Bei Stress wollen Pferde fliehen. So hat es die Natur eingerichtet. Gesteuert wird dieses Verhalten von mehreren Botenstoffen im Gehirn. Wird der Stress jedoch zum Dauerbrenner, kann das zu verschiedenen pferdetypischen Erkrankungen führen. Warum Pferde so anfällig für Stress sind und was wir dagegen tun können

Das Adrenalin, das bei Stress freigesetzt wird, kann nur von der Skelettmuskulatur abgebaut werden, deshalb wollen sich gestresste Menschen und Tiere bewegen, sie werden zappelig. Noch viel weitreichendere Folgen hat aber die enorm hohe Produktion von Cortisol.

Das Stresshormon Cortisol hat im Körper die natürliche Aufgabe ganz schnell für Energie zu sorgen. Dafür wandelt es Eiweiße (Proteine) zu Zucker (Glucose) um. Der Zucker dient den Zellen als Energielieferant. Besonders die am schnellen Lauf beteiligte Kruppenmuskulatur kann den bereitgestellten Zucker in Sekundenschnelle verwerten. Da ist die Sache mit der sogenannten Glycogenspeicher-Muskulatur: Grundsätzlich ist Muskulatur gut durchblutet und deshalb rot. Die Kruppenmuskulatur des Pferdes ist hingegen weiß, da sie schlecht durchblutet ist, dafür aber einen eigenen Zuckerstoffwechsel besitzt. Genau das ermöglicht Fluchttieren, jederzeit einen schnellen Sprint aus der Hinterhand einzulegen.

Das statistisch häufigste Symptom durch zu viel Cortisol, ist die Gastritis – also die Reizung der Magenschleimhaut. Befindet sich ein Pferd unter Stresseinfluss, ist das Nervensystem des Sympathikus, der sogenannte Fight-or-Flight-Nerv, aktiv. Alles ist nun auf Flucht ausgerichtet: hohe Atem- und Herzfrequenz, erweiterte Pupillen, gesenkte Durchblutung im Magen-Darm-Trakt. Für Verdauung bleibt auf der Flucht keine Zeit.  Diese wird normalerweise vom nervlichen Gegenspieler geregelt, dem sogenannten Parasympathischen System, oder auch Rest-and-Digest-Nerv. Er arbeitet nur korrekt, wenn sich das Pferd im Ruhe-Modus befindet.

Hält das Stress-Level also zu lange an oder setzt es zu häufig ein, wird kaum noch richtig verdaut. Das Pferd legt lange Fresspausen ein, kaut zu wenig und bildet zu wenig Speichel. In dem sind aber wiederum Bi-Carbonate enthalten, die als natürliche Säurepuffer fungieren. Infolgedessen reizt die Magensäure die Magenschleimhaut. Daraus kann sich ein Magengeschwür entwickeln. Eine unzureichende Verdauung hat jedoch noch weitere Folgen, denn die meisten wichtigen Bausteine für den Stoffwechsel – und damit für die Steuerung aller Körperfunktionen – werden während der Verdauung im Darm gebildet. Nicht umsonst sagte schon Hippokrates: „Alle Krankheiten beginnen im Darm“. Gerade das Gehirn ist bei seiner Arbeit auf diese Bausteine angewiesen: Ohne die Verdauungsleistung des Darms fehlen dem Gehirn wichtige Stoffe, aus denen zum Beispiel die sogenannten Neurotransmitter zusammengesetzt werden, die überall im Körper für die Weiterleitung nervaler Impulse zuständig sind. Wegen dieses engen Zusammenspiels von Darm und Gehirn spricht man heute auch von der Darm-Hirn-Connection.

Aber es geht noch weiter: Ein gereizter Magen oder Darm ist auch nicht in der Lage, wichtige Nahrungsbestandteile über die Schleimhäute in den Blutkreislauf zu transportieren (absorbieren). Längerfristig ist eine Mangelversorgung der Zellen, der Organe, der Muskulatur und letztlich aller Strukturen die Folge. Ebenso wenig kann eine defekte Dickdarmschleimhaut Wasser aus den Resten des Nahrungsbreis zurückgewinnen (resorbieren). Die Flüssigkeit geht dem Körper verloren, und wird vor oder nach dem Kotabsatz ausgeschieden: das bekannte Symptom Kotwasser. Tritt es bei Pferden auf, sollte man das immer ernst nehmen, ganzheitlich behandeln und sich fragen, ob womöglich Stress als Ursache in Betracht kommt. Ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit einer stressfreien und damit ungestört arbeitenden Verdauung, ist das Auftreten von Hufrehe. Denn sofern es sich nicht um eine Belastungs- oder Geburtsrehe handelt, ist die Hufrehe (Pododermatitis aseptica diffusa) zu 99 Prozent auf eine gestörte Darmfunktion zurückzuführen. Warum das? Für uns Menschen sind pflanzliche Rohfasern reiner Ballaststoff, wir können sie nicht verwerten. Das Säugetier Pferd kann als reiner Pflanzenfresser davon leben! Allerdings nur, weil in seinem Darm ganz spezielle Mikroorganismen vorkommen, die ihm helfen, diese Rohfasern zu zersetzen. Dabei handelt es sich um Einzeller, die sich, abhängig von der aktuellen Futter- oder Verdauungssituation, stark vermehren oder absterben. Sterben sie ab, löst das eine massive Abwehrreaktion aus: große Moleküle, sogenannte Immunkomplexe, sacken nach unten, passen schlussendlich aber nicht durch die zarten Blutgefäße der Huflederhaut und bringen diese daher zum Platzen. Um diese sehr schmerzhafte Erkrankung zu vermeiden, muss unser Augenmerk also immer auf einer reibungslosen Verdauung liegen – das funktioniert mit artgerechtem Futter in guter Qualität, individuell angepassten Mengen sowie ohne Stress! Aus diesen Gründen sollte eine Futterreduktion zur Gewichtsabnahme auch nie abrupt erfolgen, sondern vorsichtig und unter begleitenden, präventiven Maßnahmen für die Darmflora.

Stress beim Pferd: Homöopathie- Craniosacral-Therapie stützt den Parasympathikus

Mit zahlreichen pflanzlichen Wirkstoffen, aber auch mit Hilfe einer Craniosacral-Therapie kann ein ganzheitlich ausgebildeter Pferde-Therapeut auf das Parasympathische System, den Rest-and-Digest-Nerv, einwirken. Durch unterschiedliche Techniken wird auf den wichtigen Nervus vagus Einfluss genommen, den längsten Nerv des Säugetieres. Er zieht sich vom Gehirn (Cranio)über die Schulter/Vorhand weiter zu den Bauchorganen und schließlich zum Sacrum, dem Kreuzbein. Neben verschiedenen Körperfunktionen steuert der Nerv vor allem die Verdauung des Pferdes.

Therapeutisch vorsichtig sollte man hingegen mit chemischen Säurebindern umgehen, sogenannten Protonenpumpen-Hemmern. Sie kommen häufig bei Magenproblemen zum Einsatz und hemmen die Magensäureproduktion. Sie sollten jedoch nur maximal zwei Wochen angewandt werden, denn sie hemmen auch anderswo im Körper solche Protonenpumpen – zum Beispiel im Gehirn, wo es jedoch absolut nicht erwünscht ist. Lieber zu natürlichen Säurebindern greifen und schauen, wo das Problem wirklich herkommt.

Unter Einfluss des Sympathikus-Nervs, also bei Fluchtbereitschaft, weiten sich zudem die Atemwege. Sinn der Sache ist, das Pferd im schnellen Lauf ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Ist die Erweiterung allerdings ein Dauerzustand, haben auch Schadstoffe wie Pilze, Pollen, Bakterien und Staub leichtes Spiel, in die Atemwege zu gelangen. Die Gefahr von Allergien und Infekten steigt signifikant und die natürliche Schutzfunktion der Luftröhre geht verloren, indem die sogennanten Flimmerhärchen werden geschädigt werden. Hustet ein Pferd, sollte es umgehend behandelt werden, denn einmal beschädtigte Alveolen sind nicht zu reparieren. Alveolen sind die ganz kleinen Lungenbläschen am Ende des Bronchialbaumes, über deren zartes Gewebe der Austausch zwischen Sauerstoff und Blut, frischem und verbrauchtem Sauerstoff stattfindet. Natürlich ist auch die Herzfrequenz unter Cortisoleinfluss erhöht, denn während der Flucht soll das Herz den Organismus ausreichend mit sauerstoffreichem Blut versorgen. Man kann sich gut vorstellen, dass das Herz Schaden nimmt, wenn dieser Zustand zum Dauerbrenner wird.

Text: Andrea Grafentin-Lüdemann (THP)      Foto: www.Slawik.com

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