Text: Julia Schay-Beneke Foto: Tentpegging Germany
Klingt nicht nach einer Sportart? Ist aber eine: Beim Tent Pegging wird Kavallerietraining zum rasanten Rennen. Mit Lanze, Säbel oder Pistole wird im Galopp ein Ziel anvisiert, allein oder im Team. Was in Deutschland vor wenigen Jahren als schräger Geheimtipp begann, findet immer mehr Anhänger.
Jeder, der schon mal einen Film, der im Mittelalter spielt, gesehen oder Ritterspiele besucht hat, kennt diese Szenen, bei denen man unwillkürlich den Atem anhält. Ein Reiter, meist in einer Rüstung, stürmt in vollem Galopp mit einer Lanze auf einen anderen zu oder versucht, einen Ring, der von einem Galgen herunterhängt, aufzuspießen. Derlei Reitturniere waren damals sehr populär und lockten die Zuschauer in Scharen an – allen Gefahren, die sie mit sich brachten, zum Trotz. Der englische König Heinrich VIII. soll so besessen von ihnen gewesen sein, dass er dabei voller Ehrgeiz und Energie zehn Pferde am Stück bis zur Erschöpfung ritt – bis zu einem folgenschweren Sturz im Jahr 1536, der ihn mehrere Tage ins Koma katapultierte und seine Turnierkarriere mit einem Schlag beendete.
Nicht nur für Mittelalter-Fans
Ein bisschen von diesem schwindelerregenden Zauber ist den Kavalleriesportarten erhalten geblieben. Aber: Während im Mittelalter die Parallelen zum Schlachtfeld offenkundig waren und die Aktiven quasi nebenbei den Angriff mit Lanze und Säbel trainierten, kommt es heutzutage auf einen präzisen Bewegungsablauf und das Gemeinschaftserlebnis mit Pferd und Mannschaft an. So wie beim Tent Pegging, einer in Deutschland noch sehr jungen und unbekannten Kavalleriesportart, die in den letzten Jahren immer mehr Anhänger findet.
Christian Dietzel, Unternehmensberater aus Frankfurt, ist einer von ihnen. Vor knapp vier Jahren saß der 39-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben im Sattel. Eher zufällig hatte er eine Bekannte zu ihrer Reitlehrerin begleitet. Er schaute zu, nahm eine Longenstunde, kam die darauffolgende Woche wieder. Die Reitlehrerin fragte ihn bereits nach der zweiten Reitstunde, wo die Reise hingehen solle. „Eigentlich wollte ich nur so sattelfest werden, dass ich später sicher ausreiten kann“, erzählt er. Die Reitlehrerin machte ihm daraufhin jedoch klar, dass er damit bei ihr an der falschen Adresse sei. Er solle sich eine Wettkampfdisziplin aussuchen und diese ernsthaft verfolgen. Springen und Dressur kamen für Christian Dietzel nicht infrage. Da er studierter Historiker mit Schwerpunkt Kriegsgeschichte ist, nannte er aus dem Bauch heraus Kavallerieattacke. „Ich dachte, das gibt es hier eh nicht mehr und ich bin raus aus der Wettkampf-Sache. Irgendwann habe ich mal gehört, dass Anfang des zweiten Weltkrieges der letzte Kavallerieeinsatz gewesen sein soll. Damit konnte es doch auch eigentlich keine Kavalleriesportarten mehr geben, oder?“
Er täuschte sich. Die Reitlehrerin war begeistert und verkündete ihm, dass sie gerade dabei sei, den deutschen Kavallerieverband mit aufzubauen. In der Nähe würden einige ebenfalls Interessierte dem Tent Pegging nachgehen, was sie ihm als „Geschicklichkeitsreiten mit Kavallerieschwerpunkten“ erklärte. Das Ziel sei, vom Pferderücken aus mit einer Lanze oder anderen Waffe ein Ziel auf dem Boden aufzuspießen oder an einem bestimmten Punkt zu treffen. „Damals kannte das praktisch keiner. In ganz Deutschland gab es nur 20 bis 30 Aktive“, erzählt er. Trotzdem sollte alles ganz schnell gehen. Christian Dietzel begann, mehrmals pro Woche zu trainieren und mit Freunden viele Tent Pegger unter einen Hut zu bringen. 2013, im Jahr seiner Entstehung in Deutschland, half „Tent Pegging Germany“ dabei, den Weltverband zu gründen, die „International Tent Pegging Federation“. Seit 2018 gehören alle Tent Pegger in Deutschland einem gemeinsamen internationalen Dachverband an, der „German Tent Pegging Union“.
…in der September-Ausgabe erfahren Sie noch mehr über diese spannende Sportart.