Die ersten grauen Stichelhaare, steife Bewegungen und ein veränderter Körperbau können erste Anzeichen des Alterns sein. Mit steigendem Alter ändern sich auch die Bedürfnisse an Futter, Haltung und Bewegung. Die Tierärztin Dr. Kathrin Irgang erklärt, wie man die tierischen Senioren lange fit hält
So wie wir Menschen altern auch unsere Pferde. Aber was bedeutet alt? Ist das Pferd zwanzig Jahre alt, lässt es sich mit einem 57-jährigen Menschen vergleichen. Geschätzt leben laut der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz in Deutschland etwa zehn bis 20 Prozent Pferde mit einem Alter von über 20 Jahren. Auch wenn Pferde ab 20 Jahren als alt eingestuft werden, sind viele von ihnen immer noch topfit. Mittlerweile kann ein Pferd weit über 20, teilweise sogar über 30 Jahre alt werden. Kaltblutrassen altern eher schneller, während Araber und Ponys oft langlebiger sind. Aber der Alterungsprozess ist so individuell wie der Charakter eines Pferdes. Natürlich spielen dabei auch die tierärztliche Unterstützung, eine ausgewogene Ernährung und eine artgerechte Haltung eine entscheidende Rolle. Dazu muss der Halter jedoch rechtzeitig reagieren. Das weiß auch Kathrin Irgang, eine Tierärztin aus Berlin: „Wichtig ist es, frühzeitig zu handeln. Ein altes Pferd muss weder dünn sein, noch muss es mit Zusatzfutter überfüttert werden!“
Senioren: Anzeichen des Alterns
Erste Signale können ein durchhängender Rücken und ein deutlich hervorstehender Widerrist sein. Gelenkprobleme wie Spat oder ein Senkrücken und schwindende Muskeln gelten ebenfalls als erste Anzeichen des Alterns. Vielen Pferden fehlen bereits Zähne, und das Kauen fällt oft schwerer. Dies führt zu Gewichtsverlust. Die Tierärztin erklärt: „Beobachten Sie Ihr Pferd genau: Beinhaltet der Kot beispielsweise viele lange Fasern oder sehr viele Körner? Wirft es vielleicht Wickel aus? Dann wird etwas mit den Zähnen nicht stimmen. Das kommt im Alter nicht gerade selten vor.“ Aber nicht nur äußerlich, auch innerlich machen sich altersbedingte Veränderungen bemerkbar. Vor allem das Immunsystem, aber auch Organe wie Niere, Leber, Herz, Magen oder Darm machen nicht mehr so gut mit wie bei jungen Tieren. Die Elastizität von Gelenken und Sehnen lässt langsam nach. Der gesamte Hormonhaushalt des Pferdes verändert sich ebenfalls, und das Tier wird anfälliger für Krankheiten.
Altersgerechte Pflege
Damit der Senior lange fit bleibt, bedarf er einer angepassten Pflege. Regelmäßige Impfungen und Entwurmungen sind wichtiger als je zuvor. An kalten Tagen benötigt das Tier gegebenenfalls eine Decke, um nicht zu frieren. Die Zähne sollten zweimal jährlich überprüft werden. Vor allem wenn Sie merken, dass das Tier Schwierigkeiten bei der Futteraufnahme hat oder Gewicht verliert, sollte der Tierarzt die Zähne kontrollieren. Wird das Gebiss regelmäßig untersucht, sind die Chancen gut, dass das Tier bis ins hohe Alter gute Zähne hat. Ist es irgendwann nicht mehr in der Lage, Heu in der natürlichen Struktur zu fressen, müssen aufgeweichte Heucobs langfristig als Heuersatz gefüttert werden. „Am besten füttert man bereits im Vorfeld zwischendurch Heubrei. So kennt das Tier das Produkt bereits, wenn dann beispielsweise ein Zahn altersbedingt gezogen werden muss“, so Dr. Kathrin Irgang. Auch temperiertes Wasser im Winter ist gut für die Pferde, denn „wenn Schneidezähne erkranken, kann kaltes Wasser schonmal unangenehm sein. Dann trinken die Oldies zu wenig“.
Alte Pferde: Seniorenteller
Damit das alte Pferd ausgewogen ernährt werden kann, muss der Seniorenteller individuell angepasst werden. Ernährungs- und Bemuskelungszustand, Erkrankungen und Haltung müssen dabei bedacht werden. „Ob ein altes Pferd mehr oder weniger Energiebedarf hat, hängt vom Ernährungszustand ab“, so die Tierärztin. Der Nährstoffbedarf steigt, besonders Antioxidantien und die für das Immunsystem relevanten Nährstoffe. Oft ist die Empfehlung für einen Senioren bezüglich Selen, Zink sowie Vitamin A und E doppelt so hoch wie bei einem jüngeren Tier. Auch der Eiweißbedarf steigt. Baut der Senior Muskeln ab, braucht es mehr Eiweiß. Allerdings geht das hohe Alter nicht zwingend mit Muskelabbau einher. Hier spielt vor allem ausreichend Bewegung eine wichtige Rolle. Wie viel dann jedes Pferd wirklich braucht, sollte gut überdacht und mit einem Experten besprochen werden. Zuerst sollte sich das Tier angeschaut werden. Ist es noch „gut in Schuss“, muss nichts an der Rationsgestaltung geändert werden. Bestimmte Futter für Senioren mit erhöhten Nährstoffgehalten wie Zink, Selen und Co. können hilfreich sein. Aber bedenken Sie: Füttern Sie beispielsweise Senioren-Müslis, in dem Mineralstoffe und Vitamine bereits zugesetzt sind, ist ein zusätzliches Mineralfutter meist überflüssig. Eine Überdosierung sollte dringend vermieden werden. Bei der Fütterung von al- ten Tieren sollte ebenfalls bedacht werden, so die Futterexpertin weiter, „dass die Zubereitung von beispielsweise Heubrei deutlich mehr Zeit und vor allem auch hohe Kosten mit sich bringt. Viele Halter unterschätzen das. Das muss jedoch unbedingt berücksichtigt werden!“.
Rentner-Pferd: Zu dick oder zu dünn?
Zu dick darf das Pferd auch im Alter nicht werden, da dies schwerwiegende Folgen – wie das Equine Metabolische Syndrom – mit sich bringen kann. Zu viel Futter und zu wenig Bewegung verursachen Fettleibigkeit, die wiederum eine Störung des Zucker- und Insulinstoffwechsels nach sich ziehen kann. Dies ist risikoreich für Hufrehe. Gegenwirken kann man beispielsweise mit langen, flotten Spaziergängen (bestenfalls mit Höhenunterschieden) oder auch – je nach Gesundheitszustand – mit Einheiten an der Longe. Wird das Pferd allerdings zu dünn, sollte man Haltung und Futter überprüfen. In Offenställen kann es vorkommen, dass nicht genügend Futterplätze vorhanden sind und somit rangniedrigere, ältere Pferde nicht zur Raufe gelassen werden. Auch Stress in der Herde lässt die Kilos purzeln. Sind diese Faktoren ausgeschlossen, muss das Futter unter die Lupe genommen und angepasst werden. Dr. Kathrin Irgang weist darauf hin: „Ältere Pferde benötigen zum Liegen einen rutschfesten Untergrund, um nach dem liegen gut aufstehen zu können. Auch muss in der Herde die Rangordnung beobachtet werden.“ Wird das bedacht, ist ein Offenlaufstall eine gut geeignete Haltungsform für Senioren. Durch die gleichmäßige, ständige und ruhige Bewegung in einem Offenlaufstall kann oft einer Verschlechterung bei Arthrose vorgebeugt werden.
Fitness für Oldies
Das richtige Maß an Bewegung ist essenziell für alte Pferde. Denn nicht umsonst heißt es: „Wer rastet, der rostet.“ Regelmäßiges Training und Übungen halten das Pferd fit. Ein- schränkung an Bewegung schwächt Knochen und Muskeln, das Pferd wird unbeweglicher und unmotivierter. Deswegen tut man den Tieren auch keinen Gefallen, wenn man sie nach jahrelangem Reitpferdedasein komplett auf die Weide stellt und gar nicht mehr fordert. Höchstleistungen erwartet natürlich niemand mehr, aber alte Pferde können und sollen sich bei Gesundheit natürlich noch bewegen. Wenn die Dosierung stimmt, kommt es ihnen zugute. Lässt es der Gesundheitszustand zu, spricht nichts dagegen, den Oldie regelmäßig zu reiten. Dabei sollte aber die Tagesform bedacht werden, ebenso ist eine etwa 20-minütige Aufwärmphase im Schritt unabdingbar. Leichte, gymnastizierende Dressur- übungen oder ein gemütlicher Ausritt tun viel für die Fitness. Die Arbeit an der Hand oder an der Doppellonge eignet sich ebenfalls gut. Das Reitergewicht entfällt, und das Pferd wird geistig gefordert. Rückwärtsrichten, geradeaus im Schritt und Trab sowie Vor- und Hinterhandwendungen eignen sich hierbei.
Training mit Hindernissen
Wer lieber raus in die Natur möchte, findet dort eine Vielzahl an Möglichkeiten, sein Pferd körperlich und geistig gleichermaßen zu fördern. Um Baumstämme herumreiten, Hänge rauf- und runterreiten oder durch Bäche spazieren – die Koordination und das Körperbewusstsein, die Fitness und die damit einhergehende Gymnastizierung werden gefördert. Allerdings darf man dabei auch nicht vergessen, dass die Sinne bei alten Pferden langsam nachlassen. Die Tierärztin erklärt: „Alte Pferde hören und sehen oft schlechter. Teilweise erschrecken sie sich schneller, weil sie Dinge erst später sehen. Manche stolpern auch etwas. Damit muss man einfach rechnen.“ Unter Umständen bedarf es mehr Zeit, dem Pferd dann Übungen beizubringen. Auch wenn nicht alles perfekt klappt, wird der Oldie dennoch geistig gefördert. Während der Trailarbeit sollten zu enge Kurven vermieden werden und die Übungen für das Pferd logisch – also Schritt für Schritt – aufgebaut sein. Vergessen Sie bei all diesen Outdoor-Aktivitäten auf keinen Fall den Spaziergang! Dieser fördert die Bauch-, Rücken- und Hinterhandmuskulatur.
Text: Nora Dickmann Foto: www.Slawik.com