Interview: Inga Dora Schwarzer      Foto: imago/Horst Rudel

Pferde sind Steppen-, Herden, Flucht- und Beutetiere und zeigen dementsprechende Verhaltensweisen. Für den Reiter ist es wichtig zu verstehen, warum es so und nicht anders reagiert. Je mehr er über die Bedürfnisse weiß, desto eher kann er unerwünschtes Verhalten verhindern und für Wohlbefinden sorgen. In einer achtteiligen Interviewreihe mit Verhaltenstherapeutin Susanne Grun (www.horselearningbysusn.com) schauen wir uns nach und nach verschiedene Verhaltensweisen genauer an – dieses Mal steht Erkundungsverhalten im Fokus.

 

Welche Verhaltensweisen gehören dazu?

Pferde sind neugierig. Sie beobachten ihre Umgebung genau und möchten wissen, ob es möglicherweise irgendwo Gefahrenquellen gibt. Sie erkunden die Gegend und sind stets wachsam. Das Erkundungsverhalten lässt Pferde auch lernen, Gefahren besser einschätzen zu können. Durch ihren Trieb zur Neugierde lernen sie durch Beobachten z.B. auch, selbstbewusst zu sein und Probleme selbst zu lösen.

Welche Bedürfnisse muss der Mensch erfüllen?

Um bei Gefahr flüchten zu können (um zu überleben), muss dem Pferd die Möglichkeit gegeben werden, seine Umgebung kennenzulernen, beobachten und erkunden zu dürfen. Dieses Bedürfnis wird dann nicht erfüllt, wenn das Pferd in einer dunklen Box steht, für eine Stunde am Tag von seinem Menschen in der Reithalle gearbeitet wird und wieder den restlichen Tag in seiner Box verbringen muss. Wie bei allen Bedürfnissen, die unsere Pferde haben, müssen wir hier das Bedürfnis des Beobachtens und Erkundens der Umgebung ermöglichen. Das Pferd muss nicht nur die Möglicheit haben, die Umgebung auf mögliche Gefahren hin prüfen zu können, es muss auch die Möglichkeit haben, seine Artgenossen zu „erkunden“ und beobachten zu können. Der Spieltrieb ist eine angeborene Fähigkeit, Artgenossen kennenzulernen. Das Erkundensverhalten ist in der Natur auch wichtig, um Nahrungsquellen zu finden. Wären dieser Trieb und der Instinkt zu erkunden nicht bei den Pferden vorhanden, hätten sie wohl Probleme, Futter und Wasser zu finden. Auch gehört zum Erkundungsverhalten immer das Bedürnis des Pferdes, neue Erfahrungen zu machen und so dazuzulernen. Hier ist z.B. das Erkundungsverhalten des Jungpferdes oder Fohlens ausgeprägter als das des „alten Hasen“. Auch aus diesem Grund ist es so enorm wichtig, Fohlen und Jungpferde im Herdenverband aufwachsen und sich sozialisieren zu lassen.

Was passiert, wenn diese Verhaltensweisen nicht ausgelebt werden können?

Haben wir einem Pferd die Möglichkeit genommen, zu erkunden, zu beobachten, durch Sammeln von Erfahrungen zu lernen, so haben wir früher oder später ganz klar entweder ein permanent angespanntes oder gestresstes Pferd (Folge sind z.B. Magenprobleme) oder ein hypernervöses, scheuendes, durchgehendes Pferd.

Wie kann sich der Mensch dieses Verhalten zu Nutze machen?

In meiner Arbeit mache ich mir das Erkundungsverhalten der Pferde gern zu Nutze. Und zwar ist es so, dass Pferde ein gewisses Territorialverhalten im Blut haben, dass Wildpferde so an ihr Territorium bindet. Und dieses Territorium gilt es in gewisser Weise auch zu schützen (Arterhaltung). Dies gibt ihnen Sicherheit. Denn wenn sie ein Gebiet kennen, kennen sie auch mögliche Gefahren und können diese besser einschätzen. Außerdem bin ich der Meinung und stelle immer wieder fest, dass Pferde, die ihre umgebende Umwelt erkunden können und dürfen, sich wohler und sicherer im Herdenverband fühlen, mutiger sind und weniger schreckhaft. Zusätzlich sind sie selbstbewusster und bei Problemen viel lösungsorientierter. Ein solches Pferd ist leichter zu trainieren oder auszubilden. Und es ist auch ausgeglichener.

Den Spieltrieb möchte ich mir als Mensch nicht zu Nutze machen. „Spielt“ ein Pferd mit mir, so werde ich mit Sicherheit verletzt. Wir Menschen sind keine guten Spielpartner. Arbeite ich an Zirkuslektionen, so sind diese meiner Meinung nach nicht als Spiel zu sehen, sondern als wichtige Gymnastik. Ich spreche hier von den klassischen Zirkuslektionen wie Ablegen, Steigen, Kompliment etc. Den Spieltrieb soll das Pferd bitte mit einem geeigneten Spielpartner ausleben dürfen.

Welche Herausforderungen für den Reiter können sich aus dem Spieltrieb ergeben?

Wie schon erwähnt, möchte ich mir den Spieltrieb des Pferdes nicht zu Nutze machen. Übe ich Küsschen, fordere ich das Pferd auf, mich mit seinem Maul im Gesicht zu berühren. Dies ist eine große Gefahrenquelle. Übe ich Steigen mit einem Pferd, so provoziere ich, dass mich das Pferd ansteigt. Dies ist eine Angriffsgeste des Pferdes und hat nichts mit Spielen zu tun. Oft höre ich dann, dass das Pferd das „Geübte“ dann auch einmal ungefragt in anderen Situationen zeigt. Und dann ins Gesicht beißt oder steigt. Scharrt ein Pferd beim Putzen, ist das ein Zeichen von Ungeduld oder Betteln und gehört eher in die Kategorie Erziehung. Das hat nichts mit Spielen oder Erkunden zu tun. Hier ist ganz deutlich Korrektur erforderlich, da das Pferd nicht nur den Boden am Putzplatz beschädigen kann, sondern sich durchaus auch selbst am Huf verletzen kann.

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