Text: Aline Müller Foto: www.slawik.com
Das Genick ist ein äußerst sensibler Bereich des Pferdekörpers. Ein Einblick in die Anatomie und Biomechanik hilft zu verstehen, warum eine korrekte Einwirkung auf das Pferd so wichtig ist. Wie das geht und warum auch die Haltung dabei eine entscheidende Rolle spielt, erklärt unsere Expertin Helle Katrine Kleven.
Du musst dein Pferd durchs Genick reiten“ – dieser Satz wird im täglichen Training oft falsch verstanden. Wer versucht, durch Handeinwirkung eine bestimmte Kopf-Hals-Haltung zu erzwingen, arbeitet gegen das Pferd. Die Folge sind Verspannungen, Fehlhaltungen und Blockaden, die mit starken Schmerzen einhergehen können. Machen Sie sich bewusst, dass sich Pferde in der Natur die meiste Zeit mit gesenktem Kopf bewegen, um zu fressen. In dieser Haltung verbringen sie etwa 16 Stunden am Tag. „Die Genickmuskulatur ist dabei maximal entspannt und entlastet. Die Halswirbel bekommen zusätzlich einen angenehmen Zug“, erklärt Helle Katrine Kleven, Physiotherapeutin und Osteopathin für Pferde. Hinzu kommt, dass auch der Rücken des Pferdes eigentlich nicht zum Tragen von Lasten geeignet ist. Als Reiter haben wir die Aufgabe, unser Pferd gesund zu erhalten. Dazu ist ein entsprechendes Wissen um die Biomechanik und Anatomie nötig, wobei es nicht ausreicht, lediglich das Genick zu betrachten.
Ein Bewegungswunder
„Die Halswirbelsäule ist der beweglichste Abschnitt der gesamten Wirbelsäule des Pferdes und besteht aus sieben mächtigen Knochen“, so unsere Expertin. Die Wirbel mit ihren großen Gelenkflächen und dicken Bandscheiben sind eng miteinander verbunden. Im Gegensatz zu Rippen und Querfortsätzen haben sie keine seitliche Abgrenzung. Dadurch entsteht eine hohe Beweglichkeit. So ist das Pferd in der Lage, seine Umwelt stets im Blick zu behalten. Es kann den Kopf nicht nur heben, sondern ihn auch tief senken und nach hinten schauen. Die Beweglichkeit ermöglicht es dem Pferd auch, sich am Bein oder sogar an der Kruppe zu kratzen oder zu kraulen. Die Halswirbelsäule ist sehr komplex und unterscheidet sich in ihrer Bewegungsfähigkeit. Um im Folgenden genauer auf die Anatomie und Biomechanik einzugehen, betrachten wir vor allem das Genick beziehungsweise die obere Halswirbelsäule (Hinterhauptbein/erster und zweiter Halswirbel).
Die obere Halswirbelsäule
Wenn Sie das nächste Mal die Box Ihres Pferdes betreten, sollten Sie die Bewegungen seines Genicks einmal genau beobachten: Wenn es schnuppert, Sie mit dem Maul begrüßt oder nach Leckerlies in Ihrer Tasche sucht, wird deutlich, dass dieser Abschnitt des Körpers eine große Flexibilität besitzt. Vom Beugen über das Strecken bis hin zur Längsbiegung, dem Drehen und dem seitlichen Gleiten sind alle Bewegungen möglich. Das Genick, das auch als obere Halswirbelsäule bezeichnet wird, besteht aus dem Hinterhauptbein, dem ersten Halswirbel (Atlas) und dem zweiten Halswirbel (Axis). Dabei sind diese ersten zwei Halswirbel anatomisch gesehen sehr ausgeprägt geformt. „Der Atlas ist kurz und rund“, beschreibt Helle Katrine Kleven und fügt hinzu: „Er hat große Gelenkpfannen zum Kopf hin, die eine großzügige Bewegung erlauben.“ Charakteristisch sind die beiden seitlichen Flügel, die Sie selbst gut tasten können. Der Axis ist eher schmal und lang geformt. Er hat keine großen Gelenkverbindungen zum Atlas, sondern eine Art „Zahn“, der im Wirbelkanal steckt und die Verbindung zum ersten Halswirbel bildet. Wir sprechen also über zwei Wirbel mit ganz unterschiedlicher Form, die eine große Bewegungsfreiheit des Genicks und des Kopfes ermöglichen. Hingegen wirkt die Gelenkverbindung vom zweiten zum dritten Halswirbel relativ fest, da sie wie ein Gegenpol arbeiten muss, um der Halswirbelsäule Stabilität zu verleihen.
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UNSERE EXPERTIN: Helle Katrine Kleven ist Physiotherapeutin und Osteopathin für Pferde. In ihrem Buch „Biomechanik und Physiotherapie für Pferde“ erklärt sie anschaulich, wie der Pferdekörper funktioniert und wie Sie als Halter durch Massagetechniken die Gesundung und Gesunderhaltung des Pferdes unterstützen können. www.helle-kleven.de
BUCHTIPP
Ein Hauptbestandteil des aktualisierten Beststellers aus dem FN-Verlag „Biomechanik und Physiotherapie für Pferde“ von Helle Katrine Kleven ist ein ausführlicher Praxisteil mit Ergänzungen und Neuerungen bezogen auf die therapeutischen Maßnahmen, wie Übungen zur Massage, Mobilisation, Dehnung und Stabilisation, sowie Möglichkeiten zur Vorbeugung und Rehabilitation. Neu erläutert wird unter anderem das Thema Faszien und ihre Bedeutung. Sie erhalten das Buch hier für 26,90 Euro.