Viele Pferde haben vermeintliche Schönheitsfehler, die unter die Haut gehen. Narben können sie so stark beeinträchtigen, dass ihre Gesundheit darunter leidet. Wann sie sich zu Störfeldern entwickeln und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, erklärt der Pferdephysiotherapeut und -osteopath Jochen Lill
Ein Biss, ein Schlag, eine Verletzung durch einen scharfen oder spitzen Gegenstand – und schon ist es passiert. Die Haut ist verwundet. Das geschieht auch bei Entzündungen, Abszessen, Operationen oder nichtchirurgischen Schäden (z.B. Krebserkrankungen). „Ist nur die oberflächliche Schicht (Epidermis) betroffen, ist der Körper des Pferdes in der Lage, eine neue Hautschicht zu bilden“, sagt Pferdephysiotherapeut und -osteopath Jochen Lill aus dem bayerischen Antdorf. Diese erfüllt alle relevanten Funktionen gesunder Haut, ohne dass eine Narbe zurückbleibt. „Sind aber tiefer liegende Hautschichten, wie die Dermis (Lederhaut) betroffen, entstehen Narben.“
Bildung eines Hautimitats
Das geschieht in drei Phasen: Zunächst bekämpft der Körper mögliche Fremdkörper, die durch die Verletzung eindringen. „Das Blut transportiert dann Schmutz und Keime nach außen. Ist dies geschehen, beginnt er umgehend, die Verletzung von außen nach innen zu verschließen. Das hat oberste Priorität, um beispielsweise Infektionen zu vermeiden“, weiß der Experte. In der Wiederaufbauphase wird im Rahmen der Wundheilung erst ein eher instabiles Granulationsgewebe gebildet und danach die Wunde nach und nach mit Kollagen, einem Bindegewebseiweiß, aufgefüllt. So bildet sich ein Hautimitat aus, und eine Narbe entsteht. Das faserreiche Ersatzgewebe verfügt jetzt nicht mehr über dieselben Eigenschaften wie die ursprüngliche Hautschicht. Es ist weniger dehnfähig und elastisch.
Die Narbenentwicklung und das spätere Aussehen werden vor allem durch die Art der Verletzung, die Größe und Tiefe der Wunde, die Dauer der Entzündung und die individuelle Veranlagung des Pferdes beeinflusst. Obwohl alle Wunden dieselben Reparaturphasen auf ihrem Heilungsweg durchlaufen, kann daher das Endergebnis in kosmetischer und funktioneller Hinsicht unterschiedlich sein: Die verletzte Haut kann nackt bleiben. Die Haare wachsen an dieser Stelle nicht mehr nach, nicht mehr glatt, sondern wild durcheinander nach oder in einer anderen Farbe (meist weiß). Die Narbe selbst kann höher oder tiefer liegen als das umliegende Gewebe, schrumpelig, glatt, hart oder klumpig aussehen. Sie kann sich eher warm oder kalt anfühlen, berührungsarm oder berührungsempfindlich sein.
Verschiedene Narben
„Grundsätzlich ist es so, dass ein großes traumatisches Ereignis eine große Narbe verursacht und ein kleineres traumatisches Ereignis eine kleinere Narbe. Daneben gibt es solche, die langfristig zu Problemen führen: Keloide Narben (umgangssprachlich wildes Fleisch) entstehen durch eine Überproduktion von Bindegewebsfasern. Diese reichen über den eigentlichen Wundbereich hinaus und verbinden sich mit dem umliegenden gesunden Gewebe. Hypertrophe Narben bilden ebenfalls zu viel Bindegewebsfasern, so dass es auch hier zu einer Wulstbildung kommt. Allerdings bleibt diese im Gegensatz zum Narbenkeloid auf die Verletzung beschränkt. Bei atrophen Narben werden zu wenig Bindegewebsfasern gebildet. Somit kann die Wunde nicht gänzlich aufgefüllt werden“, erklärt Lill.
Durch Narben entstehen meist Verbindungen zwischen Gewebeschichten, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind. Die Oberhaut kann mit der Unterhaut, den Faszien oder auch tieferen Strukturen verkleben, die nun nicht mehr gegeneinander beweglich sind. „Aufgrund der geringeren Elastizität des Narbengewebes kommt es stets zu unvermeidlichen Spannungen in ihrem Umfeld“, so der Pferdephysiotherapeut. Ist die Mobilität des Narben umgebenden Weichgewebes gestört, können u. a. Gewebeversteifungen, Verspannungen, Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Lahmheiten oder krankhafte Bewegungsmuster die Folge sein. „Generell sind Narben immer Störherde, die das Pferd in seiner Gesamtheit mit mehr oder weniger großen Auswirkungen negativ beeinträchtigen“, ergänzt er.
Text: Inga Dora Schwarzer Foto: Shutterstock/ Rick de Jongh