Interview: Nicole Audrit Foto: Slawik
Es gibt kleine und große, dicke und dünne Menschen – ein paar Rundungen sind kein Grund, aufs Reiten zu verzichten. Allerdings sollte das Pferd passend ausgesucht werden. Nicht alle Vertreter einer Robustpferderasse sind zwangsläufig Gewichtsträger. Worauf es beim Körperbau wirklich ankommt, erklärt Dr. Annette Herling, Fachtierärztin für Pferde.
In Verkaufsanzeigen liest man häufig: „Das Pferd ist Gewichtsträger und deckt auch schwere Reiter ab.“ Gibt es überhaupt Gewichtsträger? Und wenn ja, was macht sie aus?
Das Zuchtziel „Gewichtsträger“ gibt es nicht, es gibt vor allem Dressur-, Spring-, Vielseitigkeits-, Renn-, Zucht- und Zugpferde. Das Einsatzgebiet „Gewicht tragen“ ist in der gemeinsamen Geschichte von Pferd und Mensch nur eine Nische, beispielsweise bei der Bundeswehr. Hier gibt es im Rahmen der deutschen Gebirgstruppe das „Einsatz- und Ausbildungszentrum für Tragtierwesen 230“ in Bad Reichenhall, welches der Aus- und Weiterbildung von Tragtieren sowie der Weiterentwicklung des militärischen Tragtierwesens dient. Eine Zucht findet allerdings nicht statt, es werden geeignete Tiere zugekauft. Dabei kommen vor allem Haflinger und Maultiere zum Einsatz, da sie sich dank mittlerer Größe und kräftigem Körperbau mit einer gewissen Geschicklichkeit am besten für das Tragen von Gewicht im unwegsamen Gelände eignen. Eine ähnliche Situation findet sich in den Gebirgsregionen des Mittelmeerraumes. Hier hat der Esel als kleines, aber kräftiges und gebirgsgängiges Tier über Jahrhunderte wertvolle Arbeit geleistet. Es gibt sie also, die Gewichtsträger. In unseren Verkaufsanzeigen erwartet man dann aber eher ein mittelgroßes bis großes, kräftiges, eher im Kaltbluttyp stehendes Pferd. Also nach dem Motto: Wer selbst groß und gut bemuskelt ist, kann auch viel tragen.
Gibt es bestimmte Pferderassen, die mehr Gewicht tragen können als andere?
In diesem Zusammenhang werden oft Isländer und Haflinger als Gewichtsträger genannt. Generell gilt, wer selbst kräftig gebaut ist, kann auch mehr tragen. Es werden also eher Pferde mit Kaltblutvorfahren sein. Auch ein kurzer, gut bemuskelter Rücken und dicke Knochen suggerieren eine Eignung als Gewichtsträger. Grazile Pferde mit Vollblut- oder Araberanteilen in ihrer Zuchtgeschichte sind da außen vor. Gewichtsträger gehen in der Regel auch die Hauptgangart Schritt, also viel im Gelände. Trab und Galopp sind eher wenig gefordert. Haflinger und Isländer sind auch über die Jahrhunderte neben der Reittauglichkeit auf Genügsamkeit und Transport selektiert worden. Auch sie sind mittelgroß und haben eher kräftige Muskeln.
Gibt es eine Faustformel, wie viel Gewicht ein Pferd tragen kann?
Eine Faustformel gibt es nicht, da viele Faktoren zu berücksichtigen sind. Letztlich hängt es unter anderem vom Training des Tieres ab. Langsame Steigerung des Reiter- oder Traggewichtes trainiert die Muskulatur, Sehnen und Knochen und führt allmählich zu größerer Tragkraft. Natürlich spielen Faktoren wie Eigengewicht und Größe des Pferdes, seine natürliche Muskelmasse, die Länge des Rückens sowie eine trainierte Bauchmuskulatur des Pferdes ebenso eine Rolle wie der geschmeidige Sitz und die Einwirkung des Reiters.
Woran merkt man, dass ein Pferd gewichtsmäßig überlastet ist?
Ein Pferd ist gewichtsmäßig überlastet, wenn es nicht in der Lage ist, das Reitergewicht mit einem aufgewölbten Rücken zu tragen, und aufgrund des Gewichts keinen Schwung entwickeln kann. Auch vermehrtes Stolpern oder Wechsel in eine niedrigere Gangart können Hinweise für Überanstrengung sein. Für all diese Anzeichen gibt es aber auch andere Ursachen. Als guter Anhaltspunkt sollte das Pferd grundsätzlich den Reiter „abdecken“, und beide sollten zusammen ein harmonisches Gesamtbild abgeben.
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