Wenn eine Operation mit Anästhesie ansteht, sorgen sich viele Pferdebesitzer, dass es zu Komplikationen kommen könnte. Wie wahrscheinlich das ist und welche Faktoren beeinflussen, wie gut ein Pferd eine OP übersteht, erklärt Anästhesistin Prof. Regula Bettschart-Wolfensberger.

 

Trotz aller Erkenntnisse und Vorsichtsmaßnahmen können unvorhergesehene Ereignisse eintreffen, und ein Risiko kann niemals ausgeschlossen werden“ – ein Satz aus dem Aufklärungs- und Anamnesebogen für Anästhesie und Operation einer Pferdeklinik. In diesem Dokument müssen Pferdebesitzer zum einen mögliche Vorerkrankungen ihres Pferdes notieren, zum anderen unterschreiben sie dort, dass sie über mögliche Risiken aufgeklärt wurden und sich dessen bewusst sind. Spätestens an diesem Punkt wird vielen tatsächlich bewusst: Das eigene Pferd hat nicht nur mit der Krankheit zu kämpfen, weswegen es operiert werden muss, es kommt noch das Narkose-Risiko hinzu. Aber was genau ist mit solchen unvorhergesehenen Ereignissen gemeint und wie oft treten Komplikationen überhaupt auf?

 

Höheres Risiko als Hunde

„Eine Anästhesie – Narkose ist eigentlich ein veralteter Begriff – ist fast ein bisschen so wie eine reversible Vergiftung des Körpers. Meist stecken Pferde diese aber sehr gut weg, weil ihre Organe (Leber und Nieren) die Anästhetika wieder ausscheiden“, erklärt Prof. Regula Bettschart-Wolfensberger. Sie ist Leiterin der Anästhesie am Tierspital der Universität Zürich und weiß: Im Hinblick auf Risiken und Komplikationen steht bei Pferden nicht die Belastung der Organe im Vordergrund, sondern vielmehr der Aspekt, dass Pferde im Vergleich zu Hunden und Katzen keine Raub-, sondern Fluchttiere sind. „Für das Pferd belastend ist zunächst die ungewohnte Umgebung sowie die Schmerzen etc. Ebenfalls belastend ist die ungewohnte Positionierung in Seiten- oder gar Rückenlage. Ein Pferd liegt in freier Wildbahn nie länger als 20 Minuten in Seitenlage und nie in Rückenlage. Diese Belastung wird noch verstärkt durch die Wirkung, die Anästhetika auf den Kreislauf und die Atmung haben. Dadurch kann es zu einer Unterversorgung von Gewebe mit Sauerstoff kommen.“ Die Folge: Muskeln oder Nerven können geschädigt werden, so dass das Pferd nach der OP nicht genügend Kraft zum Aufstehen hat und in Panik verfällt. „Wenn dann der Fluchtreflex einsetzt, sieht es fast aus, als wollten diese Pferde Selbstmord begehen“, berichtet die Ärztin. Die Aufwachphase ist daher das Kritischste einer Operation. Während bei Hunden das Risiko, eine Vollnarkose nicht zu überleben, bei etwa 0,1 Prozent liegt, beträgt es bei Pferden ein Prozent.

 

Risikogruppen

Vor einer Operation klären die behandelnden Tierärzte den Pferdebesitzer umfassend darüber auf, welche Risiken mit einer Operation einhergehen und bereiten das Pferd entsprechend darauf vor. So kann es zum Beispiel sinnvoll sein, dass das Pferd vorher fastet, damit der Magen nicht zu voll ist und er die Atmung während der OP nicht beeinträchtigt. „Wenn das Pferd Probleme hat – zum Beispiel viel Blut verloren und zu wenig getrunken hat – so müssen diese Werte vor der OP stabilisiert werden“, erklärt die Anästhesistin.

Auch Schmerzmittel spielen dabei eine wichtige Rolle: Zum einen muss das passende Medikament gewählt werden, zum anderen darf nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig davon verabreicht werden.

Und auch bei Pferden gibt es Risikopatienten. „Man weiß, dass Hengste, sehr alte Pferde, kranke Pferde und vor allem auch solche, die einer Kolikoperation unterzogen werden, öfter eine Anästhesie nicht überleben.“ Hengste verletzen sich aufgrund ihres Temperaments oft in der Aufwachphase. Bei kranken Pferden ist es meist ratsam, vor einer Anästhesie gewisse Parameter im Blut zu untersuchen und gegebenenfalls Defizite auszugleichen, um diese Pferde vor der Anästhesie zu stabilisieren.

 

Durchblutungssysteme

 

Mit steigender OP-Dauer nimmt das Risiko für Komplikationen aufgrund des langen Liegens zu. Kurze Eingriffe wie Arthroskopien oder Kastrationen sind weniger gefährlich als Fraktur- und Kolikoperationen. Meist machen sich die negativen Folgen einer Anästhesie direkt nach der OP bemerkbar. Allerdings können Rückstände von Beruhigungs- und Schmerzmitteln Probleme verschleiern und ob alle Organe richtig arbeiten, zeigt sich oftmals erst später. „Bei Darmoperationen etwa kann es zu Reperfusionsschäden kommen, die sich erst Tage später bemerkbar machen“, erklärt Prof. Bettschart-Wolfensberger. Ein Reperfusionsschaden tritt auf, wenn Gewebe eine  Zeitlang (z. B. während der OP) mangelhaft durchblutet wurde und anschließend wieder normal durchblutet wird. Durch die Minder­durchblutung können Gefäßwande der Blutbahnen geschädigt worden sein, so dass bei einer Wiederaufnahme der normalen Durchblutung Flüssigkeit ins Gewebe eindringt. Es entsteht eine Schwellung, die aufs Gewebe drückt und erneut die Durchblutung  beeinträchtigt. „Wenn man bereits vorher ahnt, dass die Gefahr einer Minderdurchblutung während der OP besteht, kann man rechtzeitig mit Medikamenten gegensteuern.“

 

Mehr Pferde überleben

 

Im Vergleich zur CEPEF2, die vor etwa 20 Jahren durchgeführt wurde, hat sich die Sterblichkeitsrate von Pferden aufgrund einer Operation seitdem halbiert. Während es heute ein Prozent ist, starben damals im Durchschnitt noch knapp zwei Prozent der Pferde. „Die Überwachung der Anästhesie, also das Monitoring und das Management, ist deutlich besser geworden. Im Gegensatz zu früher haben sich mittlerweile viel mehr Tierärzte auf die Anästhesie spezialisiert“, weiß Prof. Bettschart-Wolfensberger. Im Rahmen ihres Forschungssemesters hat sie Pferdekliniken weltweit besucht und dabei ist ihr vor allem eines aufgefallen: „Hochspezialisierte Kliniken haben spezialisierte Ärzte und es spielt schon eine Rolle, wer die Anästhesie macht.“

 

Sterblichkeitsstudie

 

Prof. Bettschart-Wolfensberger arbeitet an einer aktuellen Studie mit, in der untersucht wird, wie viele Pferde kurz vor, während oder nach einer Opera­tion sterben. Für die CEPEF4 (Confidential Enquiry into Perioperative Equine Fatalities, also Vertrauliche Untersuchung über perioperative Todesfälle bei Pferden), von der bisher nur vorläufige Ergebnisse veröffentlicht wurden, hat man Daten von 6701 Eingriffen unter Vollnarkose und 1955 Sedierungen im Stehen von 69 Kliniken weltweit gesammelt – das Ziel der Studie ist es, mindestens 45.000 Fälle zu sammeln. Die Gesamtsterblichkeits­rate lag nach der bisherigen Auswertung bei einem Prozent. Koliker waren häufiger unter den Todesfällen als Nicht-Koliker. Bei den stehenden Sedie­run­gen starben vier Pferde. In der Studie betrachtete man auch das Allgemeinbefinden der Pferde, das man vor einer OP in fünf ASA-Klassen einteilt – ASA steht für Amerikanische Gesellschaft für Anästhesiologie. ASA I bedeutet, dass das Pferd gesund ist. Je höher die Zahl ansteigt, desto schlechter ist das Allgemeinbefinden des Pferdes vor der OP.  Bei CEPEF4 in der vorläufigen Publikation starben 35 Nicht-Koliker – 17 von ihnen waren vorher in ASA III, IV oder V eingestuft worden. 18 von ihnen fielen aber unter Katego­rie ASA I und II. „Die Einteilung in ASA kommt aus dem Humanbereich“, so Prof. Bettschart-Wolfensberger. Hier werden sehr oft alte oder be­reits länger kranke Menschen operiert, sodass das Allgemeinbefinden eine wichtige Rolle spielt. Pferde sind aber oft „gesunde“ Athleten, wenn sie operiert werden. „Eine Befragung unter Pferdemedizinern hat gezeigt, dass eine Einordnung, die sich von der Humanmedizin unterscheidet, sinnvoller sein könnte.“

 

Unvorhergesehene Ereignisse

 

Alle Abläufe vor, während und nach einer OP werden sorgfältig geplant und überwacht. Zur Operationsvorbereitung erhält das Pferd unter Lokalanästhesie einen venösen Zugang, über den es Beruhigungs- und Schmerzmittel verabreicht bekommt. An einem ruhigen Ort, an dem es sich nicht verletzen kann, bekommt es ein Anästhetikum gespritzt, so dass es sich unterstützt von Helfern ruhig niederlegt. Der Anästhesist stellt dann die Anästhesietiefe so ein, dass das Pferd nicht zu viele Anästhetika bekommt, aber auch nicht plötzlich erwacht – das könnte für alle Beteiligten sehr gefährlich werden. Er überwacht die Vitalparameter also Herzfrequenz, Atemfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung des Blutes und je nach Fall noch weitere Werte. Trotz aller Vorsorge kann es zu den „unvorhergesehenen Ereignissen“ kommen. „Pferde sind Fluchttiere und auch wenn man sie beruhigt und alles richtig macht, kann es sein, dass ein Pferd in der Einschlaf- oder Aufwachphase plötzlich völlig ausrastet und sich verletzt. Oder es bekommt Verdauungsprobleme durch den ganzen Stress, wodurch neue Probleme entstehen – dies sind nur zwei Beispiele in einer leider unendlich langen möglichen Liste“, so Prof. Bettschart-Wolfensberger.

 

Bild: Prof. Bettschart

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