Text: Inga Dora Schwarzer     Foto: www.Slawik.com

Springt Ihr Pferd häufig zur Seite, ergreift es die Flucht oder erstarrt es zur Salzsäule? Dann gibt es einen Grund dafür. Wichtig ist, frühe Anzeichen von Anspannung zu erkennen und schnell zu handeln. Dann können Pferd und Reiter eine kritische Situation gemeinsam meistern

Ein lauter Traktor, ein bunter Regenschirm, ein bellender Hund, eine wehende Plane – es gibt unzählige Reize, denen Pferde in der Menschenwelt ausgesetzt sind. Vor allem plötzlich auftretende, unbekannte Gegenstände, Geräusche oder schnelle Bewegungen sind für sie schwer einzuschätzen und verunsichern sie häufig. Sie lösen Besorgnis über den eigenen Zustand aus. Die Folge? Die Vierbeiner sind in Alarmbereitschaft. Sie fokussieren sich nur noch auf den Reiz, um ihre Gesundheit und ihr Leben bestmöglich zu schützen. Dieses Verhalten resultiert aus einem Instinkt, der so tief in ihnen verankert ist, dass der Mensch ihn weder wegzüchten noch komplett abtrainieren kann. „Pferde sind Flucht- und Beutetiere. Deshalb liegt ein prinzipiell schreckhaftes Verhalten evolutionsbedingt in ihrer Natur. Die Tiere mussten in freier Wildbahn in Sekundenschnelle auf eine Situation reagieren. Dabei ging es häufig um Leben oder Tod“, erklärt Lea Dietrich, Pferdewirtin und Pferdeverhaltenstrainerin aus dem niedersächsischen Bovenden.

Vorboten der Anspannung

Als Mensch sieht, hört und spürt man die Vorsichtsmaßnahmen, die der Vierbeiner trifft – egal, ob Sie auf ihm sitzen oder neben ihm stehen: Der Muskeltonus und das Energielevel im Körper steigen an, die Oberlippe wird vorgeschoben, das Maul wird zusammengepresst, der Kopf schnellt in die Höhe, die Augen werden aufgerissen und blicken in die Richtung des Reizes. Die Nüstern werden aufgebläht. Manchmal ist ein Schnorcheln zu hören. Die Ohren wechseln unruhig und nervös ihre Stellung, gehen aber immer wieder zum Ausgangspunkt der Irritation zurück. Ist diese sehr stark, kann es zum Verlagern des Körperschwerpunktes nach hinten kommen. Der Vierbeiner bereitet sich auf eine schnelle Kraftentfaltung und Spannungsentladung vor. „Ein irritiertes Pferd wägt ab, was es tun soll. Mut und Ängstlichkeit halten sich kurzzeitig die Waage. Es steht kurz vor der Entscheidung: Muss ich meine Energie verschwenden, oder kann ich sie für den Ernstfall einsparen? Noch hat es sich aber nicht für eine Strategie entschieden“, erläutert die Expertin.

Diese Handlungsoptionen des Pferdes werden im Englischen als die vier F bezeichnet: flight (flüchten), fight (kämpfen), flirt (kooperieren, kommunizieren) und freeze (abwarten, erstarren). Die häufigste Reaktion ist eine kurze Flucht (scheuen), um eine größere Distanz zwischen sich und einem beispielsweise angstauslösenden Gegenstand zu schaffen. „Die Pferde springen nach vorne, zur Seite oder machen blitzschnell auf dem Absatz kehrt. Dann aber bleiben sie in der Regel stehen und drehen sich nach dem Reiz um“, so Dietrich. Mit zunehmender Angst steigt jedoch ihre Fluchtbereitschaft. Die Anzeichen ähneln denen der Irritation, aber es zeigt sich ein geringeres Ohrenspiel. Das Maul ist angespannt mit verzogener Maulspalte, vorgeschobener Oberlippe und einem deutlich ausgeprägten Kinn. Die Augen sind oft so weit geöffnet, dass das Weiß im Inneren zu sehen ist. Je nach Ausmaß kann zusätzlich der Schweif eingeklemmt sein. „Viele Pferde stehen dann so stark unter Stress, dass sie in geringen Abständen Kot absetzen“, ergänzt die Ausbilderin.

Erkennen Sie die ersten Merkmale einer Irritation (siehe oben), sollten Sie unverzüglich handeln. Warten Sie nicht ab, bis sich Ihr Pferd für die Fluchtvariante entscheidet. Viele Reiter würden jedoch genau in diesem Moment ihren Körper anspannen, erstarren und denken: „Ach herrje, jetzt hat mein Pferd Angst.“ Aber wie soll ein Pferd mutig sein, wenn es der Reiter nicht ist? „Spürt es, dass der Mensch die Situation nicht mehr unter Kontrolle hat, weil dieser plötzlich am Zügel zieht oder mit den Beinen klemmt, muss es selbst eine Wahl treffen – und die fällt vielleicht auf ein schreckhaftes Verhalten“, gibt Lea Dietrich zu bedenken.

Mehr Informationen und Tipps von der Expertin finden Sie in der neuen Mein Pferd- Ausgabe.

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