Die Diagnose „Fesselträgerschaden“ ist ein Schock für Pferdebesitzer. Bedeutet sie doch, dass das Pferd monatelang Schritt geführt werden muss, und es nicht klar ist, ob es überhaupt je wieder geritten werden kann. Was tun?
Pferdebesitzer können sich unter dem Begriff Fesselträger oft nur schwer etwas vorstellen. Vereinfacht könnte man sagen: Es handelt sich dabei um einen Komplex aus Sehnen und Bändern, der die Fessel trägt. Etwas genauer erklärt es Dr. Kai Kreling, Leiter der Tierklinik Binger Wald: „Das Bein des Pferdes ist anatomisch relativ einfach gebaut. Beim Pferd ist der Fuß bzw. die Hand von fünf Zehen bzw. Fingern auf eine Zehe reduziert.“ Diese Zehe wird aber nicht komplett belastet. „Das Pferd fußt ausschließlich auf der Zehenspitze eines Zehs. Und diese anspruchsvolle Statik hat ihre Schwachstellen: Wären das Bein und die Zehe in ihrem Verlauf ganz gerade, würden durch die Stauchungen bei der Lastaufnahme die Gelenkfläche bzw. die Knorpelüberzüge in den Gelenken extrem schnell verschleißen. Um eine Stoßdämpfung zu bekommen, ist das Pferdebein im Bereich der Fessel nach vorne abgewinkelt. Diese Winkelung führt dazu, dass bei Lastaufnahme das Fesselgelenk nach unten federt. Dieser Mechanismus funktioniert nur, weil die Fessel über den Fesselträger besonders stabilisiert wird.“ Was genau ist also der Fesselträger? „Der Fesselträger ist ein sehr stabiles und etwa daumendickes Band, das am Vorderbein unterhalb des Vorderfußwurzelgelenks bzw. am Hinterbein unterhalb des Sprunggelenks befestigt ist“, erklärt Dr. Kreling. „In seinem Verlauf nach unten hinter dem Röhrbein verwächst es nach einer Aufzweigung in zwei Schenkel mit den Gleichbeinen. Die Gleichbeine sind weiter nach unten am Fesselbein mit kurzen Bändern verstrebt.“ Kurz gesagt: Würde es den Fesselträger nicht geben, würde das Fesselgelenk bei Belastung nach unten auf den Boden durchfedern. Wenn man dieses Bild im Kopf hat, lässt sich leicht vorstellen, wie stark der Fesselträger in schwunghaft en Gangarten und besonders beim Springen belastet wird.
Extreme Spannung entsteht
Aber damit nicht genug. Das Band selbst hat zwar eine gewisse Elastizität, aber an seiner Anheftungsstelle am Knochen entsteht am Übergang von elastischem Bandgewebe zu hartem Knochen eine extreme Spannungssituation. „Hier kommt es zu Zerreißungen der Bandfasern und auch zu kleinen Ausrissen aus dem Knochen“, erklärt Dr. Kreling. „Diese sogenannte Fesselträgerursprungserkrankung kommt bei Springpferden oft an den Vorderbeinen und bei Dressurpferden häufig an den Hinterbeinen vor. Eine Verletzung des Fesselträgers kann durch ein akutes Trauma entstehen, etwa im Falle einer Zerrung“, erklärt Kreling „So sind versteckte Löcher im Boden oder Stangen, auf die Pferde treten, häufig Auslöser für Fesselträgerprobleme. Ebenso kann dauerhafte Überlastung zu einer Verletzung führen.“ Es wird deshalb auch diskutiert, ob der Anstieg von Fesselträgerschäden auch züchterisch bedingt ist. Es könnte nämlich sein, dass Pferde mit überdimensionierten Bewegungsabläufen, die speziell für den Dressursport gezüchtet werden, ein höheres Risiko haben, einen Schaden davonzutragen. Trabverstärkungen und Seitengänge zählen außerdem zu den Lektionen, bei denen der Verschleiß am größten ist. Wenn dann noch lange Fesselungen hinzukommen, sind das Faktoren, die Fesselträgererkrankungen begünstigen. Bei den Seitengängen kommen zusätzlich noch die Scherkräfte hinzu: Das Pferd tritt nicht plan auf, sondern die Hufsohle rollt im Auffußen quasi seitlich ab – eine Höchstleistung für den gesamten Fesseltrageapparat. „Je kürzer das Fesselbein, desto geringer die Hebel, die die Elastizität des Fesselträgers belasten“, erläutert Dr. Kreling. „Viel Elastizität in der Bewegung führt zu einer stärkeren Belastung des Fesselträgers und erhöht dadurch die Verletzungsgefahr.“ Pferde mit steiler, kurzer Fesselung sind also deutlich stabiler. Die beste Vorbeugung ist daher: schonend trainieren. Man muss nicht unentwegt über hohe Hindernisse springen, Trabverstärkungen üben oder Seitengänge reiten. „Reiten Sie unbedingt 20 Minuten Schritt vor der eigentlichen Belastung und achten Sie auf einen unterstützenden Hufbeschlag, der regelmäßig erneuert wird“, sagt der Tiermediziner. Auch der Boden spielt eine Rolle: Wenn das Viereck einem Acker gleicht, meiden Sie es. Immer nur auf frisch gefahrenem Hallenboden zu reiten, ist allerdings auch keine Lösung. Denn der Bewegungsapparat wird gerade dann besonders trainiert, wenn man auf verschiedenen Untergründen und auch mal querfeldein unterwegs ist. Das Geheimnis ist also, wie so oft, das Mittelmaß.
Schonend antrainieren
„Damit die Pferde wieder in den Sport zurückkehren können, müssen eine genaue Diagnostik, eine gezielte Therapie und eine sehr lange Rekonvaleszenz durchgeführt werden“, sagt Dr. Kreling. Ausmaß und Ort eines Fesselträgerschadens können unterschiedlich sein – immerhin misst die Sehne zwischen 20 und 30 Zentimeter. So kann der Fesselträgerursprung, also die Stelle, an der das Sehnen- bzw. Muskelgewebe an den Knochen angeheftet ist, betroffen sein. Oder aber in der Sehne selbst haben sich Löcher gebildet. „Die Beurteilung, wie viel und wie schnell ein Pferd wieder antrainiert werden kann, wird durch den Tierarzt festgestellt.“ Am Anfang der Diagnostik steht die Standard-Lahmheitsuntersuchung: Vortraben, Beugeprobe, gegebenenfalls längeres Longieren. Dann betrachtet der Tierarzt mittels Ultraschallgerät das Sehnengewebe, um herauszufinden, wo genau der Fesselträgerschaden sitzt. Und dann? Dann heißt es in der Regel: Schritt führen, Schritt führen und noch mal Schritt führen. „Zunächst soll das Pferd auf hartem, vor allem aber ebenem Boden gehen“, empfiehlt Dr. Kreling. „Am besten ist es, wenn das mehrmals am Tag in kürzeren Zeiteinheiten stattfindet. Das kommt auch der Psyche des Pferdes entgegen.“ Manchmal muss man in dieser Phase die Patienten durch die Gabe von Beruhigungsmitteln vor sich selbst zu schützen. „Denn ein unkontrollierter Satz oder eine dumme Bewegung kann ausreichen, um den Erfolg wochenlangen Schrittführens wieder zunichtezumachen“, warnt der Tierarzt. Meist folgen auf drei Monate Schrittführen drei weitere Monate des vorsichtigen Antrainierens. Und die Betonung liegt hier definitiv auf: vorsichtig! „Woche für Woche soll der Reiter fünf Minuten mehr traben, jeweils gleich viel auf beiden Händen. Frühestens nach sechs Wochen kommt der erste Galopp hinzu. Dieses Antrainieren sollte unbedingt ein sehr guter Reiter übernehmen, der verhindern kann, dass ein explosives Pferd buckelt oder durchgeht“, so Kreling. Wohl dem, der einen Aquatrainer zur Verfügung hat. „Damit kann man ein genau definiertes Aufbautraining durchführen, das dabei hilft, die Pferde möglichst früh wieder in Arbeit zu bekommen“, sagt der Tierarzt.
Sobald das Pferd im Schritt lahmfrei ist, darf es ins Wasser. Der große Vorteil des Aquatrainers: Das Wasser nimmt dem Körper einen Teil seiner Schwerkraft, sodass weniger Eigengewicht auf dem verletzten Bein lastet. Durch den Wasserwiderstand kann sich das Pferd mehr auspowern, ohne Gefahr zu laufen, sich wieder zu verletzen – im Wasser buckelt es sich nämlich nicht gut. Zusätzlich kühlt das Wasser und regt die Durchblutung an.
Text: Anna Castronovo Foto: Getty Images/beyond fotomedia RF