In unserer September-Ausgabe (09/2014) graben wir eine „vergessene“ Reiterhilfe aus: Der Bügeltritt. Im Laufe der Reiterausbildung sollt die Sichtbarkeit der Hilfen Stück für Stück schwinden. Der Bügeltritt allerdings, bleibt von vornherein kaum sichtbar. Eine feine Gewichtshilfe, die dem Pferd in vielerlei Hinsicht zugute kommt. Lesen Sie hier das komplette Interview mit Dressurausbilder Dr. Thomas Ritter:
Trittsichere Tradition Mit Druck im Bügel feiner Reiten Mein Pferd: Wie würden Sie in drei Sätzen einem Reitanfänger den Bügeltritt erklären? Dr. Thomas Ritter: „Beim Bügeltritt übt der Reiter einen leisen Druck mit den Zehen oder dem Ballen auf den Steigbügel aus (wenige Gramm genügen meist schon). Dadurch wird das gemeinsame Gewicht von Reiter und Pferd vermehrt durch das Pferdebein in den Boden geleitet, welches sich in diesem Augenblick auf dieser Seite auf dem Boden befindet. Das Pferdebein hinterlässt quasi einen etwas tieferen Abdruck im Boden und kann durch das Gewicht etwas länger auf dem Boden festhalten, wodurch man das Tempo beeinflussen kann.“ Wieso wird der Bügeltritt heute nur noch so selten angewandt? „Das ist eine gute Frage. Ich habe darauf auch keine Antwort. Ich weiss, dass viele gute Reiter aus allen Bereichen der Reiterei instinktiv mal den einen oder anderen Bügel mehr belasten oder mehr austreten, aber ich kenne niemanden, der die Tradition der alten Spanischen Reitschule in der Hinsicht weiterführt, dass er systematisch, gezielt und bewusst ganze Sequenzen von Bügeltritten anwendet, um eine bestimmte Veränderung in Gang und Haltung des Pferdes herbeizuführen.“ Denken Sie, dass der Bügeltritt wieder häufiger gelehrt werden sollte? „Ich finde, dass jeder Reiter ständig versuchen sollte, seinen Horizont zu erweitern und seinen „Werkzeugkasten“ zu vergrößern, damit er immer effizienter immer mehr Probleme lösen kann. Der Bügeltritt ist kein Allheilmittel und keine Wunderwaffe, aber es ist eine sehr effektive Abrundung und Ergänzung der anderen Hilfen, die es dem Reiter erlaubt, sich noch präziser und differenzierter mit seinem Pferd zu unterhalten, was dazu führt, dass das Pferd schneller verstehen kann, was man ihm zu erklären versucht.“ Welchen Vorteil hat der Bügeltritt gegenüber anderen Reiterhilfen? „Der Bügeltritt ist nicht besser oder schlechter als andere Hilfen, aber er unterstützt und ergänzt sie sehr gut. Dadurch, dass er eine sanfte Hilfe ist, die sich in den Bewegungsablauf einfügt und diesen von innen heraus modifiziert, finden die meisten Pferde sie angenehm. Durch die Kombination von Bügel und Zügel verstehen und akzeptieren viele Pferde auch die Zügelhilfe besser.“ Ab welchem Ausbildungsstadium sollte sich der Reiter mit dem Bügeltritt auseinandersetzen? „Um den Bügeltritt wirklich effektiv einsetzen zu können, braucht der Reiter einen unabhängigen Sitz. Von daher gesehen kann man sagen, dass es eine Technik für fortgeschrittene Reiter ist. Andererseits ist die Grundvoraussetzung für den gezielten Einsatz jeglicher Hilfengebung, dass der Reiter spürt, welches Bein sich gerade am Boden oder in der Luft befindet, ganz gleich, ob man eine Schenkel-, Zügel, Gewichts- oder Bügelhilfe geben will. Und das ist etwas, dass man dem Schüler nicht früh genug beibringen kann. Ich erkläre schon bei Sitzübungen an der Longe den Schülern immer, wie sie fühlen können, wann welches Bein auffußt. Es dauert natürlich eine geraume Zeit, bis der Reiter das zuverlässig fühlt, aber je früher man anfängt, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, desto früher lernt man es.“ Ist es ratsam sich selbst in der Hilfengebung zu testen, oder sucht man sich hierzu lieber einen qualifizierten Trainer?
„Mit Anleitung durch einen guten Ausbilder kommt man natürlich schneller vorwärts, aber man kann auch im Dialog mit dem Pferd sehr viel lernen, indem man eine Hilfe gibt und die Reaktion des Pferdes beobachtet. Je nachdem, ob diese positiv oder negativ ausfällt, kann man die Hilfe entweder wiederholen, modifizieren oder durch eine andere ersetzen. Als Antwort auf jede Einwirkung des Reiters wird das Pferd entweder etwas besser oder etwas schlechter. Durch dieses Feedback kann sich jeder Reiter mit Hilfe des Pferdes selbst sehr viel beibringen in Bezug auf die passende Hilfengebung für sein Pferd.“ Kann es sein, dass viele Leute den Bügeltritt nicht anwenden, weil ihnen das Gespürt dafür fehlt? „Ich glaube eher, dass viele Reiter den Bügeltritt nicht anwenden, weil sie entweder noch nie etwas davon gehört haben, weil es ihnen noch nie jemand erklärt hat, oder weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass so etwas wirklich funktioniert. Ich selbst war anfangs auch skeptisch. Als ich aber gefühlt habe, was für tiefgreifende Veränderungen man damit beim Pferd hervorrufen kann, habe ich angefangen, mich damit intensiver zu beschäftigen. Alles, was mich besser reiten lässt, ist für mich ein lohnendes Forschungsprojekt.“ Kann man grundsätzlich jedes Pferd über den Bügeltritt im Bewegungsablauf beeinflussen? „Ja. Selbst sehr junge Pferde reagieren sehr schnell auf die Gewichtsverlagerung, die der Bügeltritt kommuniziert. Die einzigen Pferde, bei denen der Bügeltritt nicht nur nicht funktioniert, sondern sogar schadet, sind die verhaltenen, die sich hinter dem Kreuz und Schenkel verkrochen haben.“ Gibt es einen „Mindestausbildungsstand des Pferdes“ bevor es mit dieser Hilfe konfrontiert wird? „Man kann schon bei einem sehr jungen Pferd anfangen, es mit dieser Hilfe bekannt zu machen, genauso, wie man es mit allen anderen Hilfen vertraut macht. Der Bügeltritt ist eine Gewichtshilfe und dadurch dem Pferd intuitiver verständlich als Schenkel- und Zügelhilfen, die ihm erst erklärt werden müssen. Komplexere Einwirkungen durch den Bügel kommen aber erst im Laufe der Ausbildung.“ Welche Lektionen lassen sich besonders gut durch den Bügeltritt verbessern? „Im Grunde kann man alle Lektionen durch Bügeltritte unterstützen: Seitengänge, Pirouetten, Piaffen, Passagen, Trabverstärkungen, die Versammlung, die Geraderichtung, den Schwung, die Losgelassenheit, die Anlehnung, die Übergänge. Man muss nur die richtige Bügeltrittkombination für jedes einzelne Pferd und jede einzelne Aufgabe finden, was nur durch Experimentieren möglich ist. Umgekehrt kann man auch ohne Bügeltritt Pferde sehr gut bis Grand Prix ausbilden. Er ist also nicht unabdingbar, sondern nur eine sehr effektive Unterstützung von Gewicht, Kreuz, Schenkel und Zügel. Er muss, wie alle anderen Hilfen auch, immer sinnvoll in das Orchester der Hilfen eingebunden sein.“ Portrait: Dr.
Thomas
Ritter
bildete
bereits
zahlreiche
Reiter
und
Pferde
bis
zur
hohen
Schule
aus.
Er
beschäftigt
sich
insbesondere
mit
dem Zusammenhang
zwischen
Haltung,
Gleichgewicht
und Muskulatur
sowie dem
Einfluss,
den
die Dressurlektionen
auf Muskelgruppen
ausüben.
Seine
Lehrmeister
waren
unter
anderem
Dorothee
Baumann- Pellny,
Thomas
Faltejsek
sowie
Egon
von
Neindorff.
Über
den
Bügeltritt
schreibt
er
umfangreich
in
seinem
Buch
„Klassisches
Reiten
auf
Grundlagen
der
Biomechanik“.