Im Dialog mit dem Menschen hat das Pferd sechs verschiedene Möglichkeiten zu reagieren. Wer seinen Vierbeiner genau beobachtet, lernt ihn in Teil 2 der HarmoniLogie®-Serie wirklich kennen und kann den Dialog mit ihm auf eine sachliche Ebene bringen. So können bewertende Ich-Emotionen außen vor bleiben 

Sie wollen Ihr Pferd besser verstehen? Dann schauen Sie doch einmal, welche Karte es im Dialog mit Ihnen zieht. Welche Karte, fragen Sie? Ja, denn die HarmoniLogie® arbeitet über das Erkennen von verschiedenen Spielkarten bzw. Funktionskreisen. Jeder Vierbeiner nutzt sie in unterschiedlicher Anzahl und Reihenfolge, abhängig vom Charakter und dem individuellen Lernmuster. „Der Charakter ist angeboren, wie eine gerade oder schiefe Nase. Das Lernmuster wird beeinflusst durch Lebenserfahrung, Erfolgsstrategien und Überlebenstricks“, erklärt Anne Krüger-Degener. In der Natur, innerhalb einer funktionierenden Herde werden insgesamt sechs Lernmus-ter abgefragt und eingeübt: Drängen und Bedrängen, Passivität, Flucht, Abwehr, devotes Verhalten und das aktive Angebot. Wenn ein Tier immer wieder mit einer Strategie, oder mehreren dieser Strategien, Erfolg hat, wird es sie auch in schwierigen Situationen als erste Idee anwenden. Das ist bei den Vierbeinern nicht anders als bei uns Menschen.

Verschiedene Optionen

Beim Erkennen dieser Muster geht es darum, das Pferd und seine Verhaltensweisen zu verstehen, um so die korrekte innere Haltung zu schulen. „So häufig wird gegen das Einverständnis des Pferdes gearbeitet – und dabei wäre es doch so nachhaltig, etwas mehr Intensität in die Beziehung zu investieren, um sich genau dieses Einverständnis zu holen. Es macht Spaß, den vierbeinigen Kollegen gut kennenzulernen und zu wissen, wie er tickt“, erklärt die Ausbilderin. Auf diese Weise lässt sich das Schulungstempo deutlich beschleunigen und die Beziehung zum Pferd bekommt eine ganz andere Basis. „Dank einer korrekten inneren Haltung kann ich mit Leichtigkeit an eine korrekte äußere Haltung gelangen. Deshalb sollten wir wissen, wie wir die Funktionskreise beeinflussen und verändern können. An dieser Stelle bin ich Partner und Coach für meinen Freund auf vier Beinen und kann ihm die bestmögliche Hilfestellung geben, um mit meinen Anforderungen zurecht zu kommen“, erläutert die Expertin.

Verändert der Mensch seinen Umgang mit dem Pferd, wird er auch vom Pferd eine veränderte Reaktion erhalten. „Also muss ich mich fragen, wie ich beispielsweise einwirken soll, wie meine Art der Berührung sein soll, damit sich etwas verändert. Nur diese Frage führt im direkten Dialog zu einer Weiterentwicklung“, so Anne Krüger-Degener. Durch das Erkennen der Signale der Pferde wird vor allem der Dialog zwischen Mensch und Tier auf eine sachliche Ebene gebracht. „Es geht darum, die Ich-Emotionen und persönlichen Interpretationen außen vor zu lassen und offen zu sein für Antworten der Pferde, die sie uns tatsächlich geben. Wir Menschen sollten deutlich mehr lernen, die Tiere zu beobachten anstatt sie zu bewerten“, sagt die Ausbilderin abschließend.

Spielkarte „Flucht“

„Flucht ist das eindeutige und absolut entschiedene körperliche wie geistige Verlassen einer Situation. Ein Pferd, das flieht, strahlt keine Freundlichkeit mehr aus. Es wird klein und klamm, der Schweif klemmt, der Hals ist lang, das Auge hat keinen Lidschlag, ist weitgestellt und der Mundwinkel nach hinten gezogen“, so die Expertin. Hat sich ein Pferd entschieden, den Ort des Geschehens zu verlassen, ist es auch mit Kraft nicht aufzuhalten. „Man kann und darf dem Pferd die Fluchtmöglichkeit aber nicht nehmen. Man sollte nur versuchen, sie zu vermeiden“, mahnt Krüger-Degener an. Das gelingt, wenn ein gutes Ausbildungskonzept vorliegt, bei dem der Vierbeiner so vernünftig und kleinschrittig geschult wird, dass er die Flucht gar nicht als Option wählt. „Ein bloßes (Weg-)Drängen in der Arbeit sollte auch nicht als Flucht verstanden werden. Nur, weil das Pferd sich von mir entfernt, flieht es noch lange nicht. Das erregt trabende Pferd, das keine echten Fluchtsignale zeigt, mag dem Reiter wohl entkommen, benutzt aber Wegdrängen als Abwehr. Hier wird oft der Funktionskreis verwechselt und die Menschen hantieren gerne mit dem Begriff der Angst, die beim Wegdrängen aber nicht vorhanden ist“, erklärt sie.

Spielkarte „Drängen & Bedrängen“

„Drängen und Bedrängen sind der Motor des Lebens. Neugierde, Lernverhalten, Hunger, Durst, Fortpflanzung, Fellpflege oder Rangordnungskämpfe gehören in diesen Funktionskreis, ohne den das Leben schlicht unmöglich ist“, erklärt die Expertin. Hierbei verlässt das Pferd seinen eigenen Tanzbereich und betritt den eines anderen. Es handelt sich also stets um eine räumliche Veränderung. „Die Handlungsintention kann dabei positiv, neutral oder negativ sein“, sagt sie. Freundlich oder aggressiv? Einem Pferd, das sich einem Menschen zuwendet – zunächst mit dem Kopf, den Ohren und dem Blick, dann mit dem Hals – und sich schließlich mit dem gesamten Körper in weichen Bewegungen auf diesen zubewegt, kann man positives Drängen unterstellen. Ebenso aber kann es mit einer Wulst über den Augen, mit nach hinten geklappten Ohren, Spannung im Maul und Hals und schmal gezogenen Nüstern auf den Menschen zugehen. Dann ist seine Intention nicht so freundlich, sondern von Aggression und Anspannung geprägt. Auch das Scharren, Aufstampfen und Aufwölben des Halses sowie Prusten zählen dazu. Unter dem Sattel kann sich Drängen durch Auf-das-Gebiss-Beißen und Losrennen zeigen.

Diese kluge und lebensnotwendige Reaktion braucht eine klare Führung, damit das Miteinander gesund bleibt. „Grundsätzlich ist jeder Funktionskreis dann störend, wenn man ihn nicht mehr beeinflussen kann. Wenn ich die Nähe nicht mehr mit Leichtigkeit gegen Distanz tauschen kann, nennen wir das übergriffig – und es wirkt distanzlos. Kann ich aber jederzeit für eine gesunde Distanz sorgen, dann ist Nähe auch kein Problem“, so die Ausbilderin.

Text: Inga Dora Schwarzer     Foto: www.Slawik.com

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