Als Ausbilder bringen wir unseren Pferden etwas bei, und dennoch sind sie dabei unsere Lehrmeister. Von unseren Vierbeinern können wir einiges über das Leben und über Kommunikation lernen. Wie Sie einen gemeinsamen Weg mit Ihrem Pferd finden und Ihre Beziehung stärken können, erklärt Tania Konnerth
Wenn Mensch und Pferd aufeinandertreffen, begegnen sich zwei Individuen mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften, aber auch Erfahrungen. Beide bringen eine gewisse Lebensgeschichte mit. Diese Vielfalt ist etwas Wunderbares, erfordert jedoch, dass wir uns mit uns selbst und unserem Pferd beschäftigen, um einen für beide Seiten passenden Weg zu finden. Dazu ist unter anderem Verständnis und Respekt nötig. Und es gibt eben nicht den einen Weg – kein Patentrezept – sondern die Wege zum Pferd sind ebenso vielfältig. „Manch einem macht die Vielfalt der Möglichkeiten vielleicht auch Angst, aber die brauchen wir nicht zu haben, denn wir sind nicht allein: Unser Pferd hilft uns bei der Wahl des Weges, wenn wir uns dafür öffnen“, versichert die Ausbilderin Tania Konnerth. Es geht darum, dass Sie Ihren eigenen Weg bewusst und achtsam gehen, um bei Ihrem Pferd anzukommen. Oft versuchen wir die Wege zu gehen, die andere vorgeben und haben das Gefühl, uns zu verlaufen oder nicht in die Fußstapfen dieser Person zu passen.
Ihre Reise zu Ihrem Pferd beginnt damit, dass Sie sich fragen, wo Sie eigentlich gerade stehen. So gewinnen Sie an Orientierung. Dann überlegen Sie, wie das Miteinander aussehen könnte. Basis dafür ist Respekt, denn nur so können sich Mensch und Pferd wirklich ausdrücken und entfalten. Auch die Führung ist wichtig: Wer entscheidet über den Weg und wie sieht das aus? „Gute Führung basiert auf Vertrauen und wenn wir Führung nicht als Ausübung von Gewalt verstehen, dann steht an, sich mit den Möglichkeiten einer pferdegerechten Kommunikation zu befassen“, betont unsere Expertin und fügt hinzu: „Hierfür müssen wir mindestens genauso viel lernen wie die Pferde und vor allem müssen wir immer wieder unser Tun reflektieren.“ Wenn Sie den Weg auf diese Weise gehen, findet eine stetige Entwicklung statt. Freuen Sie sich darauf, immer wieder etwas Neues zu erfahren und zu lernen. Wir stellen Ihnen zehn Wege zu Ihrem Pferd vor. Dabei können Sie sich ein Notizbuch zur Hand nehmen und die Reflexionsfragen beantworten. So bekommen Sie einen besseren Überblick über Ihren Standpunkt und mögliche passende Richtungen.
1. Orientierung
Das Zusammensein von Mensch und Pferd kann sehr unterschiedlich aussehen. Im ersten Schritt geht es darum, dass Sie sich einen Überblick verschaffen. Auf welchem Weg befinden Sie sich gerade und sind Sie bereit zu reflektieren und eventuell neue Wege auszuprobieren? Wir alle kennen Momente, in denen wir auf die Vergangenheit blicken und merken, dass wir uns weiterentwickelt haben. Dass wir eine andere Richtung eingeschlagen haben und wahrscheinlich nicht mehr so denken oder handeln würden wie damals.
Vielleicht haben Sie schon einmal falsche Ratschläge angenommen und waren eventuell strenger zu Ihrem Vierbeiner, als Sie es eigentlich wollten. „Ein schlechtes Gewissen ist immer ein Anzeichen dafür, dass etwas falsch läuft“, sagt Konnerth. „Es weist uns jedoch den Weg zu nötigen Veränderungen in unserem Verhalten.“ Entscheidend sei, Irrwege zu erkennen und etwas zu verändern. „Wir dürfen Fehler machen auf unserem Weg, solange wir aus ihnen lernen. Pferde können eines wie kein anderer: uns immer wieder neue Chancen geben“, so unsere Expertin. Veränderungen gehören zum Leben dazu, und kaum ein Weg mit Pferden verläuft immer geradlinig. Es gibt mal bessere und mal schlechtere Zeiten. Menschen neigen dazu, alles festhalten zu wollen. Dann können Veränderungen zur Gefahr werden. Wenn Sie sich allerdings auf den Wandel einlassen und sozusagen die Wellen reiten, wie sie kommen, werden Sie deutlich weniger Widerstand spüren.
Reflexionsfragen
• Wo stehen Sie gerade auf Ihrem Weg zum Pferd, und wie geht es Ihnen damit?
• Wo würden Sie gerne hinkommen?
• Welche Veränderungen begrüßen beziehungsweise fürchten Sie?
•Worüber sind Sie im Umgang oder Miteinander mit Ihrem Pferd unglücklich? •Wie könnten Sie einen anderen Weg finden, und was brauchen Sie dafür?
Tipp
Plötzlich sind Sie völlig genervt von Ihrer Stallkollegin oder von Ihrer Reitbeteiligung. Oft fallen uns an anderen genau die Dinge auf, die wir an uns selbst ablehnen. Achten Sie daher bitte darauf, was Sie bei anderen Reitern ablehnen. Fragen Sie sich: Was könnte das mit Ihnen zu tun haben?
2. Miteinander
Totilas war für viele ein Traumpferd. Für ihn selbst war sein Leben jedoch alles andere als ein Traum. Menschen neigen zum Romantisieren. Ein wahres Miteinander mit unserem Pferd finden wir nur, wenn wir unsere Wunschvorstellungen und Ansprüche überprüfen. Sind es wirklich unsere eigenen, oder sind sie zum Beispiel durch Medien wie Instagram oder die Meinungen anderer geprägt? Das heißt nicht, dass Sie aufhören sollen zu träumen. Aber geben Sie Ihrem Pferd nicht das Gefühl, nicht genug zu sein. Schließlich hat die Realität doch viel Schönes zu bieten: echte Nähe, tiefe Begegnungen, Vertrauen und wundervolle Momente. Pferde sind keine Sachen, die einfach funktionieren und selbst das treueste Pony kann sich mal erschrecken. Deshalb ist es aber kein untreues Pony, sondern einfach ein Tier mit natürlichen Instinkten und Verhaltensweisen.
Probieren Sie dankbar für das zu sein, was Sie haben und Ja zu dem zu sagen, was ist. „Darin zeigen sich Geschenke, die man zuvor für nicht möglich gehalten hat“, betont Tania Konnerth. Am Anfang steht also immer das Ja zum Pferd. Dann erst kann es um Ausbildungswege oder Konzepte im Umgang gehen. Wenn es Ihnen gelingt sich einmal ganz auf Ihren Vierbeiner einzulassen, öffnen sich kleine Fenster und Türen. „Ich weiß genau, wie schwer es ist, Erwartungen loszulassen. Gleichzeitig aber weiß ich auch, wie sich das Miteinander anfühlen kann, wenn wir bereit sind, nicht nur unsere Vorstellungen durchzusetzen, sondern wenn wir uns führen lassen vom Pferd und bereit für das sind, was es uns schenken kann und will“, so unsere Expertin.
Reflexionsfragen
• Wie stellen Sie sich Ihr Traumpferd vor? • Was würden Sie gerne an Ihrem Pferd verändern?
• Halten Sie stark an Ihren Wunschvorstellungen fest?
• Sagen Sie wirklich Ja zu Ihrem Pferd, und wie fühlt sich das Ja an?
Tipp
Hetzen Sie nicht in den Stall, sondern halten Sie inne, bevor Sie zu Ihrem Pferd gehen, und freuen Sie sich bewusst auf die Begegnung. Nehmen Sie zunächst nur wahr und halten Sie dabei etwas Abstand. Beobachten Sie die Mimik und Gestik Ihres Pferdes. Diese Übung zur Schulung der Achtsamkeit können Sie auch in anderen Situationen, zum Beispiel beim Putzen, durchführen.
3. Respekt
Müssen Pferde wirklich zum Respekt erzogen werden, oder sind es nicht viel öfter die Menschen, die keinen wirklichen Respekt vor dem Tier zeigen? „Keine Frage, Respekt ist die Basis für einen achtsamen Umgang mit jedem Lebewesen und deshalb auch mit dem Pferd. Respekt beginnt aber immer bei uns selbst“, gibt Tania Konnerth zu bedenken. „Pferdegerecht ausgebildet und behandelt erfüllen sie ihre Aufgaben oft mit großem Stolz, ja, sogar mit Begeisterung und schätzen es, gebraucht zu werden – aber nur dann, wenn ihnen der nötige Respekt entgegengebracht wird.“
Ein Pferd, dass sich nicht so verhält, wie der Reiter es sich wünscht, ist nicht unbedingt respektlos. Es gibt verschiedene Gründe, warum Pferde so reagieren, wie sie reagieren. „Kein Pferd auf der Welt hat je einen Vertrag unterschrieben, in dem es all dem zustimmt, was der Mensch mit ihm vorhat“, sagt unsere Expertin und rät die Erwartungen an unsere Vierbeiner zu überdenken. Pferde wollen uns nicht einfach ärgern, wenn eine Lektion nicht gelingt. Vielmehr sind sie von Natur aus auf Kooperation ausgerichtet. Sie wollen uns gefallen und versuchen, uns zu verstehen – selbst wenn wir unklar kommunizieren. Nehmen Sie sich die Zeit, Ihr Pferd wirklich kennenzulernen. Wenn Probleme auftreten, forschen Sie nach möglichen Ursachen. „Da Pferde nicht mit Worten kommunizieren können, ist es unsere Aufgabe, ihre Signale lesen und verstehen zu lernen. Und hier muss der Respekt vor dem Wesen Pferd die Basis bilden“, betont Tania Konnerth.
Reflexionsfragen
• In welchen Situationen erleben Sie Ihr Pferd als respektlos?
• Gibt es mögliche andere Interpretationen?
• In welchen Situationen sind Sie selbst eventuell respektlos Ihrem Pferd gegenüber?
• Was kann Ihnen helfen, respektvoller zu sein?
Tipp
Nehmen Sie sich Ihr Notizbuch und stellen Sie einen Timer auf zehn Minuten. Schreiben Sie nun den Satz „Pferde sind …“ auf und vervollständigen Sie ihn, ohne dabei groß nachzudenken. Schreiben Sie einfach auf, was Ihnen in den Sinn kommt. Anschließend lesen Sie sich durch, was Sie geschrieben haben. Was fühlen Sie dabei? Sind Ihre Gedanken in der Summe eher positiv oder negativ?
4. Führung
Einerseits liegt es in unserer Verantwortung, unser Pferd zu schützen, andererseits müssen wir aber auch sicherstellen, dass unser Pferd keine Gefahr für andere darstellt. Wir übernehmen also automatisch eine gewisse Führungsrolle. Doch es ist nicht generell so, dass die Rollenverteilung unverrückbar feststeht und der Mensch immer das Pferd führt. Führung kann sehr unterschiedlich aussehen. Wenn Sie denken, dass Sie immer der Boss sein müssen, stellen Sie die Weichen schnell auf ein Gegeneinander statt auf ein Miteinander. „Beobachtungen vom Miteinander wild lebender Pferde zeigen, dass die Idee einer festen Rangordnung nicht zutrifft, sondern dass Pferde ein hochkomplexes soziales Miteinander pflegen“, erklärt Tania Konnerth. „Und inzwischen ist auch wissenschaftlich bewiesen, dass Dominanzregeln dem menschlichen Denken entspringen und nicht pferdegerecht sind.“
Verabschieden Sie sich von Kontrollsucht und arbeiten Sie an Ihrer Souveränität: „Souveräne Menschen haben kein Problem damit, ihrem Pferd auch mal einen Scherz oder eine Unachtsamkeit durchgehen zu lassen, und sie werden auch bei Frechheiten oder Widersetzlichkeiten nicht gleich böse, sondern reagieren gelassen und mit Bedacht“, sagt unsere Expertin. Dabei ist gute Führung ein Dialog. Genauso wie Sie nicht auf jedes Pferd in jeder Situation gleich reagieren, reagiert auch Ihr Pferd nicht auf jeden Menschen immer gleich. Wichtig ist, dass Sie in Kontakt mit Ihrem Vierbeiner kommen und bleiben.
Reflexionsfragen
• Was verstehen Sie unter Dominanz?
• Welche Rolle spielt Dominanz im Umgang mit Ihrem Pferd?
• Glauben Sie, dass ein dominantes Auftreten Ihrem Pferd gegenüber helfen kann?
• Welche Alternativen oder anderen Wege gibt es dazu?
Tipp
Beschäftigen Sie sich mit dem Sozialverhalten von Pferden. So konnte in freier Wildbahn nicht beobachtet werden, dass es Pferden darum geht, ein anderes Mitglied der Herde grundsätzlich zu beherrschen.
5. Vertrauen
„Vertrauen sollte die Basis des gemeinsamen Weges bilden. Gleichzeitig ist Vertrauen auch immer das Ziel“, betont Tania Konnerth. Denken Sie daran, dass ein Vertrauensverhältnis sensibel ist – es kann schnell verspielt oder zerstört werden. Es geht nicht darum, dass Sie Ihr Pferd beherrschen. Machen Sie sich auch bewusst, dass es nie eine hundertprozentige Sicherheit im Umgang mit Tieren geben kann.
„Der einzige Weg, der meiner Erfahrung nach Sicherheit erhöht, ist für Vertrauen zu sorgen. Vertrauen ermöglicht Wachstum und Reife“, sagt unsere Expertin. Es sei nötig für ein gesundes Selbstvertrauen, Gelassenheit sowie innere Ruhe. Wenn ein Pferd gelernt habe, uns zu vertrauen, schließe es sich uns aus freien Stücken an. Mit einer solchen freien Entscheidung bekommen Sie das wertvolle Ja Ihres Pferdes. Es ermöglicht ein entspanntes und freudvolles Miteinander und sorgt für Sicherheit. Die Basis von Vertrauen ist Verständnis: Für die Natur des Pferdes aber auch für uns selber. Gegebenenfalls kann es hilfreich sein, wenn Sie an Ihrem eigenen Selbstvertrauen arbeiten, denn Selbstzweifel, Selbstkritik und Unsicherheiten beeinflussen Ihre Entscheidungen und Handlungen. „Vertrauen ist eine wechselseitige Beziehung, denn echtes Vertrauen entsteht nur, wenn beide Seiten einander vertrauen“, gibt Tania Konnerth zu bedenken. Beginnen Sie bei sich selbst und schaffen Sie ein stabiles Fundament.
Reflexionsfragen
• In welchen Situationen erleben Sie das Vertrauen Ihres Pferdes?
• Wie fühlen Sie sich dabei? • Was hilft Ihnen, Vertrauen zu Ihrem Pferd aufzubauen?
• Gehen Sie im Umgang mit Ihrem Pferd davon aus, dass es gegen Sie arbeitet?
Tipp
Wenn Sie Vertrauen erreichen wollen, müssen Sie daran arbeiten, Ihr Pferd zu verstehen. Dazu gehört auch, Lösungen zu entwickeln, die zu Ihrem Vierbeiner passen. So können Sie Ihr Pferd fördern und vermeiden jeden Zwang.
6. Kommunikation
Hilfen geben allein ist noch keine gute Kommunikation. Welche Kommunikationsmittel wir wählen, hängt auch von unseren Grundüberzeugungen ab. So bevorzugen die einen sanfte Ausbildungsmethoden, während andere auf Hilfszügel und Co. setzen. Dabei sind nicht alle Arten pferdegerecht. Ein Pferd in einen Zustand der erlernten Hilflosigkeit zu versetzen oder Signale mit Gewalt durchzusetzen ist immer falsch. Dazu sagt Tania Konnerth: „Pferde reagieren auf feinste Signale und Stimmungen von uns Menschen und können uns oft besser lesen als wir selbst. Sie sind Meister in der Deutung von Körpersprache und unbewussten Signalen. Darauf reagieren sie dann oft folgerichtig, was für den Menschen aber aussieht, als würden sie sich zum Beispiel verweigern und widersetzen oder frech sein und aufmüpfig.“ Strafe erzeugt Frust, Stress sowie Angst und verhindert eine konstruktive Kommunikation.
Greifen Sie bei der Kommunikation nicht einfach auf alte Gewohnheiten zurück. „Wir sollten uns auch bewusst machen, dass wir selten so klar kommunizieren, wie wir glauben, im Gegenteil, wir senden oft Gegensätzliches aus“, erklärt unsere Expertin. Machen Sie Ihrem Pferd das Verstehen so einfach wie möglich. Handeln Sie dazu vorausschauend und vermeiden Sie potenzielle ‚Fehler‘, die Ihr Pferd machen kann, damit Sie so wenig wie möglich korrigierend einwirken müssen.
Reflexionsfragen
• Wie kommunizieren Sie mit Ihrem Pferd, und warum auf diese Art?
• Kommunizieren Sie mit allen Pferden gleich?
• Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Pferd Sie gut versteht?
• Welche anderen Kommunikationsmethoden könnten Sie ausprobieren?
Tipp
Entwickeln Sie gemeinsam mit Ihrem Pferd eine eigene Sprache. Erkunden Sie behutsam, worauf es wie reagiert. So zeigen manche Vierbeiner beispielsweise bessere Reaktionen auf Stimmsignale als auf körperliche Hilfen. Andere brauchen sichtbare Signale. Wichtig ist, dass Sie einen Kommunikationsweg finden, der für beide Seiten passt.
Text: Aline Müller Foto: www.Slawik.com