… wohin du willst. Das Herdenverhalten von Pferden basiert auf dem Folgeprinzip und auf Respekt und Vertrauen. Unsere Expertinnen Dr. Ulrike Thiel und Jessica Tramm erklären, was wir von diesem natürlichen Verhalten lernen können
Text: Jessica Classen; Fotos: Christiane Slawik

Wie Konfuzius schon sagte: „Ein edles Pferd wird nicht aufgrund seiner Stärke, sondern wegen seines Charakters geschätzt.“ Dieser kann ebenso wie bei uns Menschen sehr unterschiedlich sein – vom dominanten zum scheuen, vom aufgeweckten zum trägen Pferd können alle Facetten vorhanden sein. Und trotzdem stehen sie in einer Herde friedlich auf einer Weide zusammen und grasen. Wir haben uns gefragt, wie so eine Herde und der Herdenverband überhaupt funktionieren und was wir Pferdebesitzer daraus lernen können, wenn wir uns mal die Zeit nehmen würden, sie zu beobachten. „Es ist sogar absolut sinnvoll, das Pferd in seinem Wesen als Herdentier und seine artspezifischen und individuellen Eigenschaften im Rahmen der Herde zu beobachten und kennenzulernen. Immerhin gibt es noch viel zu viele Missverständnisse rund um das Wesen des Pferdes“, so Dr. Ulrike Thiel, Leiterin des Instituts HippoCampus in den Niederlanden. Durch gezielte Beobachtung und dadurch resultierendes Mehrwissen können wir diese als Pferdehalter ausräumen.

„Verstehen“ heißt das Zauberwort

„Für den richtigen Umgang mit einem Pferd ist es wichtig, dass jeder Pferdehalter die Pferdesprache ganz genau versteht“, erklärt Tierpsychologin Jessica Tramm. „Man sollte darauf achten, welchen Rang das Tier in der Gruppe hat: Ist es gestresst, bekommt es genügend zu fressen, wie verhält es sich den Artgenossen gegenüber? All diese Aspekte können dann in das Training zwischen Mensch und Pferd einbezogen werden und sehr hilfreich sein. Das gilt ins Besondere für erfolgreiche Sport- und Rennpferde auf die gewettet wird.“ Die Pferdesprache zu verstehen heißt aber nicht, gleich „Pferdisch“ sprechen zu müssen. Ganz im Gegenteil, wie uns Dr. Thiel sagt: „Ich ärgere mich persönlich immer wieder über die nicht auszurottende Idee, dass wir als Mensch ‚Pferdisch‘ lernen sollen, um von unserem Pferd verstanden werden zu können. Pferde sind nicht so dumm gestrickt, dass sie nicht zu einem Dialog mit einem ungleichen Wesen fähig wären.“ Wir als Halter müssen uns also bemühen, die Fähigkeit zu entwickeln, dass wir uns in unser Pferd hineinversetzen können, um es zu verstehen. Und was könnte dabei besser helfen, als sie auf der Weide in der Gruppe zu beobachten? Nehmen Sie sich also eine Kanne Kaffee oder Tee und einen gemütlichen Stuhl und bleiben Sie mal die ein oder andere Stunde bei Ihrem Pferd und beobachten Sie sein Verhalten innerhalb der Herde. Wir sollten uns die Zeit nehmen und ihre Tagesabläufe und ihr jeweiliges Verhalten auf bestimmte Situationen kennenlernen, damit wir es in unseren Umgang mit ihnen einbeziehen und daraus lernen können. Es bringt nämlich wenig, wenn wir nur die ersten Minuten nach dem Laufenlassen beobachten.

Was wir von Pferden lernen können

Wir als Halter können vom Beobachten einer Pferdeherde nur profitieren. Ein Herdenverband lebt von der Beziehungspflege. Und genau das ist es, was auch wir beherzigen sollten, wenn wir am Stall sind: die Beziehung zu unseren Pferden pflegen – und das Tag für Tag und immer wieder. Die Beziehungen von Pferden sind ähnlich denen von uns Menschen: An manchen Tagen können es feine Nuancen sein, die uns zu Missstimmungen verleiten. An anderen Tagen kann uns dagegen selbst der größte Ärger mit anderen nicht aus der Ruhe bringen. Bei Pferden kann dies genauso sein: Auch sie haben mal gute und mal schlechte Tage; manchmal laufen sie buckelnd über die Koppel und toben sich aus – an anderen Tagen stehen sie dagegen lieber mit Abstand zur Herde ruhig auf einem Fleck und mümmeln im Gras. Wenn ein sozial aktives Pferd sich zurückzieht, sollten Sie als Halter in solchen Fällen dann im Training darauf achten, dem Pferd etwas zu bieten, was ihm Spaß macht. So kann es wieder mehr aus sich herausgehen. Andere Pferde wiederum suchen dauerhaft den Schutz der Herde und weichen anderen Pferden nicht von der Seite. Wenn Sie solch ein Verhalten bei Ihrem Pferd beobachten, sollten Sie sich nicht darüber wundern, wenn es schwierig wird, mit ihm allein ins Gelände zu gehen. Hier müssen Sie besonderen Wert auf die Vertrauensarbeit am Boden legen, damit Ihr Pferd Sie als souveräne Führungspersönlichkeit anerkennt, die ihm Schutz bietet – dann sind auch Ausritte allein kein Problem mehr. Anhand kleinster Interaktionen im sozialen Kontext können wir also interessante Informationen bekommen und sie auf unser eigenes Verhalten dem Pferd gegenüber anwenden. Zieht ein Pferd sich beispielsweise von der Herde zurück, gehen wir immer von einem sogenannten Distanzverhalten seitens des Pferdes aus, aber Jessica Tramm erklärt: „Dies nennt man auch Sozialabstand. Es ist der Abstand, auf dem sich Pferde maximal annähern dürfen. Wird dieser Abstand unterschritten, kommt es zum Ausweichen der Tiere. Im schlimmsten Fall kann es sogar zu Aggressionsverhalten kommen.“ Dieses Distanzverhalten können wir aber letztendlich sogar im Training nutzen. Bei der Bodenarbeit kann es für uns beispielsweise einfach sein, das Pferd wegzuschicken und anschließend folgen zu lassen. Wieso dies so ist, weiß Dr. Thiel: „Pferde kommunizieren im Dialog mit anderen und mit Hilfe kleinster Körpersignale, die manchmal nur Bewegungsimpulse darstellen, die wir aber nur mit Mühe wahrnehmen können. Der Körperausdruck kann dabei von freundlich bis aggressiv variieren, je nach Kontext und der persönlichen Beziehung zum Adressaten.“ Ein festes Regelwerk, nachdem Menschen und Pferde im Umgang mit- und untereinander funktionieren, gibt es nicht. „Trotzdem kommt es viel zu oft zu Fehlinterpretationen von Reaktionen der Pferde“, so Dr. Thiel. „Aus eigener Erfahrung kann ich dies bestätigen. Wir erfahren erst mehr über seine eigenen Bedürfnisse und die Feinheiten im Umgang, Ausdruck und vor allem im Dialog mit den Pferdekollegen, wenn wir unser eigenes Pferd systematisch mit seinen artspezifischen Verhaltensweisen und Beziehungen kennengelernt haben.“ Auch Jessica Tramm betont, wie wichtig es für die Pferd-Mensch-Beziehung ist, wenn wir uns auf das Verhalten der Pferde einlassen, ohne sie direkt vermenschlichen zu wollen. „Dies ist allerdings für die meisten Menschen sehr schwer. Daher sollte jeder Besitzer bei Problemen zwischen Mensch und Pferd zunächst einmal mit einem professionellen Trainer arbeiten, der sowohl auf das Pferd als auch auf den Menschen eingeht. Nur so kann das Training erfolgreich sein. Es reicht nicht aus, wenn ein Trainer allein mit dem Pferd arbeitet.“ Wir sollten deshalb immer wieder über unser eigenes Verhalten im Umgang mit dem Pferd reflektieren und gleichzeitig die Bedürfnisse des Tieres nicht aus den Augen verlieren. Durch gezielte Beobachtung und Sich-hinein-Versetzen in das Pferd kann die Beziehung zu ihm gefördert werden.

Pferde sind keine Menschen

„Generell sollten wir uns von dem Klischee der Vermenschlichung lösen und die Beziehung und den Dialog mit unserem eigenen Pferd maßgeblich fördern“, so Dr. Ulrike Thiel. Und Jessica Tramm ergänzt: „Welchen Rang die Pferde untereinander haben, welche Körpersprache sie in bestimmten Situationen benutzen und was sie auslösen, kann für die eigene Beziehung und das eigene Verhalten zum Pferd enorm wichtig sein. Nur so schaffen wir es, uns in sie hineinversetzen zu können.“ Wenn das Pferd innerhalb der Herde zeigt, dass es sehr verspielt ist, weiß ich als Reiter, dass ich es auch unter dem Sattel beschäftigen muss. Sollte das Pferd ein dominantes Verhalten an den Tag legen, muss ich als Halter aufpassen, dass das Pferd mich nicht unterbuttern will, sondern dass die Verhältnisse von Anfang an geklärt sind. Findet mein Pferd dauerhaft in einer Herde keinen Anschluss unter den Pferden, muss ich als Besitzer ihm die Möglichkeit bieten, dass es sich wohlfühlt. Hierzu stelle ich es am besten in eine andere Herde.

Nachahmung – nein, danke!

Sie werden erstaunt sein, was Sie alles über Ihr Pferd erfahren und anschließend im Training und im täglichen Umgang verbessern können, wenn Sie sein Herdenverhalten beobachten. „Im Rahmen unseres täglichen Trainings sind wir mit so vielen Aspekten beschäftigt“, führt Dr. Thiel weiter aus. „Diese eröffnen uns zwar auch einiges über das Innenleben unseres Pferdes, seine Eigenschaften und Fähigkeiten, allerdings geschieht das häufig ausschließlich im Rahmen eines Dialoges zwischen uns als Reiter und dem Pferd. Dabei gehen wir dann von unseren eigenen Wunschvorstellungen aus, etwas von ihm zu fordern. Das ist aber mehr von menschlichen Bedürfnissen geprägt und weniger pferdegerecht.“ Insgesamt sollten wir uns mehr mit der Psyche unserer Pferde beschäftigen. „Es ist sinnvoller, das Verhalten der Pferde richtig zu deuten und dann dementsprechend zu handeln, anstatt zu versuchen, ihr Verhalten nachzuahmen“, erklärt Jessica Tramm. „Es lassen sich einige Rückschlüsse auf das Verhalten gegenüber dem Menschen ziehen. So kann ich mich dann auch besser auf mein Pferd einstellen.“ Trotzdem sollten wir eines nicht aus den Augen verlieren: das Pferd als Individuum zu betrachten – sowohl innerhalb der Herde als auch beim Zusammensein mit ihm.

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