Text: Alexandra Koch , Jessica Classen, Julia Schay-Beneke Foto: www.Slawik.com
Alles im Blick Pferde sehen anders als Menschen. Welche Besonderheiten das Sehen der Pferde hat, erklärt die Verhaltensforscherin Dr. Margit Zeitler-Feicht
Über die Jahrtausende entwickelte sich beim Flucht- und Beutetier Pferd eine nahezu 360 Grad umfassende Rundumsicht, die auch in der Dunkelheit deutlich besser als beim Menschen funktioniert. Allerdings sehen Pferde deutlich weniger scharf, und ihre Farbwahrnehmung unterscheidet sich ebenfalls von der unseren. Erkrankungen des Auges können bei Pferden ebenso wie beim Menschen entstehen, und häufig ähneln sie sich. So gibt es beim Pferd unterschiedliche Entzündungen sowie den Grauen und den Grünen Star. Ab und zu muss auch ein Auge entfernt werden, wie es jüngst bei Julia Krajewskis ehemaligen Spitzenpferd Samourai du Thot geschah.
Entfernung des Auges
Es kommt selten vor, aber ab und zu wird Pferden ein Auge entfernt. Bekannt sind mehrere Fälle bei Sportpferden wie dem jetzt als Deckhengst aktiven Cornado NRW, der unter Marcus Ehning große Erfolge im Parcours feierte. Bei diesem Pferd heilte eine Verletzung des rechten Auges über längere Zeit nicht aus, sodass entschieden wurde, es zu entfernen. Nach der OP und einer längeren Pause erlebte Cornado NRW 2019 noch einmal 16-jährig sein Comeback im Parcours und gewann mehrere Springen. Erst 2021 ging er in Sportrente.
Anders sieht es bei Vielseitigkeits-Olympiasiegerin Julia Krajewskis Pferd Samourai du Thot aus. Er laborierte über den Winter lange an einer Entzündung, welche das Auge arg in Mitleidenschaft zog. „Ich habe ihn zwischendurch auch wieder geritten, aber die Entzündung kam zurück, und es ging ihm wieder schlechter“, erinnert sich Julia Krajewski. Schließlich entschied man, dass die Entfernung des Auges der einzige Weg zur Besserung sei. Für „Sam“ bedeutete es mit 15 Jahren das Ende einer hocherfolgreichen Karriere, die ihn bis zu den Olympischen Spielen in Rio gebracht hatte. Die gute Nachricht ist allerdings: Sam ist heute wieder vollständig genesen und wird freizeitmäßig geritten. „Ihm geht es wirklich bestens, und darüber bin ich sehr, sehr glücklich“, so Julia Krajewski.
Immer wachsam
Das Pferd besitzt als Fluchttier in vielfacher Hinsicht große Vorteile gegenüber uns Menschen, andererseits sieht es völlig anders. „Pferde haben ein Gesamtgesichtsfeld von nahezu 360 Grad“, erklärt Verhaltensexpertin Margit Zeitler-Feicht. „Damit ist das Gesichtsfeld deutlich größer als beim Menschen, bei dem es um die 200 Grad liegt.“
Dreidimensionales Sehen ist beim Pferd vorhanden, jedoch nur im frontalen Bereich. Außerdem haben die Augen des Pferdes eine andere Art der Erfassung, als es beim Menschen der Fall ist. Jeweils ein Auge erfasst separat, was um es herum passiert. Beim Menschen wird mit beiden Augen gleichzeitig gesehen und entsprechend erfasst. Nur im Gesichtsfeld vor dem Pferd ist binokulares Sehen möglich. Daher sollte ein angsteinflößender Gegenstand beiden Augen des Pferdes gezeigt werden, damit es dessen Ungefährlichkeit verarbeiten kann. Beim Pferd gibt es vorne im Bereich der Nüstern und direkt hinter dem Pferd entlang des Rückens eine blinde Zone. Der Bereich des sogenannten räumlichen Sehens ist deutlich kleiner als beim Menschen: „Er liegt beim Pferd nur bei etwa 60 bis 70 Grad, beim Menschen sind es circa 120 Grad“, so Zeitler-Feicht. Beim Pferd sind sowohl die Sehstärke als auch das räumliche Sehen und das Entfernungssehen weniger gut ausgebildet als beim Menschen. Die Naheinstellung des Auges ist ebenfalls schlechter. Dies mündet in die Gefahr, dass Pferde beispielsweise dünne Drähte nicht wahrnehmen.
Pferde sehen Farben. Allerdings besitzen sie ein anderes Farbspektrum, das sie wahrnehmen können. „Rot ist beispielsweise beim Pferd keine Alarmfarbe“, betont Zeitler-Feicht. Pferde haben nur zwei unterschiedliche Zapfen für die Farbwahrnehmung und werden als Dichromaten bezeichnet, da sie nur zwei Farbspektren sehen. Der Mensch (sowie einige Primaten) ist ein sogenannter Trichromat. Für die Sehfähigkeit des Pferdes bedeutet dies, dass sich das Farbspektrum auf eine Gelb-Blau-Weiß-Präferenz konzentriert. Auch wenn die Anpassung an rasche Helligkeitsveränderungen langsamer funktioniert als beim Menschen, sind Pferde bei Helligkeitskontrasten besonders empfindlich. Daher rührt, dass sie etwa bei Lichtspielen am Boden scheuen. Sie nehmen diese deutlich intensiver als der Mensch wahr, da das Pferd über mehr Stäbchen, die für das Hell-Dunkel-Sehen verantwortlich sind, verfügt als wir Menschen.
Die Sehfähigkeit von Pferden in der Dunkelheit ist deutlich besser als beim Menschen. Bei hellem Mondlicht können Pferde Farben gut erkennen, doch bei größerer Dunkelheit nimmt diese Fähigkeit ab. Schneller als der Mensch kann das Pferd seine Sehfähigkeit von Dunkel auf Hell anpassen. Dies rührt ebenso von der evolutionären Entwicklung als Fluchttier her. Andersherum dauert es jedoch zwei bis drei Minuten. Das kann beispielsweise zu Schwierigkeiten führen, wenn ein Sprung im sonnenbeschienenen Parcours im Schatten steht. Was beim Pferd in derartigen Situationen, etwa im Parcours oder unterwegs beim Ausritt, auffällt: Die Bewegungssehschärfe ist deutlich besser als beim Menschen. Nicht umsonst kann das Pferd so manches „Gespenst“ im vollen Galopp erkennen. „Völlig regungslose Personen oder Gegenstände kann das Pferd kaum identifizieren“, erläutert Dr. Margit Zeitler-Feicht.
Mehr Informationen finden Sie in der Mein Pferd November- Ausgabe.