Text: Inga Dora Schwarzer Foto: imago images/ Steffen Schellhorn
Für uns Menschen ist der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt selbstverständlich. Aber auch für Pferde ist die Zahngesundheit wichtig. Um sie vor Schäden und Schmerzen zu bewahren, muss der Mensch einzugreifen. Worauf es dabei ankommt, erklärt Tierarzt Dr. med. vet. Timo Zwick
Wildpferde brauchen keinen Zahnarzt, denn sie fressen in der Steppe hartes, silikatreiches und oft sehr kurzes Gras, mit dem sie Sand aufnehmen. Sowohl die Silikatkörnchen, mit denen Gräser ihre Blätter vor Fressfeinden schützen, als auch die Sandkörnchen haben eine stark reibende Wirkung – ähnlich wie Schleifpapier. Die Pferdezähne sind damit etwa 16 Stunden pro Tag einem starken Abrieb ausgesetzt sind. Doch die Pflanzenfresser haben eine wirksame Gegenmaßnahme entwickelt.
Jahrelanges „Wachstum“
Von Natur aus werden die Pferdezähne sehr lang angelegt und schieben pro Jahr ca. zwei bis fünf Millimeter aus den Zahnflächen heraus. Dabei „wachsen“ die Zähne bis zum Alter von etwa zehn Jahren in ihrer Länge. In Wirklichkeit wird allerdings durch das Herausschieben der Zähne nur die Wurzeln entsprechend kürzer. Das Problem? Die Haltung unserer Tiere entspricht nicht mehr den Gegebenheiten der ursprünglichen Steppenbewohner.
„Unsere Pferde haben meist viel kürzere Fresszeiten, erhalten oft weiches Raufutter oder krippenfutterreiche Rationen, sodass der Abrieb der Zähne zu gering ist“, erklärt Dr. med. vet. Timo Zwick, Geschäftsführer der Tierärztlichen Klinik Gessertshausen (Bayern) sowie Gründer und Abteilungsleiter der dortigen Zahnstation Pferd. Hinzu kommt, dass sich Veränderungen der Kauflächen, sogenannte Malokklusionen, im Laufe der Jahre verstärken. Greift der Mensch nicht ein, führen sie zu einer unregelmäßigen Zahnabnutzung.
„Es treten Wellen, Rampen, Stufen oder Treppen sowie scharfe Spitzen und Kanten an den Backenzähnen auf. Letztere können zu Verletzungen der Wangen- und Zungenschleimhaut führen. Es kann auch sein, dass die Zähne zur Zunge, zur Backe, nach vorne oder hinten wandern“, erklärt der Experte. All diese Imbalancen stören das Pferd in seiner Kautätigkeit. Je nach Schwere verursachen sie auch starke Schmerzen.
Neben den Backenzähnen müssen auch die Schneidezähne u.a. in ihrer Länge, Linie (schief oder gebogen) oder Lage (Über- oder Unterbiss) korrigiert werden. Durch zu lange Schneidezähne verringert sich beispielsweise der Kontakt der Backenzähne. Beim Zerkleinern von Futter muss das Pferd nun durch starkes Pressen mit den Kaumuskeln und den Kiefergelenken die weit ausladende Seitwärtsbewegung beim Kauvorgang kompensieren. „Mit der Zahnbehandlung gleichen wir daher aus, was die Domestikation und unsere Haltungsbedingungen nicht schaffen“, so Zwick.
Falsche Zuchtkriterien
Ein weiterer Grund für einen Besuch beim Tierarzt ist die vom Menschen vorgenommene Selektion der Zuchttiere. Dabei werde laut dem Experten zu wenig auf die Zahngesundheit geachtet. Lediglich der Überbiss sei ein Kriterium. Es gäbe aber Zahn- und Gebissveränderungen, die erblich bedingt seien und in der Zuchtauswahl keine Berücksichtigung fänden. Auch das vorherrschende Ziel von feinen und grazilen Köpfen sei problematisch. „Bei modernen Sportpferden ist es relativ häufig, dass sie zu wenig Platz für zu große Zähne haben“, bemängelt der Zahnexperte.
Daneben wirken sich Krankheiten auf das Gebiss aus. Dazu zählen Erkrankungen und Entzündungen der Zähne und des Zahnhalteapparats sowie Zahnfrakturen. „Oft sehen wir eine Parodontitis, also eine Entzündung des Zahnhalteapparates. Sie beginnt mit einem zu weiten Zahnzwischenraum, einem Interdentalspalt, indem sich Futter sammelt. Durch bakterielle Erreger bildet sich eine Entzündung, die auf den Halteapparat, die Wurzel oder den Knochen um den Zahn herum übergreift und diese infiziert. Da schmerzt jeder Kauschlag“, erläutert Zwick.
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