Echte Wildpferde gibt es in Deutschland zwar nicht mehr, doch Pferdeliebhaber haben vielfältige Möglichkeiten, Pferde auch hierzulande in freier Wildbahn zu erleben

Sie sind die bekanntesten unter den Wildpferden in Deutschland: die Dülmener. Dabei ist die Rasse kein Wildpferd im „biologischen Sinn“, sondern kann nur aufgrund seiner Haltung als „halbwild“ eingestuft werden. Sie leben heute frei im Merfelder Bruch, eine Landschaft in Nordrhein-Westfalen zwischen Borken und Dülmen. Der Merfelder Bruch ist eine idyllische, von Mooren geprägte Landschaft, welche den Pferden einen einzigartigen Lebensraum bietet.

Die erste urkundliche Erwähnung der Dülmener Pferde stammt aus dem Jahre 1316, als sich Herrman de Merfeld und Johannes de Lette das Recht auf die Jagd, den Fischfang und die wilden Pferde in diesem Gebiet sicherten. Der Merfelder Bruch gehörte bis Anfang des 19. Jahrhunderts der Familie von Merveldt. Dann fiel es durch den Reichsdeputationshauptschluss an die Herzöge von Croy. Mit dieser Maßnahme begann jedoch der Lebensraum der freilebenden beziehungsweise halbwild gehaltenen Pferde des Merfelder Bruchs zu schrumpfen. Denn die Herzöge ließen das Land beackern und nutzten den Forst als Holzquelle. Das hatte dramatische Folgen für die Pferde: Mitte des 19 Jahrhunderts gab es nur noch rund 150 Tiere.

Doch Herzog Alfred von Croy erkannte Mitte des 19. Jahrhunderts, wie brenzlig die Lage der Dülmener Wildpferde war. Dreißig Hektar bewaldetes Land des Merfelder Bruchs ließ der Adlige daraufhin einzäunen, um fortan dieses Gebiet nur noch als Refugium für die Pferde zu nutzen. Zwanzig Kleinpferde wurden dort in einem ersten Schritt angesiedelt. Die Pferde vermehrten sich sehr schnell, und die Herde wuchs immer weiter. Da bei kleinen Herden Inzucht immer gefährliche Folgen haben kann und diese Gefahr natürlich besteht, wurden nach und nach Welsh-Pony-Hengste eingekreuzt. Dadurch wurde jedoch die Robustheit der Ponys beeinträchtigt. Exmoor-Ponys und Huzulen wurden vermehrt nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund ihrer Robustheit eingekreuzt. Allerdings waren es die Koniks, welche wirklich erkennbaren Einfluss hatten. Der Hengst Nougat XII deckte über sechs Jahre in Dülmen und vererbte seine typisch mausgraue Färbung besonders deutlich.

Heute sind es um die 300 bis 400 Pferde, die im Merfelder Bruch leben. Der angenehme und ausgeglichene Charakter der Dülmener, gepaart mit ihrem Temperament und ihrer Klugheit, machen diese Tiere mit ihren 1,25 bis 1,35 Metern Größe zu guten Reitpferden. Besonders im Freizeitbereich und als Kinderponys werden die Dülmener gerne eingesetzt. Am letzten Samstag im Mai werden alle Dülmener zusammengetrieben und jeweils rund 40 Junghengste ausgemustert. Sie werden anschließend meistbietend versteigert. Das Einfangen der Dülmener Wildpferde ist Jahr für Jahr ein Spektakel, welches sich die gesamte Region nicht entgehen lassen will.

Seit Februar 1994 werden die Dülmener Pferde auf der Roten Liste der gefährdeten Nutztierrassen der GEH geführt und sind in die Gefährdungskategorie I, also als extrem gefährdet, eingestuft. Das Dülmener Pferd wurde von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) daher auch zur „Gefährdeten Nutztierrasse des Jahres 2014“ erklärt.

Przewalski-Pferde: Rückzüchtung als Landschaftspfleger

Im zum fränkischen Erlangen gehörenden Tennenlohe sind die Przewalski-Pferde eine echte Attraktion. Sie werden im Tennenloher Forst auf riesigen Flächen als Landschaftspfleger eingesetzt. Neben ihnen leben auf dem Gebiet auch einige Ziegen mit dem gleichen „Job“. Ehemals war das Gebiet als Truppenübungsplatz des US-amerikanischen Militärs genutzt worden. Heute leben dort im Naturschutzgebiet 1.800 Tier- und Pflanzenarten. Im Gebiet sind herrliche Spaziergänge möglich, bei denen man immer wieder den Tieren begegnet und diese nur eine Zaunbreite entfernt grasen. Die beste Aussicht auf alle Tiere und einen Blick bis zur Nürnberger Burg hat man von dem aufgeschütteten Wall mitten auf dem Gelände. Auch wenn dies alles einmal militärischen Nutzen hatte, ist es mittlerweile ein perfektes Ausflugsziel geworden.

Zwei Autostunden östlich von Erlangen geht es Richtung Bayerischer Wald zum „Haus zur Wildnis“ und dem Nationalparkzentrum Falkenstein in Lindberg bei Zwiesel. Dort lebt ebenfalls eine Herde Przewalski-Pferde. Mittlerweile ist der Nationalpark bekannt für seine Nachzucht der Urwildpferde. Er beteiligt sich am internationalen Arterhaltungsprogramm. Einige Pferde aus der Zucht des Nationalparks leben heute wieder in ihrer natürlichen Heimat in Kasachstan. Bekannt ist auch die Herde der Heinz-Sielmann-Stiftung in der Döberitzer Heide in Brandenburg. Mitten im Havelland liegt eine „Wildniszone“ von 3.600 Hektar, welche ebenfalls aus einem Truppenübungsplatz entstand. Auf dem Gebiet leben rund 90 Wisente und mehr als zwanzig Przewalski-Pferde wild und fast ungestört von Menschenhand, ganz im Sinne des Naturforschers Heinz Sielmann. Auch hier ist es möglich, die Tiere auf teilweise geführten Wanderungen zu erleben.

Auch in der Lüneburger Heide lebt eine Herde Przewalski-Pferde, die auf der Hornbosteler Hutweide in der südlichen Lüneburger Heide ein Zuhause gefunden hat. Przewalski-Pferde wurden erstmals vom russischen Expeditionsreisenden Nikolai Michailowitsch Przewalski beschrieben, der 1878 von einer seiner Expeditionen nach Zentralasien Haut und Schädel der in der westlichen Welt weitgehend unbekannten Pferde nach St. Petersburg mitbrachte. Besondere Kennzeichen der urtümlichen Rasse sind der kompakte Körperbau, die relativ dunkle Fellfärbung sowie die Stehmähne. Darüber hinaus treten häufig ein Aalstrich und gelegentlich leichte Streifen an den Beinen auf.

Zum Zeitpunkt seiner wissenschaftlichen Benennung Ende des 19. Jahrhunderts war das Przewalski-Pferd bereits sehr selten. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es nur noch rund 30 Individuen in menschlicher Obhut, aber nicht in freier Wildbahn. Lediglich im Prager Zoo und im Tierpark Hellabrunn in München kamen noch Fohlen dieser Art zur Welt. Das letzte freilebende Exemplar wurde 1969 gesichtet. Durch engagierte Zuchtprogramme konnte das Überleben des Przewalski-Pferdes jedoch bis heute gesichert werden, die Anzahl stieg wieder auf rund 2.000 Individuen an, von denen einige heute ausgewildert wurden oder wie die oben genannten in relativer Freiheit auch in Deutschland leben.

Koniks: ganz besondere „Pferdchen“

Koniks, die ja bereits bei der Zucht der Dülmener eine Rolle spielten, stammen ursprünglich aus Polen, sind aber auch aus zahlreichen Regionen Deutschlands nicht mehr wegzudenken. So lebt beispielsweise auf der Insel Fehmarn auf einem 35 Hektar umfassenden Gebiet um den Püttsee eine Herde. Nicht weit entfernt und ebenfalls in Schleswig-Holstein findet sich im Geltinger Birk bei Flensburg an der Ostsee eine Herde Koniks, die seit März 2002 773 Hektar mit unterschiedlichsten Vogelrassen teilt.

Seit August 2021 werden auf einem abgetrennten und eingekoppelten Teil der Niederlausitzer Bergbaufolgelandschaft „Schlabendorf Nord“ in Brandenburg vier Koniks gehalten, die per GPS überwacht werden. Ihre Aufgabe ist es, Gehölze zu verbeißen und so die Naturlandschaft für bodenbrütende Vögel attraktiv zu halten. Und selbst eine Großstadt wie Leipzig setzt mittlerweile auf den Einsatz von Koniks als Landschaftspfleger. Der Landschaftsraum des Grünen Bogens Paunsdorf mit insgesamt 120 Hektar Fläche ist das größte Projekt der Freiraumentwicklung im Nordosten der Stadt Leipzig. Auf landwirtschaftlichen und militärischen Brachflächen rund um die Plattenbausiedlung Heiterblick entsteht dort eine Naturlandschaft, auf der bereits jetzt eine Herde Koniks anzutreffen ist. Und im Leipziger Süden, auf dem Gebiet eines ehemaligen Tagebaus rund um die Lobstädter Lachen, grasen mittlerweile ebenfalls Koniks und sorgen durch das Abfressen dafür, dass das Offenland erhalten bleibt. So kehren langsam selten gewordene Vogelarten wie der Wachtelkönig, die Rohrdommel und der Neuntöter in die Region zurück. „Konik“ bedeutet auf Polnisch übrigens nichts anderes als „Pferdchen. Der Name passt perfekt zu den kompakten Pferden mit einer Größe von rund 1,30 bis 1,40 Metern. Koniks gehen vermutlich auf verwilderte Hauspferde in ihrer Heimat zurück.

Nahezu unbekannt: die Liebenthaler Pferde

Deutlich weniger bekannt als die bislang genannten freilebenden Tiere sind die Liebenthaler Pferde. Wenige Kilometer nordöstlich der brandenburgischen Stadt Liebenwalde lebt die Herde, für die eine eigene Stiftung verantwortlich zeichnet. Die Liebenthaler Pferde stammen aus einer seit über 40 Jahren geführten Zucht.

Der Start war alles andere als einfach. Zunächst war es der Verhaltensforscher Jürgen Zutz, welcher im Bayerischen Wald bereits an Rückzüchtungen des Waldtarpans (einer im 19. Jahrhundert ausgestorbenen eurasischen Wildpferderasse) versuchte. Daraus entstand schließlich auch das Liebenthaler Pferd, eine Kreuzung aus Fjordpferden und polnischen Koniks. Nach dem Tod Zutz’ stand die Weiterführung der Zucht auf der Kippe; selbst über eine Schlachtung der Tiere wurde nachgedacht, was jedoch durch die Gründung des Vereins Liebenthaler Pferdeherde und insbesondere die Besitzer des Wildgeheges, Familie Broja, verhindert werden konnte. Zusätzlich wird die Rasse auch vor den Toren der Stadt Lenzen eingesetzt und kann dort beobachtet werden. Hier befindet sich das Modellprojekt „Lenzener Elbtalaue“. Die Elbe hat in dieser Region in den letzten Jahren durch umfangreiche Maßnahmen zum Landschaftsschutz 420 Hektar Überschwemmungsraum zurückbekommen. Die Tiere sind optimal an das Leben unter den in der Region vorherrschenden klimatischen und Vegetationsbedingungen angepasst und leben wie freie Wildtiere im natürlichen Herdenverband. Die Herde ist in ihrer Lebensweise, ihrer intakten Sozialstruktur und mit den individuellen Rassemerkmalen der Pferde in Deutschland einzigartig. Häufig werden sie auch als „Liebenthaler Wildlinge“ bezeichnet.

Tarpane: Rückzüchtung als Wacholderschützer

Die bereits erwähnten Urwildpferde, welche als Tarpan bekannt sind, starben, wie bereits erwähnt, im 19. Jahrhundert aus. Durch die Rückzüchtung der einst in den eurasischen Steppen und im Osten Polens liegenden Waldflächen beheimateten Tiere mithilfe von Fjordpferden gibt es heute wieder Exemplare, welche teilweise in Tierparks leben und teils zum Landschaftsschutz im Einsatz sind. Der 38 Hektar große Wacholderhain in Haselünne im Emsland ist der größte seiner Art in Nordwestdeutschland. Bereits in den 1930er Jahren wurde der Wacholderhain unter Naturschutz gestellt, um die in ihrer Ausprägung einzigartige mittelalterliche Gemeindeweide mit der charakteristischen Pflanzen- und Tierwelt zu erhalten. Heute wird das Naturschutzgebiet von schottischen Hochlandrindern und eben von den mausgrauen Tarpanen beweidet, um damit eine schnelle Wiederbewaldung zu verhindern.

Exmoor-Ponys: aus England nach Deutschland

Exmoor-Ponys sind typisch für die Moore Südwestenglands. Doch man findet sie nicht nur dort, sondern beispielsweise auch im Naturpark Solling-Vogler in Niedersachsen. Ihre Standorte im Naturpark sind das Reiherbachtal, das Weserumlauftal bei Wahmbeck, das Hochmoor Mecklenbruch und die Silberborner Bergwiesen. Ideale Bedingungen also für die Tiere in der Moorlandschaft, welche diese auch aus der britischen Heimat kennen.

In Deutschlands einzigem Auennationalpark und zugleich erstem grenzüberschreitenden Großschutzgebiet mit Polen – dem Naturpark Unteres Odertal – sind Exmoor-Ponys gemeinsam mit den polnischen Koniks auf zwei weitläufigen Weideflächen zu beobachten. Mit einer Größe von lediglich 1,20 bis 1,30 Metern gehören sie zu den Winzlingen unter den Ponyrassen. Schon vor 1.000 Jahren lebten im Südwesten von England – in der Gegend, in der auch die Sagen um König Artus spielen – Ponyherden. Es waren die Nachkommen von Pferden der Kelten, die verwildert waren. Zu jenen umherstreifenden Tieren gehörten auch die heutigen Dartmoor- und New Forest Ponys. Sie siedelten sich mit der Zeit in eigenen Gebieten an und entwickelten sich so zu drei eigenständigen Rassen.

Text: Alexandra Koch       Foto: Shutterstock/ Katho Menden

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