Interview: Nicole Audrit    Foto: www.Slawik.com

Landläufig ist das „Shivering-Syndrom“, bei dem die Pferde unter Muskelkrämpfen der Hinterhand leiden, auch unter dem Begriff Zitterkrankheit bekannt. Auffällig ist, dass diese Erkrankung zwar nicht geheilt werden kann, die Pferde häufig allerdings dennoch völlig normal geritten werden können. Die Tierärztin Kristin Schütt (www.tierarztpraxis-am-eichenhain.de) erläutert die Besonderheiten des Shivering-Syndroms und warum es nicht mit dem Hahnentritt verwechselt werden sollte.

Wie äußert sich das Shivering-Syndrom?

Das englische Wort „shivering“ bedeutet übersetzt „Zittern“, deshalb wird das Shivering-Syndrom auch umgangssprachlich als Zitterkrankheit übersetzt. Diese Krankheit äußert sich in den meisten Fällen durch Muskelkrämpfe in der Hinterhand, sowohl in den Gliedmaßen, im Becken als auch im Schweif. Optisch sehen diese Muskelkrämpfe wie ein Zittern aus und können vom Pferd nicht beeinflusst werden. Nur in seltenen Fällen ist die Vorhand oder der Kopf des Pferdes betroffen. Häufig fallen die Symptome des Shivering-Syndroms auf, wenn das Pferd rückwärtsgehen soll – sowohl unter dem Sattel als auch vom Boden aus – oder längere Zeit auf drei Beinen stehen und ein Bein anheben soll – beispielsweise beim Hufeauskratzen oder bei der Hufpflege durch einen Schmied oder einen Hufbearbeiter. Das Pferd lässt dann das angehobene Bein noch etwas länger oben, die Muskulatur krampft, bevor das Pferd das Bein vorsichtig wieder absetzt. Die Symptome können dabei unterschiedlich stark aus­geprägt sein – beginnend bei einer leichten Muskelschwäche bis hin zu krampfartigen und somit deutlich sichtbaren Anfällen. Es wird vermutet, dass Pferde mit Shivering-Syndrom keine Schmerzen bei den Krämpfen haben.

Wie kann die Erkrankung diagnostiziert und ­behandelt werden? Gibt es Heilungschancen?

Der Tierarzt muss vor allem genau beobachten: Differenzialdiagnostisch könnte man ansonsten anhand der Symptome einen Hahnentritt (siehe Bild) oder Probleme mit den Kniebändern vermuten. Allerdings zeigt ein Pferd mit Hahnentritt das charakteristische Hochziehen des Hinterbeins bei jedem Schritt und setzt das Bein anschließend in einer schnellen, ruckartigen Bewegung ab. Besonders zu Beginn der Erkrankung muss der Tierarzt daher ganz genau hinschauen, um das Shivering-Syndrom diagnostizieren zu können. In Kliniken kann die Erkrankung beispielsweise durch ein Elektromyogramm (EMG) weiter untersucht werden. Bei dieser Untersuchung werden die neuromuskulären Aktionen bei der Kontraktion von Muskelfasern gemessen. Außerdem kann gegebenenfalls anhand des Werts des Enzyms Creatinkinase, das für den Energiestoffwechsel der Muskelzelle zuständig ist, eine Aussage zu der Erkrankung getroffen werden. Allerdings kann allein durch ein Blutbild keine hundertprozentige Diagnose getroffen werden. Es gibt leider keine schulmedizinische Behandlung – geschweige denn Heilung – für Pferde mit Shivering-Syndrom. Aber man kann den Pferden mit verschiedenen Ansätzen erleichtern, mit der Erkrankung klarzukommen. Zunächst ist dabei die Haltung zu erwähnen: Generell ist eine artgerechte Haltung mit vielen Bewegungsmöglichkeiten immer erstrebenswert. Bei Pferden mit Shivering-Syndrom ist diese unumgänglich: Langes Stehen, beispielsweise bei reiner Boxenhaltung mit wenig Bewegungsmöglichkeiten, kann die Symptome verschlimmern. Außerdem ist auch gutes Training ein wichtiger Faktor: Ein trainierter Muskel – und somit ein trainiertes Pferd – kommt besser mit der Erkrankung klar, als untrainierte Muskulatur. Unterstützend sind regelmäßige Behandlungen durch einen Physiotherapeuten oder Osteopathen empfehlenswert, um die gesamte Muskulatur des Pferdes zu entkrampfen und Linderung zu schaffen. Außerdem ist mittlerweile bekannt, dass eine fettreiche und kohlenhydratarme Fütterung nicht nur Pferden mit der Muskel-Stoffwechsel-Erkrankung PSSM hilft, sondern auch Tieren mit dem Shivering-Syndrom. Die Symptome sind bei Pferden mit dem Shivering-Syndrom unterschiedlich stark ausgeprägt. Allerdings gibt es meiner Erfahrung nach viele Patienten, die trotz der Krankheit ein nahezu normales Pferdeleben führen und als Reitpferd eingesetzt werden können. Sehr stark betroffene Pferde sind davon allerdings ausgeschlossen und müssen meist in Rente geschickt werden, da das Reiten ab einem gewissen Grad der Erkrankung nicht mehr möglich ist.

Was sind die Ursachen der Erkrankung? Welche Pferde erkranken am häufigsten?

Bis heute ist die Ursache für das Shivering-Syndrom nicht eindeutig bekannt. Eine Vielzahl möglicher Ursachen wird diskutiert: muskuläre, neurologische oder neuromuskuläre Probleme, eine hormonelle Störung oder eine genetische Veranlagung. Generell kann die Erkrankung Pferde jeder Rasse und jedes Geschlechts betreffen. Allerdings wurde eine Häufung bei bestimmten Gruppen beobachtet: So sind eher Wallache und Hengste als Stuten betroffen. Außerdem neigen anscheinend eher schwere Rassen, wie beispielsweise Kaltblüter, und große Pferde mit einer Widerristhöhe ab 1,70 Meter zum Shivering-Syndrom – wohingegen Ponys sehr selten erkranken. Meist äußert sich das Shivering-Syndrom bereits im Jungpferdealter.

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