Unfälle, Misshandlungen oder schlechte Haltungsbedingungen können bei Pferden schwere Traumata hinterlassen. Wie sie diese erkennen, was in der Psyche passiert und wie traumatisierten Pferden geholfen werden kann, erklärt unsere Expertin, Traumatherapeutin Irina Eisenhardt-Junges
Mein Pferd: Was ist ein Trauma?
Irina Eisenhardt-Junges: Ein Trauma wird durch ein Ereignis ausgelöst, welches als lebensbedrohlich empfunden wird. Etwas wirkt auf den Betroffenen zu schnell, zu heftig und zu plötzlich ein. Instinktive Reaktionen wie Kampf oder Flucht sind nicht möglich. Das Pferd, oder auch jedes andere Lebewesen, verfällt in eine Art Schockstarre. Äußerlich wirkt ein Tier wie eingefroren oder tot, innerlich aber wird es von einer gewaltigen Überlebensenergie überflutet, die das Tier ursprünglich bei drohendem Tod vor Schmerzen schützen oder aber bei einer späteren möglichen Flucht wieder voll mobilisieren soll. Man unterscheidet zwischen einer Mono- und einer komplexen Traumatisierung. Ein Trauma selber kann gut überwunden werden, schwierig wird es erst, wenn das Pferd eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, die sogenannte PTBS.
Wie äußert sich eine PTBS?
Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind absolut vielfältig. Zum Beispiel kann das Pferd sehr lethargisch wirken, oder es ist extrem aufgedreht. Die Reaktionen, die durch Trigger ausgelöst werden, sind der jeweiligen Situation nicht entsprechend und völlig übertrieben. Recht verlässlich kann man sagen, kommuniziert das Pferd vorab recht wenig, bis es dann von 0 auf 100 loslegt. Halter sind über die heftige Reaktion dann oft sehr überrascht.
Auch Süchte, Ticks, Zwänge, generalisierte Ängste und anderes können eine Folge sein. Tiere in freier Wildbahn leiden selten unter einer PTBS, da diese die nötige Zeit und Ruhe haben, die enorme Überlebensenergie abzubauen. Sie stehen auf, schütteln sich und machen weiter. Tiere, die eng mit uns Menschen zusammen leben, entwickeln dagegen leider sehr schnell eine solche, bedingt durch die Lebensumstände.
Was löst bei einem Pferd ein Trauma oder eine PTBS aus?
Auslöser eines Traumas oder einer PTBS sind meist emotional eingefärbte Erlebnisse. Es können ganz unterschiedliche Vorfälle sein, die nicht immer einer Katastrophe ähneln müssen. Fehler in der Ausbildung, Schmerzen, Unfälle, schlechte Haltungsbedingungen, ein Transport, ein unglücklicher Zufall. Eigentlich immer da, wo in einer bedrohlichen Situation Kampf oder Flucht nicht möglich sind.
Welche Rolle spielt der Charakter des Pferdes?
Nicht jedes Pferd erlebt nach einem schlimmen Erlebnis direkt ein Trauma oder entwickelt eine PTBS. Ein sensibles, vorsichtiges oder vorbelastetes Pferd neigt aber vielleicht eher dazu als ein solches Pferd, das gefestigter ist. Es ist tatsächlich sehr oft eine Typfrage.
Warum ist Desensibilisierung der falsche Weg, ein Trauma zu heilen?
Bei einer Desensibilisierung ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass eine Retraumatisierung stattfindet, da die frühere Information der „Lebensbedrohung“ bei einer stetigen Konfrontation nicht aufgelöst, sondern nur wiederholt werden.
Wie behandelt man ein Trauma stattdessen?
Es gibt viele verschiedene Therapieansätze. In meiner Arbeit orientiere ich mich an einer von Francine Shapiro entwickelten Therapieform und an der Arbeit des berühmten Traumatherapeuten Peter Levine.
Bei EMDR nach Francine Shapiro handelt es sich um eine bilaterale Stimulation, die die Emotion von der Erinnerung entkoppelt. Die alte Information wird im Prinzip verarbeitet, so dass die Erinnerung nicht mehr die emotionale Belastung hervorruft. Die Körpertherapie orientiert sich an der Arbeit von Peter Levine. Hier wird dem Pferd geholfen, den alten zuvor verhinderten Bewegungsablauf kontrolliert auszuführen. Zum Beispiel die Flucht nach vorne. Beide Vorgehensweisen sind entsprechend abgewandelt und für Tiere konzipiert. Wichtig ist ein behutsames Vorgehen, das Pferd darf nicht überflutet werden. Die Grundvoraussetzung für das Gelingen der Therapie ist eine vertrauensvolle und gefestigte Beziehung zwischen Pferd und Halter.
Wie reagieren Pferde auf eine solche Behandlung?
Da gibt es ganz viele unterschiedliche Reaktionen. Beobachten kann man aber immer, wie sich das Verhalten löst. Es kommen alte Reaktionen durch, die in der Situation nicht ausgeführt werden konnten.
Zum Beispiel kann ein Pferd, dass stetig gebuckelt hat, weil die Flucht nach vorne nicht möglich war, auf einmal einen Satz nach vorne machen oder aber auch nach vorne weglaufen. Da das Nervensystem ganz unterschiedlich auf Traumata und PTBS reagiert, kann es sein, dass ein Pferd sehr lethargisch ist, depressiv wirkt, langsam in allem ist, oder aber genau das Gegenteil: Es ist extrem aufgedreht, nervös und zappelig. Das Nervensystem normalisiert sich. Da ich versuche, in dem Rahmen zu arbeiten, den das Pferd tragen kann, nehmen sie es allgemein sehr gut an und arbeiten bereitwillig mit. Ich denke sie spüren, dass sich in ihnen etwas verändert.
Was zeichnet einen besonders komplizierten Fall aus?
Kompliziert ist es grundsätzlich, wenn eine komplexe Traumatisierung vorliegt, da es unterschiedliche Auslöser gibt und viel belastendes Material vorhanden ist.
Robin zum Beispiel, ein Schulpferd in Rente, koppte, sobald ein Fünkchen Stress aufkam. Trigger waren Berührungen oder Stimmen, Kinderstimmen insbesondere. Der Sattel sowieso und generell alles, was bei ihm Stress auslöste. Zudem kam noch eine unschöne Begegnung mit dem Stromzaun hinzu. Robin hat das nicht so gut weggesteckt wie ein Pferd, welches im Ganzen etwas gefestigter ist. Aber heute koppt Robin kaum mehr, er sucht den Kontakt, und es geht ihm gut. Kompliziert war es hier, da Robin sehr leise kommuniziert hat. Bevor er anfing zu koppen, kam ein Ansatz einer Fluchtreaktion, es war nur ein kleines Wippen nach vorne, danach setzte regelmäßig das Koppen ein. Das war Robins Strategie, mit der belastenden Situation fertig zu werden. Ein Anzeichen einer alten unterbrochenen Fluchtreaktion.
Wie lange dauert eine Behandlung?
Das ist ganz unterschiedlich und hängt auch stark von der Art des Traumas ab. Manche Behandlungen dauern nur ein bis anderthalb Stunden. Manche brauchen länger. Ich lasse zwischen den Terminen auch entsprechend Abstand, damit sich alles beruhigen und festigen kann.
Ist ein Pferd danach wieder normal reitbar?
Wenn eine PTBS vollständig aufgelöst wurde, ist ein Pferd auch wieder reitbar.
Was muss der Trainer/ der Pferdebesitzer beachten?
Man sollte anfangs etwas behutsamer mit dem Pferd umgehen, es nicht überfordern. Hier ist erst einmal ganz klar: Weniger ist mehr. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem sich alle in der neuen Situation zurecht gefunden haben und sicher fühlen. Oft hat der Reiter auch Angst entwickelt und braucht ebenfalls seine Zeit. Wichtig ist, nach wie vor entsprechende Beziehungsarbeit, denn eine belastbare Beziehung, auch in Konflikten, ist das A und O, um eventuelle zukünftige Traumata abzuwenden oder zu mildern, und die Basis für den Erfolg einer Traumatherapie.
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