Ein Offenstall ist für jedes Pferd die beste Lösung, und Hengste müssen immer isoliert von anderen Pferden gehalten werden? Es ist Zeit, mit Irrtümern in der Pferdehaltung aufzuräumen und vier wichtigen Fragen rund um das Pferdeleben genauer auf den Grund zu gehen

Hauptsache Offenstall?

Entspannte zufriedene Pferde, die Tag und Nacht Kontakt zu Artgenossen haben und sich frei bewegen können. Ein Offenstall ist der Traum eines jeden Vierbeiners, oder? Für die meisten Pferde trifft das zu, doch in manchen Fällen kann die Offenstallhaltung zur echten Belastung werden

Moderne Offenstallkonzepte sind stark auf die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes ausgerichtet. Da sie eine artgerechte Haltung, Fütterung sowie ein normales Sozialverhalten ermöglichen, können zum einen Verhaltensstörungen, aber auch Erkrankungen reduziert werden. So sinkt beispielsweise das Risiko für fütterungsbedingte Koliken, und die vermehrte Bewegung wirkt sich positiv auf Stoffwechsel, Herz-Kreislauf-System und Bewegungsapparat aus. Das gilt natürlich nur, wenn auch im Offenstall die Bedingungen stimmen. Stehen die Pferde ständig im Matsch oder gibt es keinen  Rückzugsort beziehungsweise zu wenig Platz, dann sind Probleme vorprogrammiert. Diese Haltungsform stellt auch Anforderungen an den Stallbetreiber. Eine gewisse Erfahrung in puncto Gruppenhaltung sowie entsprechende Fachkenntnisse sind wichtig.

Nicht jedem Pferd fällt es leicht, sich in eine bestehende Gruppe zu integrieren. Hier kommt es sowohl auf die Persönlichkeit und die Erfahrungen des neuen Vierbeiners als auch auf die Pferde in der Gruppe an. Im Offenstall treffen einfach verschiedene Individuen aufeinander, und wie es so oft im Leben ist, kann es durchaus zu Spannungen kommen. Stallbetreiber und Pferdebesitzer tragen hier die Verantwortung, dass eine passende Gruppe ausgewählt wird und das Pferd nicht einfach ins kalte Wasser geschmissen wird, sondern es entsprechend eingegliedert wird. Das kann zum Beispiel über eine geschützte Paddockbox mit sicherem Zaun zum restlichen Bereich geschehen. Stress sollte immer ernst genommen werden. Warum ein Pferd im Offenstall gestresst ist, kann unterschiedliche Gründe haben. So haben es zum Beispiel rangniedere Pferde häufig schwer, sich einen Platz an der Futterstelle zu sichern. So nehmen sie nicht genug Raufutter auf. Das darf nicht erst auffallen, wenn der Vierbeiner abmagert. Auch eine zu geringe Anzahl an Wasser- beziehungsweise Futterstellen oder ein zu kleiner geschützter Ruhebereich sind ein Stressfaktor. Kann das Pferd sich nicht zurückziehen, nicht ruhen, schlafen, ausreichend fressen oder trinken, dann steht es ständig unter Strom und verliert gleichzeitig Kraft und Energie. Wer beobachtet, dass sein Pferd in der Herde gemobbt und von bestimmten Plätze vertrieben wird, sollte die Situation umgehend mit dem Stallbetreiber besprechen. Es ist wichtig, dass jeder Futterplatz und jeder Unterstand zu jeder Zeit und von jedem Gruppenmitglied ohne Stress aufgesucht werden kann. Es gibt diverse Möglichkeiten, Konflikte im Offenstall zu lösen – von mehreren Heunetzen bis hin zu einer anderen Gruppenzusammenstellung. Oft bringt es schon etwas, wenn das Pferd nicht alleine ist, sondern einen Artgenossen als Kumpel an seiner Seite hat und so Schutz und Sicherheit erfährt. Dennoch gibt es Pferde, die nie gelernt haben, sich in ein Herdengefüge einzuordnen. Je nach Alter, Charakter und möglicherweise negativen Erfahrungen kann eine andere Haltungsform die bessere Wahl sein. Andere Vierbeiner fühlen sich im Offenstall einfach nicht wohl. Vielleicht, weil sie es nicht mögen, dem wechselnden Wetter ausgesetzt zu sein, oder weil sie einfach eher der Typ Einzelgänger sind. Auch das kommt vor, und kein Pferd sollte zu einer Haltungsform gezwungen werden.

Fliegender Wechsel ohne Probleme?

Größere Boxen, viel Raufutter, eine Halle mit bestem Boden, ein tolles Ausreitgelände und ein Reitplatz mit Hindernissen – der neue Stall scheint ein echtes Paradies für Reiter und Pferd zu sein. Doch ein Stallwechsel ist für viele Pferde keine Leichtigkeit

Sind Sie schon einmal umgezogen, und haben Sie dadurch Freunde zurücklassen müssen und das Gefühl gehabt, Ihr Zuhause zu verlieren? Auch Pferde sind sehr soziale Lebewesen, die Beziehungen zu Artgenossen aufbauen und sich an ein Umfeld gewöhnen. Diese Gewohnheit gibt ihnen Sicherheit. Sie wissen, welcher Vierbeiner neben ihnen steht, mit wem sie Paddock oder Weide teilen und mit wem sie öfter mal eine Runde ins Gelände gehen. Sie kennen die Abläufe des Stallbetriebes ganz genau, von den Fütterungszeiten bis hin zum Weidedienst. Sie können die Geräusche, Menschen und Artgenossen einschätzen.

Über einen Stallwechsel entscheiden wir Menschen. Wir fragen unser Pferd vorher nicht nach seiner Meinung. Daher ist es wichtig, sich bewusst zu machen, was ein Wechsel des (sozialen) Umfelds für den Vierbeiner bedeuten kann. Es gibt durchaus Pferde, die sehr sensibel auf die Veränderungen reagieren – von Anspannung und Stress über Angst bis hin zu körperlichen Symptomen wie Magenproblemen. Beim Verladen am alten Stall spüren Pferde oft schon die Abschiedsstimmung. Irgendetwas ist anders. Wenn dann am neuen Stall die Hängerklappe aufgeht, wird die neue Umgebung sofort mit allen Sinnen wahrgenommen. Manche Pferde werden in der neuen Box erst einmal richtig unruhig. Sie wiehern, laufen hin und her oder drehen sich im Kreis. Als Besitzer haben wir die Aufgabe, unserem Pferd den Umzug und die Eingewöhnung so leicht wie möglich zu machen. Dazu gehört auch, in den ersten Tagen oder manchmal Wochen Stress zu vermeiden. Auch wenn die neue große Halle so einladend aussieht oder eine Menge Sprünge auf dem Reitplatz stehen, ist jetzt erst mal entspannte Bewegung angesagt. Konfrontieren Sie Ihr Pferd nicht mit mehreren neuen Situationen auf einmal. Es muss nicht direkt in die Führmaschine, in die Longierhalle und mit der Herde auf die Weide. Unterschätzen Sie zudem nicht die Sensibilität Ihres Vierbeiners. Während die einen deutliche Stresssymptome zeigen, leiden die anderen eher still und ziehen sich zurück. So kann es sein, dass ein Pferd nach dem Stallwechsel mit gesenktem Kopf in der Ecke der Box steht und wie apathisch wirkt. Nicht jedes Pferd reagiert gleich auf Veränderungen, und natürlich gibt es auch die Vierbeiner, die sich sofort eingewöhnen und wohlfühlen. Es kommt eben immer auf das Pferd an.

Bodenhaftung: Lieber in Einzelhaft?

Der Trend in der Pferdehaltung geht immer mehr in Richtung artgerechte Gruppenhaltung. Allerdings gilt das nicht für Hengste. Sie fristen ihr Dasein nicht selten eher isoliert gut geschützt in Boxen. Doch ist eine solche Sicherheitshaltung wirklich die einzige Alternative?

In freier Wildbahn leben Pferde in Gruppen. Dazu gehören auch Hengste. Sie haben das Image von den starken, kämpfenden Anführern, die ihren Rang mit aller Kraft verteidigen und ihre Stuten um sich scharen. Klar, im normalen Stallalltag können wir Hengste nicht so halten, dass sie in allen Situationen ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen und hier mal mit einem Artgenossen eine Angelegenheit etwas körperlicher klären oder da mal eine Stute decken. Dennoch sind nicht alle Hengste gleich. Es gibt durchaus Vertreter, die völlig entspannt neben Stuten stehen können und auch beim Training nicht mit der Wimper zucken, wenn eine nette Pferdelady ihren Weg kreuzt. Nicht jeder Hengst muss, nur weil er ein Hengst ist, mehr oder weniger abgegrenzt von Artgenossen stehen und alleine auf Paddock oder Weide stehen. Fehlen soziale Kontakte, dann bleibt das für das Pferd als Herdentier nicht ohne Folgen. Isolation führt zu Stress, und das kann wiederum Verhaltensstörungen wie Aggressionen verstärken.

Mit der Haltungsform für Hengste haben sich auch deutsche Forscherinnen beschäftigt. Sie untersuchten, ob Gruppenhaltung auch für Hengste möglich und erstrebenswert oder mit zu vielen Risiken verbunden sei. Heidrun Gehlen, Katrin Krumbach und Christa Thöne-Reineke werteten 50 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Hengsthaltung aus und kamen zu folgendem Schluss: Die Gruppenhaltung von Hengsten ist nicht nur möglich, sondern auch die artgerechteste Form der Unterbringung.

Was Menschen davon abhält, Hengste mit Artgenossen in Kontakt kommen zu lassen beziehungsweise sie zusammenzustellen, ist vor allem die Angst vor Verletzungen. Allerdings gibt es Möglichkeiten, diese Risiken deutlich zu reduzieren. Unter anderem durch die Erfüllung der notwendigen Anforderungen für die Hengsthaltung. Dazu gehört vor allem, dass eine ausreichend große Fläche vorhanden ist, damit sich die Pferde ausweichen können. Außerdem muss die Gruppenzusammensetzung passen, und es dürfen keine Stuten anwesend sein. Dabei gilt es auch immer den jeweiligen Charakter des Hengstes zu berücksichtigen. Das Schweizer Nationalgestüt Avenches hat es vorgemacht und gezeigt, dass Hengste unter den passenden Voraussetzungen vergesellschaftet werden können. Sie führten mehrere Zuchthengste zusammen und es kam zu keinen größeren Verletzungen. Hier und da eine Schramme lässt sich auch bei Stuten und Wallachen nicht vermeiden. Was vor allem deutlich wurde: Durch die neue Haltungsform nahm das Aggressionsverhalten der Hengste innerhalb von nur vier Tagen signifikant ab.

Erst später in die Zukunft investieren?

Eine erfolgreiche Trächtigkeit, eine reibungslos abgelaufene Geburt und ein gesundes Fohlen – dann ist das Züchterglück perfekt. In den ersten Wochen und Monaten ist die Mutterstute der Fokus des Fohlens. Es lernt nach und nach seine Umwelt kennen und wächst schließlich zu einem Jungpferd heran. Doch ein gesundes Wachstum und die richtige Entwicklung eines Fohlens ist keine Selbstverständlichkeit, sondern auch eine gewisse Herausforderung und eine echte Aufgabe. Der Züchter muss die Ansprüche des heranwachsenden Pferdes nicht nur hinsichtlich der Fütterung, sondern auch in Sachen Haltung und Umgang erfüllen. Jeder Organismus benötigt Nährstoffe, um zu wachsen. Wobei sich der Nährstoffbedarf eines jungen Tieres in vielen Bereichen maßgeblich von dem eines erwachsenen Artgenossen unterscheidet. Das heißt auch, dass die Fütterung entsprechend des Alters angepasst werden muss.

Mit der Aufzucht des Fohlens und des Jungpferdes wird der Grundstein für sein späteres Leben gelegt. Leider kann hier einiges schiefgehen. So führt ein Nährstoffmangel früher oder später zu Entwicklungsstörungen beziehungsweise generell zu gesundheitlichen Problemen. Fehlen soziale Kontakte, leidet die Psyche. Auch bei jungen Pferden kann Stress bereits eine Rolle spielen und zum Risikofaktor werden. Ein Mangel an Bewegung wirkt sich ebenso negativ aus, besonders auf den Bewegungsapparat, aber auch auf das Organ- und Herz-Kreislauf-System. Jetzt haben wir beim Pferdekauf leider keine Möglichkeit, einen ausführlichen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Wir sind mehr oder weniger auf die Aussagen des Züchters angewiesen. Es sei denn, wir haben mitbekommen, wie das Pferd aufgewachsen ist.

In jedem Fall lohnt es sich, das Thema ernst zu nehmen und sich, so weit es geht, mit der Vergangenheit des Pferdes zu beschäftigen. Gegebenenfalls sollte auch bei später auftretenden körperlichen oder psychischen Auffälligkeiten an die Aufzucht gedacht werden. Wenn ein Pferd zum Beispiel vor bestimmten Situationen extreme Angst hat, kann es sein, dass es als Fohlen und Jungpferd zu wenigen Reizen ausgesetzt war und dadurch mit neuen Situationen überfordert ist. Wer darum weiß, kann das Verhalten seines Pferdes besser verstehen und mit Geduld an die Sache gehen.

Text: Aline Müller     Foto: www.Slawik.com

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