Text: Andreas Ackenheil, Rechtsanwalt Foto: Adobe Stock/ pololia
Eltern haften für ihre Kinder, Pferdehalter für ihre Pferde und Veranstalter für ihre Veranstaltung: das aktuelle BGH-Urteil Haftung für den Unfall eines Kleinkindes durch einen Pferdetritt auf einem Reitturnier
Wenn mein Pferd einen Schaden verursacht, muss ich für den Schaden aufkommen – dies ist vielen Pferdehaltern bewusst. Die Gefahr, im Umgang mit Pferden sich schnell schwer zu verletzten, ist leider nicht von der Hand zu weisen. Das noch so brave Pferd kann plötzlich auskeilen, und der im Umgang mit Pferden noch so erfahrene Reiter kann plötzlich schwer stürzen. Schmerzensgeld und vielleicht noch weitere Schadensersatzforderungen in Höhe von mehreren 100.000 Euro bedeuten dann für so manchen Pferdebesitzer den finanziellen Ruin.
Um davor geschützt zu sein, schließen viele Pferdebesitzer umfangreiche Pferdehalterhaftpflichtversicherungen ab. Kommt es zu einem Schaden durch Ihr Pferd, wird die Versicherung eingeschaltet, die sich um die weitere Abwicklung kümmern soll. Diese prüft den Sachverhalt nach den Maßgaben ihrer Eintrittspflicht. Was ist, wenn nun mein Pferd ein Kleinkind verletzt hat? Der Pferdehalter haftet für sein Pferd – aber haften nicht auch Eltern für ihre Kinder?
In seinem Urteil vom 19.01.2021 (VI ZR 194/18 und VI ZR 210/18) beschäftigte sich der BGH mit der Haftungsfrage bei einem Unfall auf einem Reitturnier, bei dem ein dreijähriges Kind zu Schaden kam. Klägerin war in beiden Verfahren die Halterin des Pferdes, welches das Kleinkind getreten hatte. Die Pferdehalterin verweigerte die Schadensersatzforderung der Eltern und begehrte die Feststellung, dass die Eltern allein für den entstandenen Schaden aufkommen müssen. Als Beklagte kamen sowohl die Eltern des Kindes als auch der Turnierveranstalter in Betracht. Nachdem sich das vorinstanzliche Landgericht Freiburg mit der Haftungsfrage beschäftigt hatte und entschied, dass die Pferdehalterin gemäß § 833 I S.1 BGB zu einem Drittel sowie die Eltern zu zwei Dritteln haften müssen, legten die Eltern des Kindes Berufung ein. Das OLG Karlsruhe sah den Fall ähnlich wie die Vorinstanz, doch teilte es die Haftungsquote anders auf. So hafteten die Eltern des Kindes, die Pferdehalterin und der Veranstalter des Reitturniers für den Schaden aus einer unerlaubten Handlung gesamtschuldnerisch gemäß § 840 I BGB.
Wer trägt die Schuld?
Zur Begründung führten die Richter aus, dass die Pferdehalterin ihren Anhänger nicht unbeaufsichtigt stehen lassen darf, der Turnierveranstalter während den Prüfungen, bei denen der Reiter nicht am Hänger sein kann, für eine ausreichende Überwachung sorgen muss und die Eltern ihr Kind auf dem Turniergelände nicht unbeaufsichtigt herumlaufen lassen dürfen.
Schutzmaßnahmen des Turnierveranstalters, um Kinder von den Anhängerparkplätzen fernzuhalten, wurden nicht getroffen. Alle Parteien legten daraufhin Revision zum Bundesgerichtshof ein. Der BGH beschäftigte sich in beiden Verfahren mit der Frage, in welcher Höhe die Gesamtschuldner haften und worauf sich die Haftung stützte.
Worum geht es in dem konkreten Fall?
Der BGH-Entscheidung liegt ein Vorfall aus dem Jahre 2014 zugrunde. Die Eltern eines dreijährigen Kindes besuchten mit ihrem Kind im Sommer ein Reitturnier in Baden-Württemberg. Das Kind näherte sich dabei einem fremden Pferdehänger, um das darin befindliche Pferd zu füttern. Aufgrund der Hitze an diesem Tag, hatten die Eigentümer des Pferdes die Laderampe des Hängers offen gelassen, damit sich die Hitze nicht im Anhänger staute. In einem unbeaufsichtigten Moment gelangte das Kleinkind an die Rückseite des Pferdehängers, stieg in den Hänger ein und wurde von dem Pferd durch einen Tritt am Kopf schwer verletzt. Das Kind hat in Folge der Schwere der Verletzung bleibende Schäden davongetragen.
Die Eltern forderten daraufhin von der Halterin des Pferdes und dem Veranstalter des Reitturniers Schadensersatz für die Heilbehandlungskosten ihres Kindes. Die Haftpflichtversicherung der Pferdehalterin lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, dass die Eltern wegen einer Aufsichtspflichtverletzung selbst für den Schaden an ihrem Kind aufkommen müssen.
Was ist ein Gesamtschuldnerausgleich?
Wurde ein Schaden durch eine unerlaubte Handlung durch mehrere Personen verursacht, so haften diese als Gesamtschuldner nach § 840 I BGB. Der Geschädigte hat folglich freie Wahl, wen er für den Schaden in Anspruch nehmen möchte. Allerdings kann der Schuldner, der den Geschädigten befriedigte, von dem anderen Gesamtschuldner gemäß § 426 I BGB Ausgleich verlangen.
Im vorliegenden Fall kommen die Eltern des Kindes, der Turnierveranstalter und die Pferdehalterin als Gesamtschuldner in Betracht. Zu beachten gilt jedoch, dass nicht alle Gesamtschuldner zwangsläufig auch zu gleichen Anteilen haften. Hat jemand schuldhaft eine Rechtsgutverletzung herbeigeführt, so trifft ihn eine alleinige Haftung im Verhältnis zu den Schädigern, die aus einer Gefährdungshaftung, wie der Tierhalter- oder Fahrzeughalterhaftung, in Anspruch genommen werden. Der Bundesgerichtshof entschied sodann für die Pferdehalterin und den Turnierveranstalter. Demnach hafteten weder die Halterin noch der Veranstalter aus § 823 I BGB wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Es war somit nicht die Pflicht der Halterin und des Veranstalters, zu verhindern, dass das Kind in den Pferdehänger gelangte. Vielmehr sei den Eltern des Kindes eine Aufsichtspflichtverletzung vorzuwerfen, da sie das Kind nicht richtig beaufsichtigt hatten. Doch was ist eine Aufsichtspflicht?
Aufsichtspflicht
Eine Aufsichtspflicht ist eine gesetzliche oder vertragliche Regelung zwischen dem Aufsichtspflichtigen und dem Aufsichtsbefohlenen. In einem Eltern-Kind-Verhältnis folgt die Aufsichtspflicht aus § 1631 I BGB. Diese gesetzliche Norm verpflichtet die Eltern unter anderem auch zur Beaufsichtigung des Kindes, um etwaige Gefahren abzuwenden.
Die Anforderungen an den Umfang der Aufsichtspflicht sind bei Kleinkindern strenger als bei älteren Kindern oder Jugendlichen. Da es sich bei dem Kind des konkreten Sachverhaltes um ein Kleinkind im Alter von drei Jahren handelte, traf die Eltern eine besondere Aufsichtspflicht, da das Kind aufgrund seiner Unerfahrenheit und wenig ausgeprägten Reife noch nicht in der Lage war, Gefahrensituationen abzuschätzen und beherrschen zu können. Das Kleinkind hätte somit einer dauerhaften Aufsicht bedurft. Diese Aufsichtspflicht hatten die Eltern vorliegend verletzt. Gemäß § 1664 BGB stand der Tochter ein Schadensersatzanspruch gegen ihre Eltern zu.
Verkehrssicherungspflicht
Zudem könnte auch dem Turnierveranstalter eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen sein. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liegt vor, wenn der Veranstalter eine Gefahrenlage geschaffen hat, durch die er grundsätzlich verpflichtet ist, die ihm notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schäden an Dritten zu vermeiden.
Bezogen auf den konkreten Fall, könnte man daran denken, dass der Turnierveranstalter die Anhängerparkplätze hätte sichern müssen, damit Unbefugte nicht in die Nähe der Pferde gelangen konnten. Eine solche Verkehrssicherungspflicht lehnte der Zivilsenat allerdings ab. Zur Begründung führte der BGH aus, dass sich der Turnierveranstalter in einem gewissen Umfang auch darauf verlassen darf, dass die anwesenden Zuschauer ihre Kinder ausreichend beaufsichtigen, um sie vor Gefahren durch die Pferde zu schützen. Der Turnierveranstalter musste somit nicht damit rechnen, dass sich ein Kleinkind unbeaufsichtigt Zutritt zu den Transportern verschafft.
Konsequenzen für die Haftungsfrage, bezogen auf den Fall
Die BGH-Richter entschieden deshalb, dass die Eltern aufgrund ihrer Aufsichtspflichtverletzung für sämtliche Kosten aufkommen müssen.
Dem Turnierveranstalter und der Pferdehalterin konnte nach Ansicht des BGH keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorgeworfen werden, da sie auf eine ausreichende Betreuung und auch Aufsicht des verunglückten Kindes durch die Eltern vertrauen durften.
Tipp vom Pferderechtsexperten Anwalt Ackenheil
Es wird deutlich, dass der Fall nicht eindeutig zu beurteilen ist und von den Einzelumständen des konkreten Falles abhängt. Aufgrund der verschiedenen Pflichten der Beteiligten stellt sich die Frage, welche Partei die größere Verantwortung trifft.
Es ist daher nicht möglich, in jedem Fall den Pferdehalter allein aus der Gefährdungshaftung des § 833 BGB haften zu lassen oder den Veranstalter aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Zwar haftet derjenige, der eine Gefahr für die Öffentlichkeit schafft, immer für Schäden, die durch die Gefahrenquelle entstehen, doch muss in manchen Fällen abgewogen werden, welche Pflichtverletzung letztlich überwiegt. So muss ein Pferdehalter zwar grundsätzlich für die Schäden haften, die sein Pferd einem Dritten zufügt, doch ist auf die Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen. Ist die Rechtsgutverletzung allerdings auf ein schuldhaftes Verhalten eines anderen Beteiligten zurückzuführen, kann die Haftungsquote aus der Gefährdungshaftung gekürzt werden oder sogar ganz entfallen. Man muss daher ausdrücklich darauf hinweisen, dass in der Praxis die Haftungsfrage nicht immer einfach zu beantworten ist, da auch immer die besonderen Umstände des Einzelfalles genauestens betrachtet werden müssen. Da mitunter mehrere Personen an dem Schadensfall beteiligt sein können, sollten man frühzeitig einen Fachmann zu Rate ziehen. Ist es zu einem Schadensereignis gekommen, empfiehlt es sich, genauestens den Unfallhergang zu dokumentieren und Beweise zu sammeln.
Ihr Spezialist für Pferderecht
Rechtsanwalt Andreas Ackenheil
Unser Experte: Andreas Ackenheil veröffentlicht als Spezialist für Pferde- recht regelmäßig in zahlreichen Fachzeitschriften und Onlineportalen juristische Fachbeiträge sowie Kommentare zu neuen Rechtsentscheidungen und hält Vorträge und Seminare. Zudem veröffentlichte der Rechtsanwalt einen großen Ratgeber für Tierrecht mit einem umfangreichen Kapitel über Pferderecht.