Ausreichend Raufutter ist gut für das Pferd, viel Kraftfutter dagegen schädlich. Das weiß mittlerweile jeder Reiter. Aber warum ist das so? Welchen Weg geht die Nahrung eigentlich im Inneren des Vierbeiners? Kommen Sie mit auf eine spannende Reise durch den Pferdekörper und erfahren Sie, was Sie tagtäglich beim Füttern für die Gesunderhaltung Ihres Vierbeiners tun können.

 

Plätschernde, glucksende Ge­räusche im Pferdebauch oder kuhfladenartige Pferdeäpfel lassen Pferdebesitzer aufhor­chen. Irgendetwas stimmt mit der Verdauung nicht. Was im Pferdebauch aber genau vor sich geht, ist nicht ersichtlich. „Das muss ich als Reiter doch gar nicht wissen. Ich habe doch einen Tierarzt. Der ist mein Experte“, mögen einige jetzt denken. Das stimmt, doch das Verdauungssystem des Pferdes haben Sie und nicht Ihr Tierarzt tagtäglich selbst in der Hand. Sie füttern Ihr Pferd oder geben ande­ren vor, was es zu fressen bekommt, wie viel Bewegung es hat und wie es gehalten wird. Faktoren, die die Verdauung des Pferdes be­einflussen – und zwar positiv wie negativ. Wer sich ein wenig mit den Vorgängen im Pferde­bauch auskennt, kann daher viel zur Gesund­erhaltung seines Vierbeiners beitragen. Um beispielsweise zu verstehen, warum Raufutter vor Kraftfutter gefüttert werden soll, braucht man kein Einstein zu sein. Begeben Sie sich auf eine Reise in das Innere des Pferdes. Los geht es mit der Nahrungsaufnahme.

Futtersuche und Fressen sind instinktive Bedürfnisse, die genetisch in unseren Pfer­ den verankert sind, weil die Sättigung in der Natur nur nach langer Bewegungs-­ und Fresszeit gelingt. Für uns Menschen ist das nicht so leicht zu verstehen, da wir im Ver­gleich eher hunde­- als pferdeähnlich sind. Während wir als Allesfresser sehr nährstoffreiche, komprimierte, wenig voluminöse Nahrung aufnehmen und verwerten, muss das Pferd für seinen erheblich größeren Körper mit stark voluminöser, aber nähr­ stoffarmer vegetarischer Nahrung auskom­ men. Die menschlichen „Futterzeiten“ sind daher recht kurz und betragen nur rund ein Zwölftel der erforderlichen Fresszeit des Pferdes. Man kann sich das so vorstellen: Isst ein Mensch einen Salat (ca. 13 Kalorien), muss er viel mehr von dem Grünzeug essen, um auf die gleiche Kalorienanzahl desjeni­ gen zu kommen, der eine Pizza Salami (ca. 239 Kalorien) verdrückt. Kein Wunder, dass Forscher bei den Vierbeinern davon ausge­ hen, dass das Appetitzentrum dauernd aktiv ist und Pferde den Trieb spüren, fast ständig Nahrung aufnehmen zu müssen. Erst wenn genügend Futter aufgenommen worden ist, aktiviert dies das Sättigungszentrum.

Pferde sind (fast) nie satt

Wann der Hunger aufhört und das Sättigungs­gefühl einsetzt, ist bisher nicht eindeutig ge­klärt. Es wird vermutet, dass die Anzahl der Kau­ und Schluckbewegungen, die ähnlich wie ein inneres Zählwerk funktionieren, den Wechsel beeinflussen könnten. Kommt es zu einer Ermüdung der Kaumuskeln, könnte dies die Beendigung der Futteraufnahme bewir­ken. Aber diese Theorie ist nicht abschließend erforscht. Shetland­Ponys müssten demnach die Kaumuskulatur eines Hochleistungssport­lers haben. Futterpausen? Das Wort kennen die laufenden Meter auf vier Beinen nicht. Bei ihnen greift jedoch das Argument der genügsamen Primitivrassen (im Sinne von urtümlich): Bei allzu üppigem Nahrungsan­gebot übersteigt die intensive Futteraufnah­me den aktuellen Erhaltungsbedarf erheblich oder überschreitet die gesundheitlich unbe­ denkliche Grenze des Fassungsvermögens der Verdauungsorgane. Das heißt: Wenn sie dürfen, fressen Shettys alles, was ihnen vor die Nase kommt, und verwandeln sich in kleine Moppelchen. Das gilt übrigens, um die Ehre der Ponys zu retten, für alle Nord­ pferderassen (z. B. Fjordpferde oder Islän­der), für Robustrassen, für an karge Standorte adaptierte Vollblutaraber und auch für viele Warmblüter. Ihre „innere Zeituhr“ ist noch auf die Nahrungsbasis ihrer ursprünglichen Heimat eingestellt mit kargem Nah­rungsangebot und wenig Fresspausen. Sie können also gar nichts für ihre „Gefräßigkeit“. Wie diese „innere Uhr“ exakt gesteuert wird, ist noch nicht wissenschaft­lich erklärbar, nur wie exakt sie funktioniert, weiß jeder, der morgens mal zehn Minütchen später zum Füttern erschienen ist. Das ru­fende Wiehern nach dem Motto „Jetzt aber zack, zack, du bist zu spät dran“ ist schon von weitem zu hören.

Wenn das Futter im Trog oder in der Heuraufe landet, benutzen die Vierbeiner ihre Lippen und Schneide­zähne zur Futteraufnahme. Wie wir Menschen zerlegen auch Pferde ihre feste Nahrung durch Kaubewegungen ihrer Kauwerkzeuge (Kiefer und Zähne), bevor diese weiter in den Magen­Darm­Trakt ge­langt. Es ist daher logisch, dass Probleme mit den Zähnen oder dem Kiefer die Nah­rungsaufnahme erheblich erschweren und damit die Verdauung stören. Eine regel­mäßige Zahnkontrolle ist daher Pflicht. Sie gehen ja auch turnusmäßig zum Zahnarzt, auch wenn Sie beim Essen eigent­lich keine Probleme haben. Die Tiere können schließlich nicht sagen: „Da hinten, ja, genau da tut es mir beim Kauen manchmal weh.“ Die starke Zerkleinerung müssen Pferde übrigens immer selbst erledigen. Sehr kurz ge­häckseltes Raufutter oder klein geschnittenes Obst kann zu bedrohlichen Verstopfungen führen, da es die Vierbeiner zum schnellen Schlucken verleitet – ohne vorheriges ausrei­chend langes Kauen mit ausgiebigem Spei­cheln. Gemeinsam mit der Kaubewegung muss das Futter aber ausreichend eingespei­chelt werden. Der Speichel ist elementar für die Verdauung, da er die Nahrung aufweicht und schluckfähig macht. Die intensive Kau­tätigkeit regt wiederum den Speichelfluss an.

Kein Babybrei für Pferde

Ist das Futter genügend zerkleinert, passiert die Nahrung die Speiseröhre. In wellenar­tigen Bewegungen befördert der kräftige Muskelschlauch das Futter in den Magen. Die Futterportion wird dabei mit der Zunge gegen die Wand des Schluckkopfes gedrückt, was ein Abschlucken auslöst. Bei diesem komplizierten Reflex wird kurzzeitig die Atmung unterbrochen, damit Futter nicht in die Luftröhre gelangt. Bei Störungen des Abschluckens können jedoch Speichel oder Futterteile als Folge mangelhafter Zerkleine­rung und hastigen Fressens in die Luftröhre gelangen. Die Pferde verschlucken sich. Der Schlund ist zwar gut dehnbar, doch sind an Engstellen Verstopfungen möglich. Die Fol­ ge: Schlundverstopfung. Sie kann für Pferde gefährlich werden, denn an der Einmündung der Speiseröhre in den Magen befindet sich ein großer Schließmuskel, der den Rücklauf der Nahrung fast unmöglich macht. Die Vierbeiner können daher nicht oder nur in geringem Maße erbrechen. Futter und Spei­chel treten nach Würgeversuchen geringfügig aus Maul und Nase aus. Nur die Schimmel­ stute „Jacqueline“ in Bully Herbigs Komödie „Der Schuh des Manitu“, die sich nach einer rasanten Kutschfahrt übergibt, stellt da eine prominente Ausnahme dar. Ein Verschlucken kann durch Gerangel um Futter oder Umgebungsreize, die die Fut­teraufnahme stören, passieren. Gleiches gilt für Pferde, die mengenmäßig knapp gehalten werden oder durch zu lange Fresspausen gie­rig Futter aufnehmen. Fresspausen von mehr als vier bis fünf Stunden sind nach Möglich­keit – wenigstens am Tage – zu vermeiden, es sei denn, es steht sauberes Stroh zur Ver­fügung. Eine ruhige Fütteratmosphäre sollte daher selbstverständlich sein. Verläuft die Verdauung hingegen reibungs­los, gelangt das Futter nach intensivem Kauen und viel Einspeichelung in den bei mittelgro­ßen Pferden gut 15 Liter fassenden Magen. Das ist etwa so groß wie ein Wasser­kanister und damit im Vergleich zur Größe des Pferdes sehr klein. Apro­pos Wasser: Nehmen Pferde wäh­rend des Fressens zu viel davon auf, besteht die Gefahr von Verdauungs­störungen. Pferde brauchen stets Zugang zu Wasser, aber keine wäh­rend des Fressens schnell erreichbare Wasserquelle. Der Grund? Wie ein Mini­Tsunami würden die Wasser­ mengen einen Teil des ungenügend vorbereiteten, noch stark keimhal­tigen Mageninhalts vorschnell in den empfindlichen Dünndarm schwem­men. Der hohe Keimgehalt des Fut­ ters würde hier Übersäuerungen verursachen. Unter natürlichen Be­dingungen wird Wasser daher erst nach dem Fressen aufgenommen. Ohne den Mini­Tsunami verweilt die aufgenommene Nahrung im Magen durchschnittlich etwa ein bis maximal fünf Stunden.

Was aber geschieht genau im Magen?

Im vorderen drüsenlosen Teil werden leicht ver­dauliche Kohlenhydrate umgesetzt. Im hin­ teren drüsenhaltigen Teil wird der enzyma­ tische Abbau von Proteinen eingeleitet und der Nahrungsbrei mit saurem Magensaft umspült, um den ph­Wert abzusenken. Dies führt zur Reduzierung von Mikroorganis­ men. Intensiv gekautes und eingespeicheltes Futter (z. B. Raufutter) ist dabei durchläs­siger und wird besser durchdrungen als ein weniger stark aufbereiteter, verdichteter Futterbrei (z. B. Kraftfutter). Die so wich­tige Säuerung des Futterbreis gelingt dann nur ungenügend. Mit diesem säurearmen Futterbrei werden vermehrt Mikroorga­nismen in den empfindlichen Dünndarm transportiert. Um Unregelmäßigkeiten im Verdauungsablauf zu vermeiden, ist es also ratsam, erst Rau­ und danach Kraftfutter zu füttern. Das gilt auch nach Fresspausen: Hat ein Pferd Kohldampf, sollte es immer zuerst Raufutter bekommen.

100-Meter-Sprint im Dünndarm

Ist der Futterbrei im Dünndarm angekom­men, muss er bei mittelgroßen Pferden eine Strecke von rund 18 Metern zurücklegen, die sich in drei Teile teilt: Zwölffingerdarm, Leerdarm und Hüftdarm. Hier findet die weitere Durchmischung und der Transport des Futterbreis statt. Einerseits dienen die Misch­ und Transportbewegungen dazu, die Darmdrüsen anzuregen und Darmsaft abzugeben, andererseits nehmen Schleim­hautzellen Stoffe aus dem zersetzten Nah­rungsbrei in die Blut­ und Lymphbahn auf. Damit übernimmt der Dünndarm die weitere Verdauung leicht verdaulicher Nährstoffe: die Umwandlung von Zucker, Stärke, Fetten und Proteinen sowie die Auf­nahme von u. a. Fettsäuren, Aminosäuren, Kalzium, Kalium, Magnesium und in ge­ringen Mengen auch Phosphor und Chlor. Enzyme begleiten die chemische Nah­rungsumwandlung. Interes­sant ist, dass die Arbeit im Verdauungskanal durch die Schrittbewegung des Pferdes posi­tiv beeinflusst wird, was das ständige Gehen auf der Weide und gleichzei­tig die erhöhte Verstopfungsgefahr bei aufgestallten Pferden erklärt. Im Dünndarm verweilt die Nahrung nun rund anderthalb Stunden. Das ist quasi ein rasanter 100­Meter­Sprint im Vergleich zum Langstreckenlauf, der gleich im Dickdarm folgt (rund 15 Stunden).

Marathonlauf im Dickdarm

Mit Muskelkraft wird der Nahrungsbrei in den etwa acht Meter langen Dickdarm geschoben, der sich an den letzten Abschnitt des Dünn­darms, den Hüftdarm, anschließt. Er gliedert sich ebenfalls in drei Teile: Blinddarm, Grimm­darm und Mastdarm. Im rund ein Meter lan­ gen Blinddarm finden wesentliche mikrobielle Verdauungsvorgänge statt. Danach gelangt der Futterbrei in den Grimmdarm, der die typische Kotballenform der Pferdeäpfel bewirkt. Im Mastdarm wird der Darminhalt dann durch Wasserentzug eingedickt. Läuft im Dickdarm irgendetwas nicht ganz rund, verändert sich das Aussehen des Pferdekots.

Im Dickdarm werden nun Rohfaserbe­standteile und andere im Dünndarm bisher nicht verdaute Nährstoffe zersetzt. Es finden aber nicht nur Abbauvorgänge, sondern auch lebenswichtige Aufbauprozesse statt, z. B. von Vitaminen. Durch die mikrobielle Ver­dauung abbaubarer Koh­lenhydrate ent­stehen Fettsäuren, die über die Darm­schleimhaut ins Blut aufgesogen werden und der Energieversorgung des Pferdes dienen. Da nicht alle vom Körper aufgenommenen Stoffe verwertet werden kön­nen und beim Gesamtstoff­wechsel Abbauprodukte anfallen, muss der Organis­ mus diese wieder ausscheiden, damit sie ihn nicht negativ belasten. Diese Abfallstoffe sind gasförmig (pupsen), flüssig (pinkeln) oder fest (koten). Der Hauptteil der Abfall­stoffe verlässt den Körper jedoch im Harn. In fester Form werden aus dem Enddarm unver­dauliche Futterreste (z. B. ungenügend gekau­ter Hafer) mit Wasser­ und Schmutzanteilen, Sekrete und Schleimhautzellen sowie Bak­terien mit ihren Stoffwechselprodukten und Magen­Darm­Parasiten ausgeschieden. Das Absetzen des Kots geschieht durch den After des Mastdarms. Bei genügender Verstopfung (Anschoppung) dehnt sich die Darmwand und löst Entleerungsbewegungen aus. Hier endet die Reise durch den Pferde­bauch. Wer das spannende Innere einmal live erleben möchte, sollte das „begehbare Pferd“ von Dr. Helmut Ende besuchen (www.helmutende.de). Weiterlesen kann jeder im „Praxishandbuch Pferdefütterung“.

 

Foto: slawik.com

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