Wenn die Diagnose PSSM2 korrekt von einem Tierarzt gestellt wurde, wartet bereits die nächste Herausforderung auf den Pferdehalter. Denn die Therapie eines von PSSM2 betroffenen Pferdes gleicht häufig einem ganz besonderen Puzzlespiel mit der Suche nach immer neuen Teilen.
„Es ist ein bisschen die Nadel im Heuhaufen, nach welcher die Pferdebesitzer oft suchen“, erläutert Dr. Melissa Cox. „Die Therapie von PSSM ist eine große Tüftelei und kann sich von Pferd zu Pferd extrem unterscheiden. Dennoch kann ich jedem Pferdehalter ein spezielles Fütterungs- und Bewegungsmanagement nur ans Herz legen, um einer Verschlimmerung vorzubeugen. Der Pferdehalter kann selbst ganz viel tun!“ Wie stark die Erkrankung tatsächlich fortschreitet, hat ganz unterschiedliche Einflussfaktoren. Zum einen gehört dazu der genetische Hintergrund des Pferdes. „Die Zahl und die Kombinationen der Risikofaktoren spielen eine entscheidende Rolle bei dieser Frage“, beschreibt Dr. Melissa Cox. „Die Genvarianten sind jedoch nur ein Risikofaktor. In welchem Maße und ob überhaupt das Pferd bei ihrem Vorhandensein tatsächlich Symptome entwickelt, ist dadurch nicht festgelegt. Die Ernährung, die Belastung desTieres und die Bewegung durch unterschiedliche Haltungsbedingungen spielen dabei eine entscheidende Rolle.“ Einige Pferde mit hohen Risikofaktoren für PSSM2 bleiben ihr Leben lang völlig symptomfrei oder zeigen nur ganz milde Symptome. „Allerdings spielen hier optimale Haltungsbedingungen eine große Rolle“, betont unsere Expertin. „Insbesondere Spitzenpferde im Sport und in der Zucht werden derart ausgefeilt gemanagt, dass manchmal unter normalen Bedingungen keinerlei Symptome in Erscheinung treten. Diese können dann beispielsweise auch erst auftreten, wenn die Tiere durch eine längere Erkrankung oder eine Operation geschwächt sind.“
PSSM2: Freizeitpferde optimal halten
Dr. Melissa Cox weiß von einigen Fällen, dass Pferde die im Spitzensport nicht das gewünschte Niveau erreichten, an Freizeitreiter verkauft wurden und dann unter anderen Bedingungen Symptome entwickelten.
Dabei musste die Haltung auch keineswegs schlecht sein, doch schon allein die Veränderung konnte die Symptome befeuern. „Wenn diese Pferde dann ein sehr dominantes Verhalten zeigten, steckten nicht selten Schmerzen, ausgelöst durch PSSM2, dahinter.“ Sie betont, dass alle von PSSM2 betroffenen Pferde so viel tägliche Bewegung wie irgendwie möglich brauchen. „Optimal ist meines Erachtens die Haltung in einem Aktivstall. Durch die stetige Bewegung bleiben die Muskeln locker, und das Pferd hat keine oder nur geringe Beschwerden“, so die Expertin. Allerdings ist Auslauf natürlich nicht alles. Wer ein Pferd besitzt, welches von PSSM2 betroffen ist, sollte sich unbedingt immer wieder mit dem behandelnden Tierarzt für eine optimale Therapie beraten. Hier muss genau bewertet werden, in welchem Maße die Bewegung unter dem Sattel für das jeweilige Pferd sinnvoll erscheint. „Der Trainingsplan, welcher in Zusammenarbeit mit dem Experten erstellt wurde, sollte insbesondere bei PSSM2-Pferden konsequent eingehalten werden“, betont Dr. Melissa Cox. „Ausreichend Schritt reiten und aufwärmen sind dabei insbesondere wichtig.“ Pausen beim Training und gezielte Dehnübungen können wertvolle Elemente des Trainingsplans darstellen. Hinzu kommt so viel Bewegung im Gelände wie möglich, sodass das Pferd auch auf unebenem Gelände läuft und die Muskulatur zudem durch Bergauf- und Bergabreiten beansprucht wird. Das Maß hängt natürlich vom Grad der Erkrankung ab. Viele Betroffene konnten jedoch positive Effekte aufgrund einer wohldurchdachten Intensivierung des Trainings erzielen.
Schließlich ist ein letzter wichtiger Punkt die Fütterung des Pferdes. Eiweißreiche Ernährung ist wichtig, die Kohlenhydrate sollten so gering wie möglich gehalten werden. „Wichtig ist, Kohlenhydrate einzusparen, um den Muskelstoffwechsel mit weniger Glykogen zu belasten, stattdessen mehr wertvolle Proteine zu füttern und Energie über Öle zuzuführen“, erklärt Dr. Cox. „Die Fütterung sollte unbedingt mit einem speziellen unabhängigen Futterberater und dem Tierarzt durchgeplant werden.“ Gute Proteinquellen sind Luzerne, Hanf und Esparsette, die zudem einen günstigen Rohfaseranteil besitzen. Hinzu kommen einige Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, deren Zufütterung bei PSSM2 besonders wichtig werden kann. Hierzu zählen Vitamin E und Selen. Auch zusätzliche Magnesiumgaben können sinnvoll sein. Hinzu kommen die Aminosäuren Lysin, Methionin und Threonin, deren Mangel durch spezielle Fütterung ausgeglichen werden sollte. Außerdem sollte – wie eigentlich bei allen Pferden – Stress so weit wie möglich vermieden werden.
PSSM2: Ausschluss von der Zucht?
Tiere mit PSSM2 von vornherein aus der Zucht auszuschließen hält Dr. Melissa Cox abschlie- ßend für den falschen Weg. „Ob Pferde mit einigen wenigen Variationen noch in der Zucht eingesetzt werden sollten, hängt meines Erachtens vom sonstigen züchterischen Wert ab und muss von Fall zu Fall separat entschieden werden. Es ist grundsätzlich schwierig, die Genmutation durch eine gewisse Form von Auslese zu vermeiden, da die PSSM2-Varianten sehr weit verbreitet sind. Alle Träger oder asymptomatisch betroffenen Tiere einfach aus der Zucht zu nehmen wird nicht funktionieren. Dafür ist die Mutation einfach viel zu lange in den Genen des Pferdes bereits vorhanden. Man muss der Frage, ob man eine Erbkrankheit wie PSSM2 durch gezielte Zuchtauswahl zurückdrängen kann, immer entgegenstellen, welche Folgen das nach sich ziehen könnte. Insbesondere bei Rassen mit einem eher kleinen Genpool kann dies nämlich die genetische Vielfalt zurückdrängen und zu Inzucht führen.“
Allerdings plädiert die Genetikerin dafür, Pferde mit starker Symptomatik nicht in der Zucht einzusetzen. „Dagegen sprechen jedoch allein schon Tierschutzgründe, da man diese Tiere nicht derartigen Strapazen aussetzen sollte.“ Ansonsten spricht ihres Erachtens viel dafür, die Erkrankung langsam über Generationen leicht zurückzudrängen. Ein Gentest ist für Pferdebesitzer immer sinnvoll. Zum einen, um einen festen Fahrplan zu finden, auf welche Weise ihre Tiere in der Zucht eingesetzt werden können, zum anderen, um einen optimalen Behandlungsplan zu erstellen. Kurz: Der Schrecken, den PSSM2 einst verbreitete, muss mittlerweile relativ gesehen werden. PSSM2 kann man in vielen Fällen gut im Griff behalten, sofern man stetig an den Haltungsbedingungen feilt. Dies stellt für den Pferde- halter eine Herausforderung dar, wird aber durch ein in vielen Fällen langes Pferdeleben – trotz positiver Diagnose – belohnt.
Text: Alexandra Koch Foto: www.Slawik.com