Interview: Karin Tillisch Foto: Getty Images/Tetra images RF
Zusätzlich zu dem Artikel zum Thema „Mobbing am Stall“ in der Mein Pferd-Ausgabe 11/2018 hat Karin Tillisch ein Interview mit verschiedenen Personen aus dem Reitsport geführt:
Gundula Hartje: Pferde sind sowohl ihre Leidenschaft als auch ihr Beruf. Seit 34 Jahren ist sie im Bereich Ausbildung Pferd und Reiter tätig. Sie arbeitet mit Pferden aller Rassen und in unterschiedlichen Bereichen (Dressur, Bodenarbeit, Gangpferde, und einiges mehr). Ihre Kaltblut-Stute „Kleini“ ist bis zur Hohen Schule ausgebildet und beherrscht die hohe Kunst des persisch/indischen Pferdetanz sowie zahlreiche Lektionen aus Zirzensik und Freiheitsdressur.
Caroline Sperling: Sie hat über 30 Jahre Pferdeerfahrung: Sie ist seit 2006 selbstständig tätig als Pferdepsychologin, Trainerin und seit 2015 Fachbuchautorin von zwei Büchern: „Sanfte Fohlenausbildung“ und „Das Geheimnis glücklicher Pferde“. Pferdebesitzer kommen zu ihr, weil sie im alltäglichen Umgang mit ihrem Pferd Probleme haben. Um diesen Menschen auf lange Sicht hin helfen zu können, geht sie die Probleme ganzheitlich und an der Wurzel an. www.sanfte-pferdeausbildung.de
Sylvia Czarnecki: Sie ist seit zehn Jahren Trainerin für Zirkuslektionen, Freiarbeit und Clickertraining und gibt deutschlandweit und im angrenzenden Ausland Kurse und Seminare zu unterschiedlichen Themen. Sie ist Autorin der Bücher „It’s Showtime“ und „Ehrlich motiviert!“ und führt auf ihrer Website www.motionclick.de einen erfolgreichen Blog zum Thema positive Verstärkung.
Uschka Wolf: Sie ist seit 28 Jahren als Pferdetrainerin selbstständig. Trainer A Westernreiten, World Open Champion Freestyle Reining, mehrfache Landesmeisterin EWU, staatlich anerkannte Erzieherin, Ausbilderin für Reittherapeuten DFG. www.uschka-wolf.de
Steffi Schade: Sie ist 36 Jahre alt, Pferde-Mensch-Beziehungstrainer, mit Pferden aufgewachsen und seit zehn Jahren vollberuflich als Trainerin in den Bereichen Horsemanship, Reiten, Freiheitsdressur, Zirzensik tätig. www.peterpfister-schade.de
Michael Geitner: Ist einer der großen Influencer der Freizeitreiterszene. Mit seinen Trainingskonzepten „Be Strict©“, „Dualaktivierung©“, „Equikinetic©“ und – ganz neu – „Equi Classic Work©“ ermöglicht er es Freizeitreitern in ganz Europa, zu einer besseren Partnerschaft mit dem Pferd zu finden, sowohl durch Bücher und DVDs als auch bei Seminaren und Vorträgen von ihm oder den von ihm ausgebildeten Trainern. www.pferde-ausbildung.de
Ralph Nick: Er ist ein erfolgreicher Westernpferdetrainer und Turnierreiter mit Schwerpunkt Reining, dem auch die Nachwuchsarbeit mit Kindern und Jugendlichen im Westernsport sehr am Herzen liegt. In seinem Pensions-, Zucht- und Ausbildungsstall mit Schulpferdebetrieb in Baden-Württemberg steht er seinen Reitschülern und den Pferdebesitzern stets mit Rat und Tat zur Seite.
Inwieweit war oder ist das Thema Burn-out, Mobbing und Depression in Ihrem Leben präsent oder war es einmal?
Gundula Hartje: Vor einigen Jahren habe ich mein Konzept umgestellt, da es irgendwie „zu viel“ wurde. Eventuell war zu dem Zeitpunkt etwas am Entstehen. Direkt hatte ich aber noch keine Berührung mit dem Thema. Bei Kunden und Bekannten habe ich es allerdings bereits erlebt.
Caroline Sperling: Ich bin sehr dankbar, dass ich bis heute von keinem der Themen direkt betroffen war. Allerdings bekomme ich über meine Tätigkeit viel mit. Und ich erinnere mich besonders genau an eine Kundin, und das ist kein Einzelfall, die mich anrief, mir aber gleich am Telefon gesagt hat, dass ich mit meinem gebrandeten Auto nicht in den Stall vorfahren kann. Begründung: Alle Pferdebesitzer, die nicht in einer Linie mit dem dort ansässigen Ausbilder ihr Pferd arbeiten, werden gemobbt. Da ihr aber die Methode des Ausbilders keinesfalls gefiel, wollte sie von mir eine neutrale Zweitmeinung einholen. Diesen Zwang würde ich selber niemals tolerieren, aber so lange die Pferdebesitzer sich dies gefallen lassen, ändert sich natürlich nichts. Ganz nach dem Motto: „Entweder du kommst mit den Ausbildern vor Ort zurecht oder du musst dich nach einem neuen Stall umschauen.“ Ich muss sagen, dass ich von solchen Maßnahmen entsetzt bin. Jedes Pferd und jeder Mensch ist ein Individuum und sollte frei entscheiden dürfen, bei wem er sich Rat oder Unterstützung sucht. Außerdem bin ich der Meinung, Qualität setzt sich immer durch, und wer es nötig hat, derartige Daumenschrauben anzusetzen, dessen Arbeit sehe ich mehr als kritisch!
Sylvia Czarnecki: Als Trainer, der in der Öffentlichkeit steht, habe ich schon oft feststellen müssen, wie oberflächlich unsere Gesellschaft und leider auch insbesondere der Reitsport inzwischen ist. Heute zählt oft nur noch das perfekte Ergebnis, alles soll dabei gut aussehen, und nicht die tatsächliche Leistung, die dahinter steht – und was gut ist und aussieht, das bestimmt natürlich in irgendeiner Weise die Gesellschaft. Als übergewichtiger Pferdemensch hat man es da im wahrsten Sinne des Wortes nicht leicht. Da muss man schon aufpassen, dass man sich gut abgrenzen kann und über ein gesundes Selbstvertrauen verfügt, bei dem, was man da so manches Mal an den Kopf geworfen bekommt. Noch dazu, wenn man einen eher unkonventionellen Weg mit dem Pferd geht und damit ohnehin schon aus der Masse hervorsticht.
Uschka Wolf: Erst seit ungefähr zehn Jahren werde ich mit Klienten konfrontiert, die mit Mobbing, Burn-out und Depressionen zu tun haben.
Steffi Schade: Durch betroffene Freunde und Bekannte komme ich immer wieder in Berührung mit dem Thema. Persönlich war ich noch nicht betroffen, aber da, wo einem Menschen am Herzen liegen, leidet man mit!
Michael Geitner: Ich bin mit dem Thema Mobbing in meiner Kindheit selbst in Berührung gekommen, da ich damals recht übergewichtig und dadurch natürlich ein leichtes Ziel für Mobbingattacken war. Auch kenne ich das Thema Burn-out und Depression insoweit, als dass ich auch selbst für einige Monate, nachdem ich meinen Hof gekauft hatte, von Existenzängsten und Unsicherheit, was die Zukunft bringen wird, geplagt wurde. Heutzutage betrifft mich das heikle Thema Burn-out und Depression immer mal wieder als Beobachter und Außenstehender, da auch viele meiner Kunden davon betroffen sind. Einige, die bei mir die Trainerausbildung machen, kommen aus einem durch den vorherigen Job ausgelösten Burn-out gerade erst heraus. Sie fassen bei mir dann neuen Mut und entwickeln eine Perspektive. Aber manch einer unterschätzt auch die Mammutaufgaben, die als selbstständiger Trainer auf einen zukommen, und rutscht erneut in ein tiefes Loch, das er dann erneut überwinden muss.
Ralph Nick: Das sind ja eigentlich zwei Themen, Mobbing steht für sich, aber Burn-out und Depression gehören ja irgendwie zusammen. Ich bin Gott sei Dank von diesen Themen nicht persönlich betroffen. Nicht, dass mir das nicht auch eines Tages passieren könnte, aber ich hoffe, davon verschont zu bleiben
Wie erklären Sie sich mit Ihren persönlichen Erfahrungen in der Pferdewelt und der letzten 20 Jahre allgemein, dass es seit eben 20 Jahren zu einen geradezu erschreckenden Anstieg von Burn-out und Depression kam, sodass fast jeder fünfte Bundesbürger ein Mal in seinem Leben selbst davon betroffen gewesen sein soll?
Gundula Hartje: Oft definieren sich Menschen über Leistung und haben daher zu hohe Erwartungen an sich selbst. Viele haben Angst, Fehler zu machen, und ihr Ansehen und Position zu verlieren. Auch „Nein“ zu sagen fällt schwer, weshalb viele sich den Anforderungen nicht gewachsen fühlen.
Sylvia Czarnecki: Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es leicht ist, sich einem Vergleich zu stellen und das Gefühl zu bekommen, dass die eigene Leistung – auf welcher Ebene auch immer – nicht ausreicht. Mehr auf sich zu achten und sich zurückzunehmen, wichtige Prioritäten zu setzen, wird oft mit Schwäche gleichgesetzt, statt mit Stärke für sich einzutreten. Ist man dann nicht mit einem guten Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl ausgestattet, ist es leicht, sich in der „Höher-schneller-weiter“-Spirale zu verlieren, bis die eigenen Ressourcen aufgebraucht sind. Auch die Beziehung zu Freunden oder Familie scheint sich in vielen Bereichen verändert zu haben, so dass man es gefühlt mit überdurchschnittlich vielen „Einzelkämpfern“ zu tun hat, wo dann Rückhalt und ein Ruhepol, aber auch ein wichtiges Feedback fehlen. Viel zu oft machen wir außerdem unser eigenes Selbstwertgefühl von dem Urteil anderer abhängig, statt uns einfach mal gut und wohl zu fühlen, mit dem, was wir sind, tun und können. Dabei vollbringt jeder einzelne von uns jeden Tag großartige Leistungen und hat es verdient, stolz auf sich zu sein.
Uschka Wolf: Ich denke, unsere neue, schnelle Welt mit Internet und Handy macht uns zu Sklaven der Zeit, denn wir haben keine mehr, um einfach mal wieder „runterzukommen“ und NICHTS zu tun! Das und der steigende Leistungsdruck in allen Bereichen des Lebens legt sich auf die Psyche und „brennt“ sie aus!
Steffi Schade: Kaputte Familien, Verletzungen der Seele, die nicht heilen durch fehlende Vergebungsbereitschaft – und fehlendes Wissen um die Notwendigkeit von Vergebung für Heilung, sind meiner Meinung nach Ursachen für Depressionen und Burn-out. Mit verantwortlich ist sicher auch die Tatsache, dass wir nicht nur unser Leben sehen, sondern das der ganzen Welt. Wir vergleichen uns mit Teilwahrheiten – im besten Fall, die uns in attraktiv zusammengeschnittenen Videoclips oder Fotos suggeriert werden. Außerdem müssen wir nicht mehr um unser Überleben kämpfen. Man könnte sagen, wir haben zu viel Zeit, um uns um uns selbst zu drehen. Das ist nicht gesund, für diesen starken Individualismus sind wir nicht geschaffen.
Michael Geitner: Zeitdruck, immer noch mehr Leistung, jeder muss perfekt sein, perfekt aussehen, die perfekte Familie haben, das perfekte Pferd und, und, und… Seltsamerweise machen sich gerade beim „perfekten Pferd“ die Freizeitreiter meiner Erfahrung nach sogar mehr Druck als die Profis. Zum Thema Mobbing: Das ist wohl einfach so eine menschliche Sache, dass immer in einer Gruppe jemand heraussepariert wird der anders ist, etwas anders macht oder etwas (noch) nicht so gut kann wie der Rest der Gruppe, und diese Person wird dann nach allen Regeln der Kunst vorgeführt.
Ralph Nick: Ich glaube, der Einzelne und auch die Gesellschaft findet immer mehr den Mut, darüber zu sprechen. Ich denke, dass es Mobbing, Burn-out und auch Depressionen schon immer bei den Menschen gab, aber früher wurde versucht, es zu verheimlichen.
Thema Mobbing – wie würden Sie erklären, dass in einer Gesellschaft, in der Wissen nur einen Klick entfernt ist und wir binnen Sekunden die ganze Welt erreichen können, die Abgrenzung, Vereinsamung und der Gruppenzwang immer stärker werden, was dann zu Mobbing führen kann?
Gundula Hartje: Über die Möglichkeit „Klick am Computer“ ist es nicht notwendig, direkt mit anderen zu sprechen, man fühlt sich trotzdem dazugehörig. Über die Zeit verliert man aber die natürlichen Verhaltensweisen und Eigenschaften im Miteinander. Daraus kann Angst entstehen, man sondert sich ab und bietet gute Angriffsfläche für Mobbing.
Caroline Sperling: Von Ausbilderseite wird vorgegeben, dass man das macht ( Mobbing), um die Qualität des Ausbildungsstalles hochzuhalten/zu garantieren. Ich sehe dahinter eher den Gedanken des Sich-sein-Einkommen-sichern-Wollens, also einen sehr egoistischen Ansatz, der ummantelt wird von dem angeblichen Qualitätsdenken.
Sylvia Czarnecki: Es ist im Grunde genommen ein Kreislauf. Viele Menschen leiden heutzutage unter einem schlechten Selbstwertgefühl, weil sie permanent das Gefühl haben, „nicht gut genug zu sein“, wenn sie sich mit anderen Vergleichen, sei es nun im beruflichen oder privaten. Da ist es leicht, sich gemeinsam stärker zu fühlen, oder darin, andere klein zu machen, ein Ventil zu suchen, um sich selbst besser zu fühlen. Solche Dinge entwickeln oft eine eigene Dynamik, da das Gefühl von Macht und Kontrolle eine große Bestätigung für den Täter ist. In der Gruppe kommt darüber hinaus noch die Anerkennung der anderen Mittäter dazu, die oft eine wichtige Rolle spielt. Mit dem Opfer selbst hat Mobbing häufig gar nichts zu tun. Es klingt im ersten Moment absurd, aber Mobber sind häufig selbst Opfer – sie lösen ihre eigenen Probleme nur leider auf eine sehr unschöne Art und Weise. Das heißt, man muss eigentlich auch den Tätern helfen, um letztlich für das Opfer eine Verbesserung zu erreichen. Das ist nicht immer möglich, und dann gilt „Opferschutz“ vor „Täterschutz“. Für Betroffene ist das kein Trost, aber doch eine wichtige Erkenntnis, dass es im Grunde genommen nicht um sie geht, um sich entsprechend abgrenzen zu können von den Angriffen.
Uschka Wolf: Es gibt durch die mangelnden persönlichen Bindungen und Freundschaften keine Persönlichkeitsentwicklung mit „guten“ Werten. Man macht das, was gerade „angesagt“ ist, und nicht mehr das, was die Gemeinschaft stärkt und durch Familie, Freunde und Sozialkontakte entwickelt und vorgelebt wird.
Steffi Schade: Um in unserer Persönlichkeit zu reifen, brauchen wir echte Beziehungen! Das kann uns ein soziales Netzwerk nicht bieten. Ich glaube, dass das Selbstwertgefühl vieler Menschen sehr kaputt ist, und dass das dahin führt, dass sie sich selbst besser fühlen dadurch, dass sie andere beurteilen oder auch verurteilen.
Michael Geitner: Man kann im Internet jemanden ganz leicht denunzieren, ohne der Person dabei in die Augen schauen zu müssen. Vorne herum im „real life“ also nett, aber hinten herum in der Anonymität des Internets wird gelästert und „geschlaumeiert“, was das Zeug hält. Mit klugen Zitaten ECHTER Experten um sich geschmissen, um sich selbst als Experten darzustellen und sich selbst emporzuheben, in dem andere niedergemacht werden. Rein und fein aus dem Drang heraus auf Teufel komm raus Aufmerksamkeit zu erregen. Man muss aber auch sagen, dass für sehr viele Freizeitreiter – und hier besonders für die Damen – das Pferd der absolute Lebensmittelpunkt und gar Lebenssinn geworden ist. Auch dadurch verliert man natürlich schnell den am Pferd oder Reitsport nicht interessierten bisherigen Freundeskreis, wenn das einzige Gesprächsthema nur noch das Pferd ist!
Ralph Nick: Die Welt ist klein geworden, gerade durch das Internet. Der Informationsfluss ist unglaublich! Aber auch unglaublich irreführend. Das Internet erkennt unsere Vorlieben und Abneigungen, und dementsprechend werden wir informiert. Dadurch kann ganz schnell ein völlig falsches Bild in uns entstehen, das dann wiederum zu Hass oder Mobbing führen kann.
Zivilcourage oder Wegschauen beim Thema Mobbing zum Eigenschutz? Wie sehen Sie das?
Gundula Hartje: Auf jeden Fall Zivilcourage, wegschauen ist keine Option. Allerdings sollte man gut abwägen, in welcher Form man helfen kann.
Caroline Sperling: Wegschauen geht gar nicht, allerdings ist man oft alleine auch hilflos. Letztlich ist der effektivste und sicherste Weg, sich mit Gleichgesinnten zusammen zu tun und aktiv gegen die Täter vorzugehen.
Sylvia Czarnecki: Das ist ein schwieriges Thema! Für andere Einstehen kann nur der, der mit sich selbst im Reinen ist – sonst wird er schnell selbst zur Zielscheibe und fühlt sich am Ende schlechter als vorher. Damit ist niemandem geholfen. Auch hier geht meiner Meinung nach Eigenschutz vor. Was aber jeder tun kann – egal, ob er sich selbst daneben stellen kann oder nicht –, ist um Hilfe zu bitten und Verantwortliche mit ins Boot zu holen, deren Aufgabe es ist, dann zu deeskalieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Uschka Wolf: Das Wegschauen ist das Ergebnis oben genannter mangelnder sozialer Persönlichkeitsentwicklung.
Steffi Schade: Persönliche Anteilnahme bringt enorm viel. In Rücksprache mit dem „Mobbingopfer“ kann ein öffentliches Stellungnehmen hilfreich sein, muss aber nicht.
Michael Geitner: Es wäre wirklich schön, wenn es wieder etwas mehr Zivilcourage gerade auch bei diesem Thema geben würde! Weil wer selbst schon mal gemobbt wurde – so wie ich als Kind –, der weiß, dass der Gemobbte wirklich ganz arm dran ist und wirklich auch Hilfe von außen braucht!
Ralph Nick: Das kann man nicht pauschalisieren. Habe ich die Möglichkeit, in meinem Umfeld Einfluss gegen das Mobbing zu nehmen, dann versuche ich das natürlich! Es gibt aber auch Situationen, in denen es manchmal klüger ist, einfach ruhig zu bleiben und zu schauen, dass man aus der Situation schadlos herauskommt, wenn man beispielsweise selbst betroffen ist. Hört euch mal das Lied „Willy“ von Konstantin Wecker an – dann wisst ihr, was ich meine.
Was würden Sie Menschen raten, die merken, dass sie vielleicht selbst von den Themen betroffen sind oder jemanden in ihrem Umfeld haben, der diese Anzeichen zeigt?
Gundula Hartje: Betroffene sollten sich Hilfe holen: Über Gespräche mit Therapeuten, Freunden, Familie, dass man darüber sicherer wird, ein selbstverständlicheres Auftreten erlangt, um letztlich Probleme ansprechen zu können. Allerdings ist das ein langer, langer Weg.
Caroline Sperling: Als erstes würde ich demjenigen raten, ein persönliches, klärendes Gespräch mit dem Mobber zu suchen. Sollte das keine Wirkung zeigen, rate ich, den Stall zu wechseln. Aus meiner Sicht sollte die Zeit im Stall Spaß machen, Energie geben, Mobbing kostet extrem viel Kraft, und die Opfer leben unter ständiger Angst, dass der nächste Angriff kommen könnte. Das ist auf Dauer gesehen ungesund und macht krank! Und letztendlich leiden unsere Pferden, die so hochsensibel sind, auch darunter, zum Beispiel weil man weniger Zeit mit ihnen verbringt, weil man sich einfach nur unwohl fühlt und die Zeit am Stall so kurz wie möglich hält. Aber es gibt tatsächlich auch immer wieder Fälle, bei denen die Antipathie zwischen den Menschen an den Pferden ausgelassen wird. Das ist für mich höchst primitiv, weil das Pferd nichts dafür kann, und wehren kann es sich auch nicht.
Sylvia Czarnecki: Was immer sinnvoll ist: sich hinzusetzen und die Situation so weit wie möglich „von außen“ zu betrachten. Was passiert hier mit mir? Was kann ich tun, damit es mir besser geht? Wie kann ich die Situation verändern? Kann ich die Situation überhaupt selbst verändern? Nimmt das Thema einen großen Teil des eigenen Lebens ein und beeinflusst dieses sogar stark, dann sollte man sich in jedem Fall so früh wie möglich professionelle Hilfe von geschulten Personen suchen, denn auch wenn es gut ist, Freunde und Familie zu haben, die einem zuhören, so sind diese oft nicht kompetent genug, einem Strategien an die Hand zu geben, um besser zurechtzukommen. Oft, nicht immer, liegt ja auch ein eigenes psychologisches Problem vor, dass dazu führt, dass wir mit unserer Umwelt überfordert sind. Dann muss man etwas an sich selbst verändern, weil man die Umwelt oft nur wenig beeinflussen kann. Das bedeutet aber nicht, dass man alles hinnehmen soll. Gerade wenn es um Mobbing geht, sollte man sich außerdem Hilfe von Verantwortlichen oder übergeordneten Stellen in diesem Bereich holen. Mit so einem Problem muss niemand alleine zurechtkommen!
Uschka Wolf: Sich nicht klein machen lassen! Umgeben Sie sich mit Menschen, die NICHT mobben, die Sie ernst nehmen, stärken und so annehmen, wie Sie sind!
Steffi Schade: Mach dich frei von den sozialen Netzwerken. Schau, welche Menschen dir in deinem realen Leben gut tun, und verbringe Zeit mit ihnen. Wer raubt dir Kraft und Freude? Bringe Abstand (räumlich und/oder emotional) zwischen dich und diese Menschen. Suche nicht erst Hilfe beim Fachmann (Therapeuten, Seelsorger), wenn es richtig wehtut, sondern rechtzeitig. Hilfe annehmen zu können hat etwas mit Stärke zu tun!
Michael Geitner: Beim Thema Burn-out und Depression braucht der Betroffene professionelle Hilfe, basta! Natürlich ist es dabei immer gut, wenn einem ein lieber Mensch durch diese Tiefen des Lebens zur Seite steht, aber sind wir mal ehrlich: Wer hat wirklich jemanden, auf den er sich auch dann, wenn es ihm mal richtig dreckig geht, zu 100 % verlassen kann? Beim Thema Mobbing ist es oft hilfreich, aber auch schwierig, die Mobber direkt zu konfrontieren, und zwar so ruhig und sachlich wie möglich. Denn macht man sich nicht mehr klein, sondern stellt sich mal selbstbewusst auf und fragt einfach: „Sag mal, was hab ich dir getan, dass du immer so auf mir rumhackst? Was bezweckst du damit wirklich? Denkst du, du kannst ich nur groß und wichtig machen, indem du andere klein machst?“ Wenn das Opfer sich nicht mehr wie ein Opfer verhält, ist das für die meisten Mobber eine derartige Musterdurchbrechung, dass sie dann erst mal selbst ganz klein und leise werden.
Ralph Nick: Sucht euch Menschen, denen ihr vertrauen könnt, die euch zuhören, und redet über die Dinge, die euch belasten. Das kann zumindest einmal ein Anfang sein, um sich selbst ein bisschen zu helfen oder dann auch Hilfe zu holen.
Inwieweit denken Sie, dass unser allerliebstes Hobby – das Pferd – betroffenen Menschen aus der Depressionsfalle wieder heraushelfen oder auch Mobbingopfer stärken kann?
Gundula Hartje: Das Pferd kann die Psyche des Menschen berühren und auffordern zu arbeiten, allein schon dadurch, dass man einem Pferd zuhört, sich auf ein anderes Lebewesen einlässt und prompt eine Rückmeldung bekommt. Das kann Klarheit und Präsenz stärken.
Caroline Sperling: Ich glaube, wenn man eine schwierige Situation, egal was es im Leben ist, für sich löst und zum Positiven hin wendet, dass dies einem ein sehr gutes Gefühl gibt. Nämlich das Gefühl, für sich selbst eingestanden zu sein, gekämpft zu haben. Und dass man nicht ausgeliefert ist, man kann immer etwas verändern.
Sylvia Czarnecki: Wir wissen alle, dass Tiere uns gegenüber keine Vorurteile haben, sondern den Menschen so nehmen, wie er eben ist. Dabei sind sie gnadenlos ehrlich. Das kann gut sein, oder eben auch nicht so gut. Wenn ich es als betroffener Mensch schaffe, dass Pferd eben auch als solches zu sehen und entsprechend zu behandeln, dann bekommt man natürlich auch ein entsprechendes Feedback, und das Pferd nimmt einen wichtigen Stellenwert ein. Nicht umsonst haben Pferde in der Therapiewelt einen guten Ruf. Wenn ich allerdings genau das Gegenteil mache und versuche, mein emotionales Ungleichgewicht an meinem Pferd auszulassen, in welcher Art und Weise auch immer, dann kann das auch nach hinten losgehen. Und nicht zuletzt ist das ganze natürlich auch ein bisschen von der Pferd-Mensch-Konstellation als solcher abhängig – wir sind schließlich alle Persönlichkeiten mit individuellem Charakter.
Uschka Wolf: Das Pferd wertet nicht, es spiegelt das Gegenüber und fordert so zu einer echten Kommunikation auf. Auf jeden Fall ist das eine gute Möglichkeit, sich zu stärken, das habe ich in meinen Reittherapiestunden immer wieder erlebt. Wie eindrucksvoll und wirksam hier meine Therapiepferde den Menschen geholfen haben, sich wieder selbst zu spüren und aufzubauen,
Steffi Schade: In meiner Arbeit beobachte ich immer wieder, dass Pferde Menschenherzen öffnen. Da werden auf einmal Wesenszüge sichtbar, die man zuvor nicht vermutet hätte. Ich glaube, dadurch, dass Pferde uns einfach spiegeln, wie wir sind, werden wir mit uns selbst auf eine sehr gesunde Art konfrontiert. Das ist eine Riesenchance, die wir ergreifen sollten.
Michael Geitner: Das eigene Pferd hat es, wenn der Mensch in einem Burn-out oder einer Depression steckt, auch sehr schwer, denn es nimmt dann oft die Last des Menschen auf sich. Da der Mensch dann aber nicht mehr in der Lage ist, aus der Sicht des Pferdes richtig zu „führen“, übernehmen dann manche Pferde auch schnell zum Eigenschutz die Führung, und es kommt noch zu Konflikten mit dem eigenen Pferd, das mit der Situation genauso überfordert ist wie der Mensch. Daher würde ich eher raten, Hilfe in einer tiergestützten Therapie – begleitend zu den anderen Therapien, die ein Fachmann für die betroffene Person als wichtig erachtet – zu suchen. Bei der tiergestützten Therapie sind nicht nur die Zweibeiner Profi-Therapeuten, sondern auch die Vierbeiner! Das eigene Pferd sollte nicht als Therapeut herangezogen werden, ich finde, die eigene Last auf das Pferd abzuladen sollte man einfach vermeiden!
Ralph Nick: Die Arbeit mit dem Pferd bringt uns dazu, tatsächlich im Hier und Jetzt zu sein. Dem Pferd ist es egal, was gestern war, und noch viel unwichtiger für das Pferd ist das morgen. Vielleicht können wir daraus auch etwas lernen!
Was möchten Sie Pferdeleuten, die selbst betroffen sind oder Betroffene in ihrem Umfeld haben oder Mobbing am Stall selbst erleben oder mitbekommen, mit auf den Weg geben?
Gundula Hartje: Traut euch Fachleute, Freunde, Familie anzusprechen, um Hilfe zu bekommen. Mobbing-Opfer sollten über eine Anzeige nachdenken.
Caroline Sperling: Oft bist du nicht das alleinige Opfer von Mobbing. Sprich mit anderen Einstellern darüber, tu dich mit anderen zusammen. Nur zusammen seid ihr stark! Lasst es euch nicht gefallen. Oft hören die Mobber auf, wenn sie merken, man wehrt sich, man setzt klare Grenzen. Beliebte Personen aus Sicht der Mobber sind Menschen, die sich alles wortlos gefallen lassen.
Sylvia Czarnecki: Wer Opfer von Mobbing wird, muss dies nicht mit sich alleine austragen. Sich Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern zeigt Stärke, für sich selbst Verantwortung und seine Umwelt zu übernehmen. Denn häufig beschränkt sich Mobbing nicht nur auf Einzelne, sondern auf mehrere Einzelpersonen oder Personengruppen. Zusätzlich ist es wichtig, den Mobbern keine Angriffsfläche zu bieten, indem man ihnen möglichst wenig Beachtung schenkt. Das gelingt am besten, in dem man sich vor Augen führt, dass es beim Mobbing selten um einen selbst geht, sondern vor allen Dingen darum, dass der oder die Täter mit ihren Taten die eigenen Probleme kompensieren. Jedes Opfer von Mobbing sollte sich klarmachen, dass kein Mensch das Recht hat, die eigenen Grenzen zu missachten, und er für sich einstehen darf. Das eigene Selbstwertgefühl sollte nicht von der Bewertung anderer, für sich selbst oft unwichtigen Personen, abhängig sein.
Uschka Wolf: Seid offen, schaut NICHT weg, sprecht die Leute an! Es ist respektlos und völlig unter der Gürtellinie, jemanden zu mobben oder dies zuzulassen. Sucht euch Leute, die euch so hinnehmen und annehmen, wie ihr nun mal seid!
Steffi Schade: Menschen, die verletzen, sind immer selbst verletzt. Du bist einzigartig – jeder von uns ist einzigartig. Unvergleichbar! Kostbar! Lerne, dich selbst zu lieben und deine Mitmenschen zu akzeptieren, wie sie sind.
Michael Geitner: Wenn ihr merkt, ihr kommt da selbst nicht mehr aus eigener Kraft raus, sucht euch Hilfe. Wenn es wirklich akut ist, unbedingt professionelle Hilfe suchen, den das kam nicht von allein und das geht auch nicht von allein!
Ralph Nick: Ich bin kein Psychologe und auch kein Lebensberater. Ich bin nur Pferdetrainer und Reitlehrer. Ich glaube, dass jeder für sich selbst einen Weg finden muss. Ich selbst versuche für mich, die kleinen Dinge des Lebens zu erkennen und mich daran zu erfreuen.