Von Phlegmonen und Sehnenschäden über Knochenfissuren bis zu Frakturen: Pferdebeine sind mit Abstand am häufigsten von Verletzungen betroffen. Selbst kleinste Wunden sollten nicht unterschätzt werden, ansonsten könnten Spätfolgen drohen
Pferde sind Fluchttiere, und als solche sind ihre Verhaltensweisen und Reaktionen oft unvorhersehbar und ungestüm. Eine kleine Verletzung ist deshalb schnell passiert. „Die Tiere laufen irgendwo gegen oder bleiben an einem Gegenstand hängen. Es kommt zu Schnitt- oder Stichwunden“, sagt Dr. Andrea Noguera, Leiterin der Orthopädischen Chirurgie in der Hanseklinik Sittensen. Auch die Haltung in der Herde bringe Risiken mit sich: Streitereien, Rangkämpfe oder ein harmloses Spiel können ebenfalls dazu führen, dass die Vierbeiner Schlagverletzungen, Platz- oder Bisswunden davontragen.
Beinverletzungen: Oberflächliche Wunde
Wenn aus einer Wunde kaum Blut austritt, keine große Schwellung zu sehen ist, sich der Wundbereich nicht druckempfindlich zeigt, das Pferd keine Schmerzen hat und lahmfrei geht, handelt sich häufig um eine oberflächliche Hautverletzung. „Entdeckt der Pferdebesitzer eine Wunde, die ganz klar oberflächlich ist, sollte diese vorsichtig mit Wasser und Jodseife gereinigt, trocken und sauber gehalten werden, bis sie abgeheilt ist. Mit Verbänden muss man als Laie vorsichtig sein. Schnell kommt es zu ungewollten Druckstellen. Die sollte man besser einem Profi überlassen“, so die erfahrene Expertin. Nach fünf bis sieben Tagen ist eine oberflächliche Verletzung der Haut in der Regel verheilt.
„Eine scheinbar harmlos aussehende Wunde kann aber auch einen akuten Notfall bedeuten – und zwar dann, wenn vitale Strukturen wie Gelenke, Sehnen oder Sehnenscheiden betroffen sind, oder eine Infektion entsteht. Hier abwartend zu agieren wäre hochriskant. Ist sich der Pferdebesitzer bei der Beurteilung unsicher, sollte er den Tierarzt rufen. Sonst kann auch eine kleine Wundverletzung zu einem Todesurteil werden“, warnt die Tierärztin.
Bei einer Infektion dringen Bakterien in die Wunde ein. In der Tiefe kommt es zu einer bakteriellen Entzündung des Unterhautgewebes, einer sogenannten Phlegmone. Auffällig ist dann jedoch eine meist starke plötzlich auftretende Schwellung. Das betroffene Bein strahlt Wärme aus. Das Pferd reagiert empfindlich auf Berührungen. Es zeigt sich eine Schonhaltung oder Lahm- heit. Nicht selten bekommen Pferde Fieber und wirken sichtbar matt und abgeschlagen. Diese Fälle benötigen neben der Versorgung der Wunde (mit z.B. einem Angussverband) oft eine antibiotische Therapie sowie die Gabe von Entzündungshemmern.
Beteiligung eines Gelenks
„Im schlimmsten Fall kommt es bei einer Verletzung zu einer Wunde, die, auch wenn sie vielleicht nur sehr klein ist, manchmal so tief gehen kann, dass sich dadurch ein Gelenk öffnet“, sagt Dr. Noguera. Besonders anfällig dafür sind alle Gelenke, die nicht oder nur durch wenig Muskelmasse geschützt sind. Dazu zählen u.a. das Fessel-, Sprung- und Karpalgelenk. Hiervon können aber auch Sehnenscheiden und Schleimbeutel betroffen sein. Die Art der Verletzung kann dem Tierarzt manchmal schon einen Hinweis darauf geben, ob eine solche synoviale Struktur betroffen ist oder nicht. Das Ausfließen von fadenziehender Flüssigkeit ist beispielsweise ein Anzeichen dafür.
Eine Röntgenaufnahme, z.B. mit Kontrastmittel, gibt noch mehr Klarheit. Die definitive Diagnose einer Gelenkverletzung wird mittels Punktion und Untersuchung von Gelenksflüssigkeit gestellt. So können die Infektion verursachenden Bakterien bestimmt werden. Wenn der Verdacht besteht, dass Bänder und Sehnen mit betroffen sein könnten, wird zusätzlich ein Ultraschallbild gemacht.
„Verletzungen mit Beteiligung eines Gelenkes sind absolute Notfälle, die in einer Klinik schnell behandelt werden müssen. Hier wird die Wunde gereinigt, und eventuell vorhandene Fremdkörper werden entfernt. Handelt es sich um eine Gelenksinfektion, ist die Standardbehandlung eine Gelenkspülung in Vollnarkose. Dadurch wird die Konzentration der Entzündungszellen und Infektionserreger reduziert und einer Knorpelauflösung vorgebeugt“, sagt Dr. Noguera. Falls keine Beteiligung von synovialen Strukturen vorliegt, kann die Verletzung meist am stehenden Pferd versorgt werden. Es folgt die Gabe von entzündungshemmenden Medikamenten und Antibiotika.
Beinverletzungen Pferd: Gute Heilungschance
Je nach Möglichkeit wird in den ersten Tagen ein Verband angebracht, damit die betroffene Gliedmaße nicht zu stark bewegt wird, die Wunde geschützt ist und somit besser heilen kann. „Wichtig ist ein regelmäßiger Verbandswechsel“, so die Expertin. Dann bleibt der Vierbeiner einige Tage bis zu einer Woche in der Klinik. Die Ruhezeit wird im Heimatstall bis zur Abheilung der klinischen Symptome hinaus fortgesetzt. Je nach Fall dauert das mindestens 14 Tage. Dann geht es mit dem Führen im Schritt weiter in die Rehabilitationsphase.
„Je früher eine Gelenksverletzung behandelt wird, desto besser sind die Chancen auf eine Heilung“, weiß die Tierärztin. Oft könnten zwischen 80 und 90 Prozent der Pferde nach einer Verletzung mit Gelenksbeteiligung wieder normal geritten werden.
Wie gut, dass die Technik des Röntgens heute so ausgefeilt ist, doch manchmal hilft auch sie nicht gleich weiter – und zwar dann, wenn eine Schlagverletzung zu einer Knochenfissur geführt hat. „Damit ein Knochen kaputt geht, muss sich an einem Punkt extrem viel Energie konzentrieren. Dafür bedarf es eines High Impacts“, so Dr. No- guera. Danach sind alle Lahmheitsszenarien möglich – von einer leichten bis zu einer starken plötzlichen Lahmheit. Weiterhin sind meist, bis auf eine diffuse Schwellung, keine anderen Symptome sichtbar.
„Am Tag der Verletzung ist eine Kno- chenfissur schwer zu diagnostizieren. Die Chancen, mit den Röntgenstrahlen den richtigen Winkel zu erwischen, um den Haarriss darzustellen, sind gering und oft mit viel Glück verbunden. Röntge ich die Fissur auch nur ganz leicht in einem anderen Winkel, sehe ich sie nicht“, erläutert die Expertin.
Wenn sie aber weiß, das Pferd hatte eine Trittverletzung und lahmte direkt danach, behält sie trotz des scheinbar unauffälligen Röntgenbildes den Fissurverdacht im Hinterkopf. „Der Patient erhält für die nächsten zehn bis zwölf Tage absolute Boxenruhe. Danach wiederhole ich das Röntgenbild. Bestätigt sich der Verdacht, ist die Fissur jetzt röntgenologisch zu erkennen, weil die Umbauprozesse des Knochens begonnen haben und sie sichtbar machen“, erläutert sie. Wenn das Pferd nach diesem Zeitraum aber lahmfrei und auf den Röntgenbildern immer noch nichts Auffälliges zu sehen, ist kann eine Fissur mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Je nach Lokalisation der Fissur ist die wichtigste Erstmaßnahme, das Bein schnellstmöglich zu immobilisieren. Es muss verhindert werden, dass aus einer Fissur eine Fraktur wird. Dann kommt der vierbeinige Patient in die Klinik. „Wo liegt die Fissur? Wie sieht sie aus? Ist der Knochen durch sie instabil geworden oder nicht? Antworten darauf geben die weiteren Therapiemöglichkeiten nach dem Röntgen vor“, so Dr. Noguera.
Text: Inga Dora Schwarzer Foto: www.Slawik.com