Text: Inga Dora Schwarzer     Foto: imago images/ Shotshop

Öffnen Pferde ihr Maul auffällig häufig in bestimmten Situationen, sollten Reiter hellhörig werden. Gähnen ist nämlich nicht nur ein Zeichen von Entspannung, sondern erfüllt viele verschiedene Funktionen. Mein Pferd zeigt, was dahinterstecken könnte.

Wir machen den Mund weit auf, gähnen, verschieben unseren Kiefer, dehnen unsere Gesichtsmuskeln, recken und strecken uns. Diese herrlich angenehme und befriedigende Gymnastik absolvieren auch die Pferde. Wie die meisten Wirbeltiere auf der Welt verbinden sie das Gähnen mit einem Strecken des Halses oder des ganzen Körpers. Bis vor wenigen Jahren nahmen Wissenschaftler an, dass dadurch mehr Frischluft ins Gehirn strömt und so ein Sauerstoffmangel behoben wird. Diese Erklärung gehört aber in das Reich der Mythen. Bereits im Jahr 1987 bewies der US-amerikanische Neuropsychologe Robert Provine, dass die Sauerstoffversorgung nicht die Häufigkeit des Gähnens beeinflusst.

Kühlen Kopf bewahren

Neue Theorien aus der Chasmologie (Wissenschaft des Gähnens) besagen, dass wir gähnen, um die Arbeitstemperatur unseres Gehirns aufrechtzuerhalten. Das tiefe und lange Einatmen kühlerer Luft senkt die Gehirntemperatur, indem das Blut, das zum Gehirn fließt, abgekühlt wird. Weicht die Temperatur in unserem Denkzentrum nämlich auch nur um 0,1 Grad Celsius von seiner Idealtemperatur von 37 Grad ab, verlangsamt sich die Reaktionszeit, und die Gedächtnisleistung lässt nach, stellte Andrew Gallup, Psychologe an der State University in New York, 2010 fest. Forscher vermuten, dass der Mensch durch das Gähnen den Übergang in eine neue Phase einleitet (z. B. von der Schlaf- in die Wachphase), dass er in einen erhöhten Aufmerksamkeitsstatus kommt, leistungsbereiter wird und so in der Lage ist, Gefahren schneller und besser zu erkennen.

Regelrechte „Gähnanfälle“ treten daher nicht nur bei Müdigkeit, sondern vermehrt vor aufregenden Ereignissen (wie z. B. sportlichen Wettkämpfen oder öffentlichen Auftritten) oder in ungewohnten Umgebungen auf. Dann nämlich nimmt die Menge der Schmerzhemmer und erregenden Neurotransmitter im Blut zu. Das heißt: Eine größere Anspannung erhöht die Gehirntemperatur und verstärkt so die Neigung zum Gähnen. Ähnliches gilt für unsere vierbeinigen Partner.

Przewalski-Hengste zeigen das Verhalten sehr häufig bei aggressiven Konflikten und Rangordnungskämpfen mit Artgenossen, um „einen kühlen Kopf“ zu bewahren und ihre Spannung abzuleiten. Das belegte im Jahr 2011 eine Gruppe französischer und polnischer Forscher um die Wissenschaftlerin Dr. Carole Fureix (Universität Plymouth) im Rahmen der Studie „Co-occurrence of yawning and stereotypic behaviour in horses“.

Stress und Schmerzen

Ebenso nutzen nervöse Pferde das Gähnen zum Abbau von Stress. Wenn sie unter Spannung stehen, erzwingen sie quasi Entspannung, indem sie ihr Maul weit öffnen. Das tun sie aber auch aus Frustration. Können die Tiere einem Bedürfnis nicht nachgehen oder bestimmte Umstände nicht ändern, wählen sie eine scheinbare sinnlose Aktivität wie das Gähnen als Ersatz- oder Übersprunghandlung. Das ist beispielsweise bei der Fütterung zu beobachten…

… weitere Informationen zum Thema hnen finden Sie in der Oktober-Ausgabe.

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