Im zweiten Teil der Reihe sagen wir Ihnen, was ein Pferd während der Weidesaison zusätzlich fressen soll und wann es durch eine Über- oder Unterversorgung vielleicht sogar gefährlich wird, und welche Inhaltsstoffe im Futter gerade in den wärmeren Monaten wichtig sind. Futterexperten geben die besten Tipps.
„Ein Grund für eine Überfütterung ist, dass unterschätzt wird, wie viel Zucker schon auf der Weide aufgenommen wird. “
Mirjam Grabo, Tierheilpraktikerin, www.tierheilpraxis-alfter.de
Im Gras sind viele der flüchtigen, empfindlichen Inhaltsstoffe enthalten, die auch in sehr gutem Heu durch das Trocknen verloren bzw. kaputtgehen. Allen voran sind es die entzündungshemmend wirkenden Omega-3-Fettsäuren. Diese sind in frischem Gras in einem für Pferde optimalem Verhältnis von 4:1 oder höher enthalten. Im Heu jedoch nicht – deswegen macht das Zufüttern von zum Beispiel Leinöl nur im Winter wirklich Sinn. Leider sind unsere Weiden heutzutage alles andere als Arten- reich. Haben wir das Glück, dass unsere Pferde auf wirklich bunten Wiesen grasen dürfen, und nicht (wie bei den meisten) auf extrem grünen, dichten Monokulturen, dann könnte auch die Mineralstoffversorgung ausreichend sein. Die Praxis zeigt aber, dass Pferde fast ausschließlich mit Weidegras gefüttert werden – ob als Heu oder frisch. Dieses Gras wurde für unsere Hochleistungskühe gezüchtet und ist alles andere als pferdegerecht. Auch gibt es viele Pferde, die in den warmen Monaten mehr bewegt und gefordert werden als in der kalten Jahreszeit – dadurch kann dann der Bedarf verschiedener Mineralstoffe steigen. Das Gleiche gilt für die Versorgung mit bestimmten Aminosäuren – habe ich eine artenreiche Wiese, ist die Versorgung im Sommer meist mit allen essenziellen Aminosäuren gewährleistet, und ich brauche keine Zusätze mehr.
Welche Mineralien und Spurenelemente im Weidegras enthalten sind, die somit in der sonstigen Fütterung weniger verabreicht werden sollten, kann man nicht allgemein sagen. Die Mineralien und Spurenelemente sind in den Blättern meist höher als in den Halmen, aber wie viel Magnesium, Schwefel, Mangan, Calcium, Eisen, Zink usw. darin sind, das hängt ganz stark von der Bodenqualität und Düngung ab. Wenn man es genau wissen will, hilft nur eine Boden- und Heuanalyse. Ein Grund der Überfütterung im Sommer ist, dass unterschätzt wird, wie viel Zucker schon auf der Weide aufgenommen wird – wenn dann weiter munter zuckerhaltige Müslis ans Pferd gefüttert werden, werden Pferde dick. Besitzer neigen grundsätzlich dazu, die Arbeit, die ihr Pferd leistet, zu überschätzen. Auf der Wiese sollten keine Giftpflanzen, wie das Jakobskreuzkraut, zu finden sein, aber möglichst viele unterschiedliche Pflanzen. Bei dem normalen Weidelgraswiesen kann ich die Qualität nur beurteilen, wenn ich Proben im Labor untersuchen lasse. Wichtig ist allerdings, dass auch im Sommer immer Heu zur Verfügung steht.
Eine 24-h-Weide vertragen die wenigsten Pferde, bei den meisten wird der Stoffwechsel damit überfordert, da das gängige Gras auf den Weiden leider Kuhgras und kein Steppen- gras ist. Was noch zu beachten ist, ist, dass Pferde durchs Schwitzen vor allem Salz verlieren. Frisst das Pferd den Salzleckstein, der immer zur Verfügung stehen sollte, regelrecht auf, dann ist das oft ein Zeichen für ein größeres Stoffwechselproblem. In diesem Fall bitte den Stein wegnehmen und Salz nach Bedarf ergänzen. Überversorgungen jeglicher Art zeigen sich meist in Stoffwechselproblemen, die im schlimmsten Fall zu EMS und Rehe führen können. Überversorgung an bestimmten Mineralien kann echte Vergiftungserscheinungen zur Folge haben, andere Mineralien werden einfach ausgeschieden. Manche Mineralien behindern im Überschuss die Aufnahme anderer Mineralstoffe – deswegen ist es sinnvoll, fehlende Mineralstoffe immer nur Kurweise zuzufüttern. Bei Unterversorgungen kann es zu schlechtem, stumpfem Fell, bröckeligen Hufen, Apathie, Infektanfälligkeiten, Parasitenbefall, Leistungseinbrüchen, Nervosität, Aggression, Steifheit, Muskelatrophien, Ataxien usw. kommen.
„Durch Düngung (z. B. mit Kupfer, aber auch Selen) kann der Gehalt im Aufwuchs beeinflusst werden. “
Dr. Anne Mößeler, Fachtierärztin für Tierernährung und Diätetik, Diplomat des ECVCN www.praxis-moesseler.de
Beim Weideaufwuchs gilt es, wie beim Heu, das Vegetationsstadium des Aufwuchses ebenso wie die botanische Zusammensetzung und die Bodenverhältnisse zu berücksichtigen. Auch die Besatzdichte (wie viel Pferde befinden sich pro Hektar auf der Fläche?) und die Höhe des Aufwuchses sind relevant – schließlich beeinflussen sie maßgeblich die aufgenommene Grasmenge. Im Frühjahr weist das Gras allgemein einen geringen Rohfasergehalt und einen hohen Energie- und Proteingehalt auf. Wenn die Pflanzen älter und höher werden, verschiebt sich die Relation von den leichtverdaulichen, wenig verholzten Blättern vermehrt zu den Stängeln. Gras, welches zur Blüte kommt, ist demnach je kg deutlich weniger energiereich und enthält weniger Eiweiß als „junges“ Gras. Dies ist zu berücksichtigen, da auch die Verdaulichkeit des Aufwuchses mit zu- nehmendem Alter der Pflanzen sinkt. Auf einer Fläche, auf der die Pferde „bis zum Bauch“ im Gras stehen, ist die tägliche Energieaufnahme daher ggf. geringer, als wenn die Pferde auf einer Fläche mit relativ kurzem, aber energiereicherem Aufwuchs stehen. Hierbei ist natürlich zu berücksichtigen, dass die Pferde auf einer vollständig „abgegrasten“ Fläche auch von dem Weideaufwuchs mengenmäßig weniger fressen können. Der Mineralstoffgehalt des Aufwuchses hängt vor allem von der Pflanzengesellschaft ab – also davon, wie hoch der Anteil an Kräutern bzw. Gräsern ist. Kräuter gelten im Allgemeinen als reicher an Kalzium als Gräser. Die Düngung hat ebenfalls einen massiven Einfluss auf die Mineralstoffgehalte – auf intensiv mit Wirtschaftsdünger gedüngten Flächen wird der Aufwuchs z. B. im Allgemeinen reicher an Kalium sein. Auch die Spurenelemente und Mineralstoffgehalte hängen vom Boden ab. Grüne Pflanzen enthalten in erheblichem Maße Carotin – aus welchem die Pferde dann Vitamin A synthetisieren können. Die von einigen Herstellern angebotenen „Weide-Mineral- Ergänzungen“, in denen auf Vitamin A, D und E verzichtet wird, haben daher durch- aus ihre Berechtigung. Im Weideaufwuchs ist allgemein der Gehalt an Natrium und Chlorid relativ gering – weshalb den Pferden stets ein Salzleckstein (reines
Kochsalz; keine Minerallecksteine) zur Verfügung stehen sollte.
Insgesamt ist bei Weidehaltung ins- besondere die Versorgung mit Kochsalz und Spurenelementen (Kupfer, Zink, Selen) zu beachten. Hier bietet es sich durchaus an, Boden- bzw. Aufwuchs- proben untersuchen zu lassen, um eine präzise Bewertung der Versorgung zu erhalten und eine geeignete Ergänzung auszuwählen. Mittels sensorischer Prüfung kann demnach zwar eine erste grobe Einschätzung des Nährstoffprofils erfolgen, allerdings ist dies im Allgemeinen vermutlich nur durch geschulte Personen oder ein Labor möglich. Hierbei muss jedoch kritisch überprüft werden, welche Analysen notwendig bzw. sinnvoll sind. Der Fruktangehalt kann tageszeitabhängig und je nach Witterung und Düngung stark schwanken – daher sind Schätzungen diesbezüglich nicht möglich (wenn- gleich einige Gräser als besonders reich bzw. arm an Fruktan eingestuft werden können). Je nach Weideaufwuchs ist also die Notwendigkeit der Zufütterung auf der Weide durchaus variabel. Während im Frühjahr die Zufütterung von strukturierten, rohfaserreichen Futtermitteln sinn- voll ist (um das energie- und proteinreiche Gras bzw. den Aufwuchs auszugleichen), so kann es im Spätsommer bei „überständigem“ Aufwuchs ggf. notwendig sein, energiereichere Futtermittel (z. B. Heu) zuzufüttern. Auch ist der Bedarf des Pferdes stets zu berücksichtigen – während ein „im Schossen“ befindlicher Aufwuchs für laktierende Stuten oder andere Pferde mit hohem Energiebedarf sinnvoll ist, wäre es für fettleibige Ponys oder Pferde natürlich nicht ideal.
Allgemein ist zu betonen, dass stets berücksichtigt werden muss, welche Futtermengen aufgenommen werden können; wenn der Weideaufwuchs üppig (also nicht limitiert) ist, so fressen Pferde durchaus 3 % der Körpermasse als Trockensubstanz. Bei einem 600 kg schwerem Pferd wären dies also 18 kg Trockenmasse Gras – unterstellt man einen Wassergehalt von 20 %, so resultiert daraus, dass ein Pferd realistischerweise 90 kg Gras pro Tag fressen kann. Allerdings ist die tatsächlich realisierte Futteraufnahme tierindividuell verschieden – das hat vermutlich jeder Tierbesitzer schon selbst beobachten können. Während einige Pferde durchaus relevante Zeit während des Weidegangs auf „spielen“, „Träumen“ oder „Dösen“ verwenden, haben andere Pferde eine totale Fokussierung auf die Futteraufnahme und heben im Grunde den Kopf kaum aus dem Gras. Daher ist es sehr schwierig, die individuelle Futteraufnahme auf der Weide präzise vorherzusagen. Während einige Pferde (oft „Nordtypen“) auf der Weide deutlich mehr Futter aufnehmen als sie zur Deckung des Energiebedarfs brauchen (und daher also verfetten), kann es durchaus sein, dass andere Pferde (oftmals „nervöse“ oder „hoch im Blut stehende“ Pferde) auf der gleichen Weide sogar noch zugefüttert werden müssen.
Es hat sich auch bewährt, den Pferden am Morgen vor Weideaustrieb Heu anzubieten, damit diese nicht „hungrig“ auf die Weide kommen. Allerdings muss auch betont werden, dass die Pferde und Ponys ihr Futteraufnahmeverhalten sehr schnell veränderten Bedingungen anpassen. In einer Studie wurde bei Ponys die Weide- zeit moderat verringert. Dies war jedoch wider Erwarten keine geeignete Möglichkeit, die aufgenommene Futtermenge zu reduzieren. Die Ponys nutzten dann einfach „jede Minute“, um zu fressen – die Phasen des „Dösens“ und „Ruhens“ wurden in die Stallperiode verlegt. Die Limitierung der Energieaufnahme auf der Weide gestaltet sich bei „leichtfuttrigen“ Tieren daher relativ komplex. Neben einer Reduktion der Weidedauer ist eine Limitierung der zur Verfügung stehenden Fläche (z. B. tägliche Zuteilung eines kleinen Stücks („Weitersetzen des Zauns“) eine Option. Daneben kann auch durch „Fressbremsen“ die Futteraufnahme reduziert werden. Auf ertragsreichen Weiden ist das Risiko einer Verfettung – je nach Pferdetyp und Leistung – relativ hoch, mit entsprechenden Risiken für Stoffwechselerkrankungen und Hufrehe. Daher ist eine kritische Bewertung des Ernährungszustandes unabdingbar. Für Stu- ten und Fohlen bietet der junge Aufwuchs bezüglich Energie- und Proteinversorgung hingegen ideale Voraussetzungen – vor- ausgesetzt, die Fohlen kommen im April oder Mai und nicht im Januar zur Welt.
Interview: Lara Wassermann, Bild: Imago