Interview: Karin Tillisch       Foto: www.Slawik.com

Wir haben folgenden Experten – sowohl Pferdetrainern als auch Züchtern – Fragen  zum Thema „Ein Hengst in Freizeitreiterhand?“ gestellt:

Debbie Didier: Züchterin von Friesenpferden mit eigenem Nachwuchshengst, Trainerin für klassisches Reiten aus Luxemburg. www.facebook.com/debbie.didier.7

Uschka Wolf: Züchterin von Quarter Horses mit eigenem Hengst, Trainer A Westernreiten. www.uschka-wolf.de

Astrid Oberniedermayr: Pferdetrainerin, Showreiterin, Gangpferdeexpertin und Hengstbesitzerin. www.service-ums-pferd.de

Ralf Nick: Westernpferdetrainer, Besitzer mehrerer erfolgreicher Quarter-Horse-Hengste, man findet ihn auf Facebook.

Dieter Hämmerle: Züchter von Quarter Horses und Quarter Ponys mit eigenen Hengsten, Westernpferdetrainer. www.redrockranch.de

 

Wie erklären Sie sich die ungebrochene Faszination vieler Freizeitreiter für Hengste?

Debbie Didier: Der Traum aller „Mädchen“, jeder möchte ein ausdrucksstarkes Pferd sein eigen nennen können, da ist der Hengst ja Perfekt dazu!

Uschka Wolf: Ein Hengst strahlt Kraft, Stolz, Männlichkeit und Schönheit aus … das ist etwas, mit dem sich Mann/Frau natürlich gerne zeigt. Allerdings sind das auch alles Eigenschaften, die den Hengst schnell in eine Führungsposition bringen.

Astrid Oberniedermayr: In Deutschland werden über 74 Pferderassen vermarktet, und auf den Messen und Shows werden häufig die Hengste als Rassevertreter präsentiert. Kraftvoll, schöner Hals, langer Behang und Imponiergehabe sind oft das, was den Menschen und also auch den Freizeitreiter fasziniert.

Ralf Nick: Ist das so? Ich kenne aktuell keinen Freizeitreiter, der Hengstbesitzer ist!

Dieter Hämmerle: Ein Hengst war schon immer das Sinnbild für Kraft, Stolz und Freiheit. Das übt schon eine gewisse Faszination aus. Und es ist einem auch die Bewunderung des Umfeldes sicher, wenn man einen Hengst hat. Man kann einen Hengst fast schon als Statussymbol bezeichnen.

Was muss Ihrer Meinung und Erfahrung nach ein Pferdemensch an Können und Co. mitbringen, um einem Hengst das zu bieten, was dieser braucht?

Debbie Didier: Ein guter Umgang mit Pferden, keine Angst aufweisen, wenn er sich mal „groß“ macht,  artgerechte Haltung, Abwechslung im Training!

Uschka Wolf: Selbstbewusstes Auftreten. Klares, emotionsfreies Handeln mit dem Wissen über das Verhalten der Pferde und eine sehr genaue Körpersprache. Um einen Hengst ausgeglichen handhaben zu können, muss man schlichtweg die Ruhe in Person sein– am Boden wie im Sattel!

Astrid Oberniedermayr: In erster Linie muss ein Hengsthalter eine Persönlichkeit und Ausstrahlung haben, die dem Hengst die Sicherheit und das Vertrauen gibt, sich ihm anschließen zu können. So ein Hengst ist nichts für schüchterne, ängstliche Menschen, denn diese verunsichern das Tier, und die Folge ist, dass er selbst entscheiden und handeln muss. Das kann zu problematischen Situationen führen. Prinzipiell gehört natürlich auch immer Erfahrung, Pferdesachverstand und Pferdefachverstand, Kenntnisse über Herden- und Hengstverhalten dazu.

Ralf Nick: Ein klares System, in dem sich der Mensch gut auskennt und sicher ist, damit er dem Hengst von Anfang an klare Strukturen vermitteln kann.

Dieter Hämmerle: Man muss jahrelange Erfahrung im Umgang und Training mit Hengsten schon sammeln können, bevor man daran denken kann, sich selbst einen zuzulegen. Dies ist aber leider oft nicht möglich.

Was für ein Umfeld, Stall, Trainer, welche anderen Pferde etc. braucht es Ihrer Meinung nach, dass ein Hengst artgerecht und glücklich leben kann? 

Debbie Didier: Herdenhaltung ist meiner Meinung nach perfekt! Wenn schon Boxenhaltung, dann zwischen anderen, nicht abgegrenzt! Man sollte individuell ein Trainingsprogramm zu seinem Hengst anpassen. Ausreiten als Ausgleich zum Training in der Halle. Ein guter Trainer, der sich auch mit Hengsten auskennt!

Uschka Wolf: Auch wenn die vorher genannten Vorraussetzungen beim Menschen da sind, braucht es zur Unterstützung noch einen kompetenten Trainer. Ist dies nicht gegeben, muss auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass sich im direkten Umfeld des Hengstes keine Stuten befinden! Wirklich artgerecht wäre für einen Hengst, auch mit anderen Hengsten um „seine“ Stuten kämpfen zu können.

Astrid Oberniedermayr: Artgerecht und glücklich ist jedes Pferd am ehesten in der Herde auf der Weide. Das gilt natürlich auch für die Hengste, die oft in Hengstherden oder auch in einer Wallachherde ein glückliches Leben führen können. Geht das nicht, dann sollten mindestens Hengstkoppeln zur Verfügung stehen, die Bewegung und Auslauf auch ohne den Reiter ermöglichen. Reine Boxenhaltung, weil der Hengst auf der Koppel nur herumrennt und schreit, lehne ich ab. Da würde ich ihn dann eher kastrieren lassen. Prinzipiell sollte ein Hengst nur in erfahrene Hände gelangen.

Ralf Nick: Welches unserer Pferde lebt schon artgerecht? Artgerecht bedeutet, sich selbst überlassen mit unendlich viel Fläche mit all den Gefahren und Freiheiten und Möglichkeiten, die eine wild lebende Herde so hat. Wir Reiter benutzen die Pferde für etwas, für das die Evolution sie nicht geschaffen hat. Alleine deshalb ist meiner Meinung nach wirklich artgerechte Haltung kaum machbar.

Dieter Hämmerle: Die meisten normalen Pensionsställe sind mit den „logistischen“ Besonderheiten, die man beachten muss, wenn man Hengste auf dem Hof hat, überfordert. Denn einen Hengst direkt auf eine Koppel neben eine Herde rossiger Stuten zu stellen und hoffen, dass das gutgeht, das ist schon sehr naiv. Spezielle Hengstweiden etwas außer Sichtweite der Stuten, auch ein eigener Stalltrakt für die Hengste macht den Hengsten und den Menschen das Leben dann doch wesentlich angenehmer.

Würden Sie sagen, zum glücklichen und artgerechten Leben gehört für einen Hengst auch das natürliche Ausleben seiner Sexualität dazu? Oder geht’s auch glücklich und zufrieden im Junggesellentrupp?

Debbie Didier: Ich denke, im Junggesellentrupp ist schon recht toll für die Tiere, wo sie unter sich kleine Kämpfe austragen oder sich einfach gegenseitig kratzen können.

Uschka Wolf: Die meisten Hengste wären lieber Wallache, und meiner Ansicht nach sollten alle männlichen Pferde kastriert werden, die nicht in der Zucht eingesetzt werden. Diese können ihrer Aufgabe als Vererber dann nachkommen und die kastrierten haben ein entspannteres Leben! Ansonsten muss man sagen, Hengste sind eigentlich am Glücklichsten unter Wallachen in einer Junggesellentruppe – Stuten bringen da einfach alles durcheinander.

Astrid Oberniedermayr: Mit Sicherheit ist ein Hengst besonders zufrieden in einer Stutenherde, wo er seinen Arterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb ausleben kann. Aber das geht nun mal nur bei Zuchtpferden bzw. bei Pferdehaltern, die züchten möchten. Das sind jedoch die wenigsten der Freizeitreiter. Es gibt bei den vielen Rassen sehr unterschiedliche Charaktere bei den Hengsten. Viele sind sehr ausgeglichen und zufrieden, auch ohne diese Möglichkeit, die sie womöglich auch nie kennengelernt haben. Dann gibt es wieder Hengste, die bereits in der Herde gedeckt haben, und im Frühjahr geht die Unruhe los. Man kann das nicht pauschal über einen Kamm scheren.

Ralf Nick: Einen Hengst zu halten, den man nicht zur Zucht einsetzen will, macht meiner Meinung nach keinen Sinn.

Dieter Hämmerle: Natürlich. Jeder Hengst wird von dem Instinkt getrieben, sich seine eigene kleine Familie zu erschaffen. Ihm dies nie auch nur im Ansatz zu ermöglichen, ist nicht in Ordnung. Dann lieber kastrieren und ein glücklicher, triebfreier Wallach in einer gemischten großen Herde werden!

Würden Sie einem Freizeitreiter zu einem Hengst raten oder eher nicht – und warum?

Debbie Didier: Wenn es ein blutiger Anfänger ist, eher nicht, weil ich finde, man muss sich schon behaupten können, vor allem, wenn auch noch andere Pferde (Stuten) in der Nähe sind. Man sollte das Pferd unter Kontrolle haben und keine Angst haben!

Uschka Wolf: Auf gar keinen Fall, da dem Freizeitreiter meistens die Erfahrung im Vorfeld mit Hengsten komplett fehlt. Daher wird das leider in 99 % aller Fälle auf Dauer richtig schiefgehen.

Astrid Oberniedermayr: Das kommt auf die Definition des „Freizeitreiters“ an. Handelt es sich um einen Reiter mit der richtigen Persönlichkeit, Erfahrung und Können im Umgang mit Pferden, hat er genügend Zeit und kann dem Hengst genügend Auslauf bieten, warum sollte er dann keinen Hengst haben? Leider ist es aber häufig so, dass Pferdekaufinteressenten einen braven, gut erzogenen Hengst z. B. in Spanien oder Portugal probereiten, in der Folge kaufen und zu Hause dann nicht mehr mit dem Hengst zurechtkommen. Der Hengst ist entwurzelt, verunsichert und aufgeregt. Das Verhalten eines solchen Hengstes kann dann sehr imponierend und beängstigend werden. Das passiert viel zu oft, und der Leidtragende ist immer der Hengst. Den meisten Freizeitreitern würde ich deshalb zu einem Wallach oder einer Stute raten, die in der Herde gehalten werden können. Und allen Reitern würde ich zu Unterricht und Lernen raten, denn das hört beim Reiten nie auf.

Ralf Nick: Nein. Hengste brauchen mehr Führung und mehr Klarheit in ihrer Ausbildung und im täglichen Umgang als andere Pferde. Dafür muss der Mensch sehr erfahren und sicher sein in dem, was er tut.

Dieter Hämmerle: So toll, kraftvoll, leistungsbereit und schick Hengste auch sein mögen, für den Freizeitreiter ist das nichts. Ich kann davon nur abraten. Ein Hengst verlangt seinem Menschen mehr als doppelt so viel Konsequenz, Klarheit, Zeit und Einfühlungsvermögen ab wie ein netter Wallach. Und in der Decksaison, wenn das Testosteron schießt, ist es immer ein Tanz auf Messers Schneide, wenn der Hengst seinen Trieb nicht im geringsten ausleben darf, aber mehr oder minder umzingelt ist von rossigen Stuten. Tun Sie sich das nicht an! Legen Sie sich einen freundlichen, aufgeweckten Wallach zu – die können schließlich auch viel leisten und ganze Kerle sein!

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