Interview: Nora Dickmann Foto: www.Slawik.com
Bei der Atypischen Weidemyopathie (engl. equine atypical myopathy), auch plötzlicher Weidetod genannt, handelt es sich um eine Muskelerkrankung, die als Folge einer Vergiftung und der daraus entstandenen Störung der Fettsäure-Oxidation auftreten kann. PD Dr. Katja Roscher, Fachtierärztin für Pferde und Spezialistin auf dem Gebiet der Atypischen Weidemyopathie, erklärt, was es mit dieser Krankheit auf sich hat und worauf die Pferdebesitzer achten sollten.
Wie macht sich die Weidemyopathie bemerkbar?
In den mildesten Verlaufsfällen sind Bewegungseinschränkungen, vermehrtes Liegen oder auch nur Mattheit ein Anzeichen für die Atypische Weidemyopathie. Bei schweren Verlaufsformen zeigen die Pferde eine erhebliche Bewegungsunlust, Schwitzen und häufig Muskelzittern. Innerhalb sehr kurzer Zeit können sie dabei zum Festliegen kommen. In der dramatischsten Form führt die Krankheit innerhalb weniger Stunden zum Tod, sodass die Tiere ohne vorherige Anzeichen tot auf der Weide vorgefunden werden. Im Rahmen der Erkrankung werden Skelettmuskelzellen zerstört. Dies geht mit einer sehr starken rot-braunen bis kaffeefarbenen Verfärbung des Urins einher, was auch für den Pferdebesitzer sehr gut zu erkennen ist.
Wodurch wird diese Krankheit ausgelöst?
Bei der Weidemyopathie ist man sich sehr sicher, dass es auf jeden Fall einen Zusammenhang mit Ahornbäumen gibt. Und zwar sowohl mit den Samen dieser Bäume als auch mit deren Keimlingen. Dabei muss man sagen, dass man von einigen Ahornbäumen wie dem Bergahorn und dem Eschenahorn explizit weiß, dass sie gefährlich sind. Bei anderen Arten, wie dem Spitz- oder dem Feldahorn, geht man davon aus, dass sie wahrscheinlich nicht gefährlich sind. Die Samen und Keimlinge enthalten eine Aminosäure, die sich Hypoglycin A nennt, welche grundsätzlich gar nicht giftig ist. Sie wird jedoch vom Körper so umgebaut, dass der Stoffwechsel der Muskelzellen, bezogen auf die Energiegewinnung mittels Fett, stark gestört wird. Die Störungen des Energiestoffwechsels verursachen eine hochgradige Zellschädigung und regelmäßig auch eine vollständige Zerstörung der Muskelzelle. Das Problem ist, dass man nicht sagen kann, wie viele von diesen Samen oder Keimlingen für ein Pferd gefährlich oder sogar tödlich sind. Denn der Gehalt der Aminosäure variiert sehr stark innerhalb der verschiedenen Samenkörner. Dies kann sogar von Jahr zu Jahr unterschiedlich sein. Auch können am Baum selbst unterschiedlich stark gehaltvolle Samen hängen.
Wann tritt der plötzliche Weidetod am häufigsten auf und wieso?
Es ist so, dass die Ahornbäume, insbesondere wenn es den ersten Frost gibt, ihre Samen abwerfen. Wenn dann noch starke Winde dazu kommen, können diese Samen auch sehr weit verbreitet werden. Das heißt, der Ahornbaum muss nicht unbedingt direkt an der Weide stehen, sondern kann unter Umständen Hunderte von Metern entfernt sein. Aber auch im Frühjahr kann der plötzliche Weidetod auftreten, da dann die auf dem Boden liegenden Samen zu keimen beginnen. Die Krankheit tritt also vermehrt im Herbst zwischen Oktober und November und im Frühjahr im März und April auf.
Wie kann man vorbeugen?
Wenn man ein Pferd hat, das rund um die Uhr auf der Weide steht, sollten die Koppeln regelmäßig auf das Vorhandensein von Ahornsamen und auch deren Keimlinge kontrolliert werden. Diese Bereiche müssen dann gemieden werden, auch sollten sich an diesen Stellen auf dem Boden keine Futterstellen für Heu befinden. Sind auf einer Koppel Erkrankungsfälle aufgetreten, sollten auch nicht betroffene Pferde aufgestallt oder auf andere Weiden verbracht werden.
Was kann man tun, wenn das Pferd Symptome der Weidekrankheit zeigt?
Man sollte in jedem Fall schnellstmöglich einen Tierarzt zu Rate ziehen, sobald Tiere Symptome zeigen. Wie lange es zwischen der Aufnahme der Keimlinge oder Samen und den klinischen Symptomen dauert, weiß man nicht genau. Geschätzt wird dies auf circa 24 Stunden. Wenn die Pferde auf der Weide sind und noch laufen können, sollten sie nach Möglichkeit mit einem Hänger zum Stall transportiert werden, da jegliche Bewegung zu weiteren Muskelschäden führt. Auf jeden Fall ist es ratsam, sauberes Wasser anzubieten, eventuell noch leicht erwärmt, das trinken die Tiere oft lieber. Mit Futter sollte man vorsichtig sein, denn es gibt in sehr seltenen Fällen auch auftretende Schluckstörungen. Sofern die Pferde Muskelzittern zeigen oder verschwitzt sind, rate ich zum Eindecken. Den Tierarzt zu kontaktieren ist aber das Allerwichtigste!