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1919 und 1920 brach der Hengst mit dem Spitznamen „The Big Red“ alle Rekorde – einmal siegte er mit 100 Längen Vorsprung! 80 Jahre später erhielt er den Titel „Rennpferd des Jahrhunderts“
Manchmal werden auch Pferde zu Popstars. Im Alter von nur zwei Jahren, am 6. Juni 1919, lief der englische Vollbluthengst Man o’ War sein erstes Rennen. Er gewann mit sechs Längen Vorsprung. Nur drei Tage später der zweite Sieg. Eine unglaubliche Erfolgsserie begann: In den folgenden Monaten nahm „The Big Red“ – diesen Spitznamen erhielt er aufgrund seiner langen Beine bereits als Fohlen – an zehn Rennen teil. Neunmal landete er auf dem ersten Platz, einmal mit unglaublichen 100 Längen Vorsprung. Im Alter von drei Jahren war er bei keinem einzigen Rennen mehr zu schlagen; er erreichte Wettquoten von 1:100. Die Amerikaner waren aus dem Häuschen, eine regelrechte Hysterie brach aus. Neid kam auf, Drohungen waren an der Tagesordnung, Handicapper legten ihm bei jedem Rennen mehr Gewicht auf, aufdringliche Fans mussten in Schach gehalten werden. Man o’ War wurde schließlich rund um die Uhr bewacht.
Das wohl bis heute berühmteste Rennpferd der USA wurde am 29. März 1917 in Lexington (Kentucky) geboren. Sein Züchter war August Belmont II., Sohn des einflussreichen deutsch-amerikanischen Bankiers August Belmont. Letzterer war ein großer Anhänger des Galopprennsports und gründete den Amerikanischen Jockey Club. Die berühmte Rennbahn Belmont Park in New York wurde nach ihm benannt. Sein Sohn setzte die Familientradition fort und spezialisierte sich auf die Zucht. 1905 hatte er den Hengst Fair Play gezogen, dessen Exterieur als perfekt galt. Diesen wiederum paarte er mit seiner Stute Mahubah, deren Vater Rock Sand die englische Triple Crown gewonnen hatte. Zur Zeit der Geburt unterstützte Belmont II. sein Land im Ersten Weltkrieg und kümmerte sich um die Ausbildung und den Transport von Armeepferden. Seine Frau soll daher dem neugeborenen Fohlen den Namen gegeben haben: My Man o’ War.
Samuel Riddle kaufte das Pferd einige Monate später für schlappe 5.000 Dollar – nicht ahnend, dass es ihm eines Tages ein Vielfaches dieser Summe einbringen würde. Als der Rummel um Man o’ War Ende 1920 zu groß wurde, zog er dennoch umsichtig die Notbremse. Man o’ War sollte gegen seinen größten Kontrahenten Exterminator laufen und dabei 145 bis 150 Pfund Gewicht tragen. Riddle hatte die Nase voll, nahm das Pferd aus dem Rennsport und schoss 50.000 Dollar Prämie in den Wind. Von da an lebte der Hengst auf Riddles Gestüt, das sich in den folgenden Jahren zu einer Pilgerstätte für Millionen von Fans entwickelte. Hier erreichte er das für Rennpferde biblische Alter von 30 Jahren – und wurde im Jahr 1947 auf „seiner“ Koppel beerdigt. Zur Beerdigung, die wie sein 21. Geburtstag live im Radio übertragen wurde, kamen 2.000 Menschen. Auf seinem Grab wurde eine Bronzestatue errichtet; beides wurde allerdings 1976 in den Kentucky Horse Park verlegt. Hier inspirierte die Skulptur Joey DeMaio dazu, seine True-Metal-Band Manowar zu nennen. Man o’ Wars Nachkommen, darunter Triple-Crown-Sieger War Admiral und sein Enkel Seabiscuit, machten ihrem berühmten Vorfahren alle Ehre. Zum 100. Geburtstag des Jahrhundert-Pferdes hat der Kentucky Horse Park – die wohl berühmteste Stätte des amerikanischen Pferderennsports – Man o’ War eine Ausstellung gewidmet. Schließlich war er zu seiner Zeit eine amerikanische Ikone, ein Nationalheld und eine Inspiration für ein ganzes Volk, das zu Tausenden die Rennbahnen stürmte und seine triumphalen Auftritte gebannt an den Radios mitverfolgte. Man o’ War gilt als der erste equine Superstar des 20. Jahrhunderts – und ebnete durch seine enorme Popularität den Weg für viele weitere.