Er trägt seinen Namen nicht ohne Grund: Es erinnert ein wenig an einen stolzierenden Gockel, wenn das Pferd die Hinterbeine ruckartig unter den Bauch zieht. Die Symptome der Krankheit sind eindeutig – ganz anders sieht es bei den Ursachen aus
Die Uhr tickt. Eine letzte enge Wendung, dann noch fünf Galoppsprünge bis zum letzten Sprung. Kraftvoll drückt sich der Braune aus der Hinterhand ab, überwindet den mächtigen Oxer nahezu mühelos. Seine Reiterin jubelt, lobt den Wallach überschwänglich und hat dann alle Hände voll zu tun, ihn nach dem schnellen Stechen wieder zu bremsen – das ist der Sieg! Und zwar nicht irgendeiner: Als erste Frau überhaupt gewinnt Gudrun Patteet im Juni 2019 den Großen Preis von Lausanne. Das Turnier am Ufer des Genfer Sees ist gleichzeitig Etappe der Longines Masters, auf den Gewinner warten damit fast 100.00 Euro Preisgeld. Das Pferd, dem die Belgierin diesen großen Erfolg verdankt, hört auf den Namen Pebbles Z.
Knapp drei Monate vorher: Beim Weltcup- Finale in Göteborg treffen die besten Reiter und Pferde der Welt im Parcours aufeinander. Auch Gudrun Patteet und Pebbles haben sich für den Höhepunkt der Hallensaison qualifiziert. Doch das Turnier ist für die beiden schneller vorbei, als geplant. Die ganz große Enttäuschung kommt schon im Vet Check. „Not accepted“ heißt es nach dem Vormustern vor dem verantwortlichen FEI-Tierarzt. Grund für das vorzeitige Ausscheiden ist ein Hahnentritt, den der Wallach bereits seit seinem achten Lebensjahr zeigt. „Ich versuche zu verstehen, warum sie ihn bei all den anderen Vet Checks akzeptiert haben, obwohl er sich dort genauso bewegt hat, aber nicht hier beim Finale …“, ringt seine Reiterin anschließend um Worte. Tatsächlich hatte Pebbles alle Vet Checks bei Fünf-Sterne- und Weltcup- Turnieren anstandslos passiert und mit vielen tollen Runden das Publikum begeistert. Nicht umsonst wählten die belgischen Pferdefans ihn zum „Pferd des Jahres 2019“.
Der idiopathische Hahnentritt
Seit sechs Jahren hat Pebbles einen Hahnentritt im rechten Hinterbein – und etwa genauso lange reitet Gudrun Patteet den heute 18-jährigen Wallach schon. Seine größten Erfolge hat Pebbles demnach alle mit oder besser trotz der Krankheit errungen. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen dem australischen Hahnentritt, der durch eine Vergiftung verursacht wird und dem idiopathischen Hahnentritt, dessen Ursachen – der Name verrät es schon – unklar sind. Letzterer ist auch bei Pebbles diagnostiziert worden. Ein Auslöser für die Symptome ließ sich trotz unzähliger Untersuchungen und Tests nicht bestimmen. Beim Hahnentritt zeigt das Pferd eine Bewegungsstörung (Hyperflexion), bei der eines oder beide Hinterbeine unnatürlich weit gebeugt und ruckartig unter den Körper gerissen werden, in schweren Fällen sogar den Bauch berühren. Diese Störung kann plötzlich oder allmählich auftreten, sowie nur zeitweilig oder durchgehend zu beobachten sein. Bei Pebbles sind die Symptome in den letzten Jahren stärker geworden. Wie es für den idiopathischen Hahnentritt typisch ist, zeigt er die Störung einseitig, zieht nur das rechte Hinterbein unter den Bauch.
Die Krankheit tritt in den langsamen Gangarten auf, also im Schritt und Trab. „Es ist allerdings ein Mythos, dass der Hahnentritt nur im Schritt zu beobachten ist, mittlerweile ist er auch häufig im Trab zu sehen“, betont Carolin Gerdes von der Pferdeklinik Hochmoor. Laut der Tierärztin ist die Krankheit heutzutage recht selten: „In unserer Klinikpopulation kann man mit ein bis zwei Pferden pro Jahr rechnen. Die Kollegen in der Außenpraxis sehen evtl. häufiger Pferde mit Hahnentritt.“ Meist handele es sich bei ihren Patienten zudem um Pferde mit einem idiopathischen Hahnentritt – wobei die australische Form vermutlich in anderen Ländern häufiger zu beobachten sei.
Die Frage nach den Ursachen
Bei einem idiopathischen Hahnentritt ist es laut Gerdes vor allem wichtig, zunächst die klinischen Symptome einzuordnen. Manchmal können kürzlich aufgetretene, traumatische Verletzungen an den Gliedmaßen der Auslöser für die Erkrankung sein. In anderen Fällen sind es stark schmerzhafte Prozesse an den Hinterbeinen, wie etwa ein Hufgeschwür, die einen Hahnentritt hervorrufen. Ob die eigentliche Ursache eine Verklebung der Strecksehne oder Verletzungen an den sensorischen Nervenenden sind, ist bisher aber nicht geklärt. „Der seitliche Streckmuskel liegt außen am Sprunggelenk. Ein externes Trauma kann daher leicht zu Verklebungen führen“, erklärt die Tierärztin.
Einer, der sich von seinem Hahnentritt definitiv nie stoppen lassen hat, ist Pebbles. Dr. Filip Vandenberghe, Partner der belgischen Pferdeklinik Bosdreef, behandelt den Wallach schon von Beginn an. „Sein Fall ist sehr gut dokumentiert, Pebbles hat eine periphere Neuropathie (Anm. d. Red.: Störung eines bestimmten Nerventeils), die nur einen Streckmuskel betrifft“, erläutert der belgische Tierarzt. Der Gesundheitszustand des Wallachs wird permanent überprüft – auch nach dem nicht bestandenen Vet Check beim Weltcup-Finale in Göteborg ging es direkt für eine Kontrolluntersuchung in die Klinik: ohne Befund. Dr. Vanderberghe nutzt neuste Technologien, wie etwa 3D-Kameras und fortschrittliche bildgebende Diagnostik. „Wir überprüfen ständig, ob sein Hahnentritt nicht eventuell eine zugrunde liegende Muskel-Skelett-Erkrankung überdeckt, die dem Pferd schaden könnte. Sein allgemeines Wohlbefinden ist unser primäres und einziges Interesse.“ Der Tierarzt betont auch, dass klar zwischen einer Lahmheit aufgrund von Schmerzen und einem asymmetrischen Gangbild infolge eines Hahnentritts unterschieden werden müsse. „Für eine Person, die das Pferd nicht kennt, könnte das eine Herausforderung sein. Pebbles zeigt sehr ausgeprägte Symptome, das kann den Beobachter verwirren und zu der falschen Annahme führen, dass das Pferd leidet“, so Dr. Vandenberghe. Entsprechende Tests haben aber bewiesen: Pebbles ist definitiv schmerzfrei.
Text: Redaktion Foto: Dirk Caremans