Früher nannte man den Kreuzverschlag auch Feiertags­krankheit, und auf Englisch heißt er Monday Morning Disease. Diese Namen beschreiben ziemlich genau die Problematik, welche der Muskel­entzündung zugrunde liegt.

 

Vor allem Arbeitspferde, die früher traditionell einen Ruhetag pro Woche im Stall hatten, an dem sie aber trotzdem ihre normale Kraftfutterration ­bekamen, litten am darauffolgenden Arbeitstag an den äußerst schmerzhaften Symptomen des Kreuzverschlags. Heute ist der Boxentag zum Glück überholt und wird von den meisten Pferdebesitzern durch einen Koppeltag ersetzt. Trotzdem tritt die Krankheit immer wieder bei Sport- und Freizeitpferden auf, und die Ursache ist noch immer dieselbe: Starke Belastung im Wechsel mit Herumstehen bei gleicher Kraftfuttergabe.

„Beispiele dafür sind Sportpferde, die zwar täglich geritten werden, dann aber eine plötzliche, zu schnelle Belastungssteigerung haben – häufig sind Vielseitigkeits- und Dis­tanzpferde betroffen“, sagt Tierärztin Marleen Kuchler. „Oder Pferde, deren Stallruhe eine außerordentliche muskuläre Belastung ohne entsprechendes Training vorausgegangen ist. Freizeitpferde, die übermäßig viel Futter bekommen, selten bewegt werden und dann plötzlich stark belastet werden – zum Beispiel durch einen Tagesritt am Wochen­ende – sind ebenfalls gefährdet.“

 

Colafarbener Urin

 

Ein Kreuzverschlag (auch Belastungsmyopathie oder Lumbago genannt) kann sehr unterschiedlich ausfallen – häufig bemerkt man ihn nicht einmal. Von einer leichten Steifheit bis hin zur völligen Bewegungslosigkeit können alle Stadien auftreten. Nur bei einem schweren, akuten Ausbruch sind die Anzeichen deutlich sichtbar. „Leichte Formen können bei richtiger Behandlung innerhalb weniger Tage wieder vergehen, während bei starkem Kreuzverschlag die Muskulatur geschädigt wird und mehrere Monate bis zur Ausheilung vergehen können“, sagt Kuchler. „In extremen Fällen können sich die Pferde auch festlegen oder an Nierenversagen sterben.“ Eines ist klar: Bei einem Verdacht muss sofort der Tierarzt zu Rate gezogen werden.

Im günstigsten Fall zeigen die Pferde Symptome wie bei einem Muskelkater, bei schweren Fällen bewegen sie sich keinen Millimeter mehr. „Die Muskeln sind verspannt, vor allem an der Kruppe. Betroffene Pferde beginnen zu zittern und schwitzen“, so die Tierärztin. „Bei starken Formen des Kreuzverschlags haben die Pferde sogar Probleme, ihre Beine zu bewegen. Sie drücken dann den Rücken weg und gehen in eine Sägebockhaltung, stellen also die Vorderbeine nach vorne und die Hinterbeine nach hinten heraus, um die schmerzhafte Rückenmuskulatur zu ent­lasten.“ Wenn sich der Urin dunkelbraun färbt – eine Farbe wie Cola oder Kaffee – ist das die höchste Alarmstufe.

Was passiert da genau im Körper? „Das ist noch nicht genau erforscht“, sagt Marleen Kuchler. Doch es gibt in Fachkreisen eine Vermutung: „Während der Ruhephase speichert der Muskel Glykogen als Energiereserve, die ihn versorgt. Arbeitet er wieder, so wird das gespeicherte Glykogen schrittweise abgebaut und zu Energie umgesetzt. Hierfür wird Sauerstoff benötigt. Durch Überbelastung oder eine schlechte Durchblutung des Muskels kann es dazu kommen, dass nicht mehr genügend Sauerstoff zur Verfügung steht und sich Milchsäure bildet. Fällt zu viel Laktat an, schädigt dieses den Muskel. Normalerweise wird während der Arbeit Kalzium freigesetzt, was zur Kontraktion des Muskels führt. Bei Pferden mit Kreuzverschlag wird dieses aber nicht mehr normal zurücktransportiert. Deshalb sammelt sich Flüssigkeit in den Zellen an, was schließlich zur Zerstörung der Muskelzellen führt. Durch diese Muskelschäden wird das Muskelprotein Myoglobin freigesetzt – durch den Harn scheidet das Pferd dieses aus, was den Urin dunkel färbt“, ­erklärt die erfahrene Tierärztin.

Zu viel Kraftfutter verstärkt den ­Effekt noch: „Bekommt ein Pferd viel ­Getreide, sind die Glykogenspeicher gut gefüllt. Wird es dann überfordert, trägt das zusätzlich zum Kreuzverschlag bei“, warnt Kuchler.

 

SER, RER oder PSSM?

 

Diese klassische Form des Kreuzverschlags, nämlich eine spontan auftretende Erkrankung aufgrund von Trainings- und Fütterungsfehlern, nennt man Sporadisch Akuten Kreuzverschlag (SER). Es gibt aber auch noch zwei chronisch verlaufende Formen, die beide vererbbar und leider auch unheilbar sind: den Wiederkehrenden ­Belastungsbedingten Verschlag (RER) und die Kohlenhydratspeicherkrankheit (PSSM), denen eine Stoffwechselerkrankung zugrunde liegt. Bei Pferden, die von diesen Krankheitsbildern betroffen sind, kann auch dann ein Kreuzverschlag auftreten, wenn sie richtig gefüttert und geritten werden. Das Problem dabei ist: Oft sind die Tiere lange Zeit unauffällig. „Pferde mit RER wirken ein wenig steifer, schwitzen leichter und haben geringe Leistungseinbußen“, erklärt Marleen Kuchler. „Diese Erkrankung betrifft meist sehr nervöse Tiere und hier vor allem Stuten. Durch das vermehrte Schwitzen haben sie einen hohen Elektrolytverlust.“ Die Auslöser für RER werden noch diskutiert, es spielen vermutlich mehrere Faktoren eine Rolle. Für den Kreuzverschlag könnten aber der erhöhte Mineralstoffverlust, ein gestörtes Calcium-Phosphor-Verhältnis, eine verminderte Vitamin-E- oder Selenversorgung und die Rosse ursächlich sein. „RER tritt vor allem bei eigentlich gut trainierten Pferden auf, ist also kein Überlastungsproblem“, sagt Kuchler. Pferde, die an PSSM leiden, wirken dagegen oft lustlos und steif. Gerade bei dieser Erkrankung bemerkt man lange Zeit gar nichts, da die Pferde von Grund auf träge sind. „Es handelt sich dabei um einen Gendefekt, der dazu führt, dass die Synthese von Glykogen in der Muskulatur nicht reguliert werden kann“, so die Tierärztin.

Da RER und PSSM vererbbar sind, sind sie in einzelnen Rassen unterschiedlich verankert. Unter RER leiden überwiegend Vollblüter, PSSM tritt vor allem bei amerikanischen Rassen und Kaltblütern auf.

 

Was tun bei Kreuzverschlag?

 

„Zeigt ein Pferd Symptome für einen Kreuzverschlag, darf es auf keinen Fall weiter bewegt werden“, warnt Marleen Kuchler. „Es muss sofort aufgestallt werden. Befindet es sich auf einem Ausritt, sollte es, wenn möglich, mit einem Anhänger abgeholt werden, da jede weitere Beanspruchung der Muskulatur zu ­einer Verschlechterung des Zustands führt.“ Es ist außerdem ratsam – auch im Sommer – die Kruppen- und Rückenmuskulatur mit ­Decken warmzuhalten.

„Der Tierarzt kann durchblutungsfördernde und entzündungshemmende Medikamente verabreichen. Unter Umständen erhält das Pferd Infusionen, mit denen die Niere gespült wird“, fährt  Kuchler fort. „Je nach Schwere kann sich die Behandlung über mehrere Tage hinziehen – so lange darf der Patient nur geführt werden. Erst wenn die Muskelwerte wieder normal sind, kann das Pferd geritten werden.“

Nach der Erstbehandlung durch den Tierarzt können die Schmerzen in der Heilungsphase durch Akupunktur gelindert und die Muskeln gelockert werden. Auch Wärmetherapie als unterstützende Maßnahme ist ideal. „Solarium, Rotlicht und Rückenwärmer aus Keramikfasern helfen sehr gut“, empfiehlt Marleen Kuchler.

 

Futter und Bewegung kontrollieren

 

Ob die Pferde wieder gesund werden, hängt von der Art des Verschlags ab. Beim Akuten Kreuzverschlag kommt es darauf an, wie schwer er ist und ob er rechtzeitig behandelt wurde. „Wird der Kreuzverschlag nicht oder zu spät behandelt, zerfallen immer mehr Muskelzellen. In der Folge verstopfen die Zerfallsprodukte die Niere, was im schlimmsten Fall zum Tod durch Nierenversagen führen kann“, warnt Kuchler. Die gute Nachricht: „Werden betroffene Pferde rechtzeitig und konsequent behandelt und nicht zu früh wieder voll belastet, sind die Heilungschancen gut, und die Pferde können wieder uneingeschränkt geritten werden.“

Bei den chronischen Verlaufsformen RER und PSSM ist eine Heilung dagegen nicht möglich, da es sich hier um eine erbliche Stoffwechselerkrankung handelt. Deswegen sollten betroffene Tiere auch aus der Zucht genommen werden. „Mit dem richtigen Management können die Pferde aber durchaus geritten werden“, so die Tierärztin. Die Voraussetzung: Bewegung und Ernährung müssen  ständig kontrolliert werden. „Kohlenhydrate sollten minimiert und durch Fett ersetzt werden. Dabei kann man auf spezielle Futtermittel und Speiseöl setzen“, empfiehlt Kuchler. „Auch Vitamin E und Selen sind sinnvoll, müssen aber richtig dosiert werden. Deshalb ist bei den chronischen Varianten die Beratung durch den Tierarzt extrem wichtig.“ Bei RER-Patienten sollte man zudem alles unterlassen, was beim Tier Stress ­verursacht. Als Haltungsform ist der Offenstall ideal, wo sich die Tiere ständig leicht bewegen. Den Akuten Kreuzverschlag kann man verhindern, wenn man ein gut abgestimmtes Trainings- und Fütterungskonzept erstellt. Eigentlich ist das gar nicht schwierig: „Das Training sollte möglichst gleichmäßig erfolgen, ohne Ruhetag oder plötzliche Überanstrengung. Außerdem sollten Pferde immer nur so viel zu Fressen bekommen, wie sie auch an Energie verbrauchen“, erklärt die Tierärztin. „Werden sie nicht gearbeitet, brauchen sie nur den Erhaltungsbedarf, das heißt die Menge an Futter, die zum Erhalt des Organismus notwendig ist – das ist in der Regel nur die normale Ration Heu.“ Wer sich an diese einfachen Regeln hält, sollte gegen den akuten Kreuzverschlag gefeit sein.

 

 

 

 

Verwechslungsgefahr

 

Auf den ersten Blick könnte man bei den Kreuzverschlag-Symptomen auch an eine Kolik denken: Viele Pferde schwitzen stark, Körpertemperatur, Pulswert und Atemfrequenz steigen an, aufgrund der starken Schmerzen sehen die Tiere sich unter Um­ständen nach hinten um und flehmen. ­Manchmal wollen sie sich auch ­hinlegen, versuchen allerdings nicht, sich zu wälzen.

Auch beim Ty-up-Syndrom zeigen die Pferde ähnliche Symptome, nachdem sie eine lange und erschöpfende Arbeit verrichtet haben. Im Gegensatz zum eigentlichen Kreuzverschlag sind die Energiereserven des Muskels hierbei vollkommen aufgebraucht. Diese Energie wird aber benötigt, um die Muskulatur zu entspannen. So treten beim Ty-up-Syndrom Muskelkrämpfe und Muskelzuckungen auf, vor allem in den stark muskulösen Anteilen. Die Symptome gleichen der Belastungsmyopathie, aber die Ursache ist eine andere.

Kreuzverschlag kann aufgrund der Symptomatik auch mit weiteren Krankheiten wie Beckenbruch, Thrombosen, Harnröhrensteinen oder Tetanusinfektionen verwechselt werden. Eine sichere Diagnose liefert nur eine Blutprobe. Da beim Kreuzverschlag die Muskelzellen zerfallen, steigt die Zahl der Muskelenzyme an. Minimale Erhöhungen können allerdings auch normal sein und müssen nicht unbedingt auf Muskelprobleme hindeuten – gerade bei PSSM sind die Normalwerte schon deutlich erhöht. Bei RER und PSSM führt eine Muskel­biopsie zu Klarheit; für eine Variante von PSSM gibt es auch einen Gentest.

 

 

Text: Anna Castronovo, Bild: Getty Images

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