strahlt. Nicole genießt ihren Tölt bei isländischen Wetterbedingungen in vollen Zügen und flitzt unbeirrt unter tiefhängenden schwarzen Wolken übers Feld. Es fiel ihr relativ leicht, die Hilfengebung für den Tölt umzusetzen, verrät sie uns später. „Marion hat mir alles ganz genau erklärt. Zuerst die Zügel etwas kürzer fassen, um den Schritt zu verkürzen. Die Hinterhand soll vermehrt unter den Körper treten. Dann kommen noch minimale Schenkelhilfen hinzu.“ Das Gefühl sei mit dem Trab auf ihrer 6-jährigen Rheinländer-Stute Terra X, mit der sie Dressur und Springen (Klasse A) reitet, nicht zu vergleichen. „Wie auf einer Couch!“, schwärmt sie. „Man wird im Tölt nicht – wie im Trab bei einem Großpferd – ständig aus dem Sattel geworfen.“ Tölten: Die Bauchmuskeln als Gaspedal Außerdem hätte sie sich gut darauf einlassen können, dass das Tempo anders reguliert wird. „Anders als bei anderen Reitweisen arbeitet man nicht so stark über den Schenkel“, fügt Marion hinzu. „Stattdessen muss man, wenn man zügiger reiten will, tiefer einsitzen und die Bauchmuskeln anspannen.“ Mühelos könnten die töltenden Isländer dann ein anderes Pferd im Galopp jagen, meint sie stolz. Nicole wünscht sich derweil, das Erlebnis bei schönem Wetter noch einmal zu wiederholen. „Klar, man blendet den Regen fast aus,“ meint sie. „Aber ich möchte auf alle Fälle sporadisch immer mal wieder tölten!“ Die Gelegenheit soll sich in nur sieben Tagen bereits wieder bieten. Marion hat Mitleid mit Nicole und bietet ihr spontan an, nach Oostkapelle zu kommen. „Nimm dir Urlaub und besuch uns“, schlägt sie vor. „Dann reiten wir beide auf unseren Isländern am Strand.“
Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen Beide Pferde seien hundertprozentig richtig für ihren ersten Tölt ausgewählt gewesen. Allerdings hat Nicole das Gefühl, Marions Hilfen noch besser umsetzen zu können als letzte Woche. Auch Marion ist beeindruckt: „Sie lernt wirklich schnell. Ich kenne viele, die mehr Probleme mit der Hilfengebung und dem tiefen Sitz haben.“ Nicole war zwar aufgeregt, hat sich aber trotzdem getraut, weiterzugehen als beim letzen Mal. „Ich habe mehr mit meinem Körper gespielt“, erzählt sie. „Durch die wachsende Sicherheit habe ich mehr ausprobiert, mich gefragt, was passiert, wenn …?“ Auf jeden Fall möchte sie weiter Isländer reiten, das ist nach dem heutigen Tag beschlossene Sache. „Letzte Woche durfte ich das Sahnehäubchen des Reitens probieren“, meint sie lachend. „Und heute, das war die Kirsche auf der Sahne! «Mein Fazit» Auf der Terrasse des Strandcafés von Oostkapelle zieht Nicole Bilanz: „Alles, was ich über Isländer gehört habe, hat sich bestätigt. Sie sind ruhig, lieb und gehen mit einem durch dick und dünn. Das Tölten ist mir beim zweiten Mal leichter gefallen, die Hilfen konnte ich leichter umsetzen.“ Islandpferde-Gestüt Windhof Ihre Leidenschaft für Isländer führte dazu, dass Marion und Udo Böckels vor sieben Jahren auf dem Windhof zwischen Düren und Jülich (NRW) begannen, diese Pferde zu züchten. Für ihre Isländer, zurzeit acht an der Zahl, haben sie den Außenbereich des Gestüts mit viel Aufwand umgestaltet. Die Pferde haben auf großzügigen Bewegungspaddocks ausreichend Platz und Herdenanschluss. Ein Teil der Pferde nimmt regelmäßig erfolgreich an Islandpferde-Turnieren teil. Marion und Udo taten sich im Jahr 2004 mit anderen Islandpferde-Freunden aus der Region zusammen: Sie gründeten den Verein „Isi-Rider Rurtal“. www.islandpferdegestuet-windhof.de (Fotos: Ilja van de Kasteele)