Wenn ein Sattel auf den ersten Blick gut auf dem Pferd liegt, nirgends drückt, aber trotzdem Halt hat, heißt das noch ­lange nicht, dass er der richtige ist. Warum das so ist, erläutert die ­Sattelergonomin Nancy Köpke.

 

Jetzt habe ich gerade den Sattel für teuer Geld aufpolstern lassen, aber Bubi klemmt schon wieder!“ Kennen Sie das? Das liegt möglicherweise daran, dass Ihr Sattler zwar etwas von seinem Handwerk versteht, aber leider nichts von der Biomechanik des Pferdes. Dass ein unpassender Sattel dem Pferd massive Probleme bereiten kann, von Schwellungen über lokale Entzündungen bis hin zu Muskelschwund und Nekrosen (abgestorbenes Gewebe), ist nichts Neues. Aber: Auch passend ist nicht gleich passend. Die Sache mit dem Sattelanpassen kann sich zu einem regelrechten Teufelskreis entwickeln, etwa nach einer Verletzung, wie der von Daylight. Der Sattel liegt nicht mehr wie früher. Der Sattler kommt und passt ihn an, indem er ihn aufpolstert. Im Stand sieht alles wunderbar aus. Auch in Bewegung an der Hand gibt es auf den ersten Blick nichts zu beanstanden. Aber wenn das Reitergewicht hinzukommt, drückt der entsprechend aufgepolsterte Sattel genau auf die Rückenregionen, wo das Pferd eigentlich Muskulatur aufbauen sollte. Mit der Folge, dass genau hier ein „Loch“ bleibt bzw. der Muskelschwund noch verschlimmert wird. Wieder kommt der Sattler und polstert den Sattel auf, denn der liegt ja schon wieder nicht. Das ist fatal! Nancy Köpke kennt solche Fälle: „Man kann den Sattel nicht unentwegt ins Pferd hineinpolstern. Dadurch wird das Pferd immer weniger!“ Darum appelliert die Sattelergonomin, dass das Anpassen immer auch unter dem Reiter erfolgen muss.

Wo liegt das Problem wirklich?

Das hat auch noch einen anderen Vorteil, denn Nancy Köpkes Erfahrung nach kann fehlende Muskulatur am Rücken auch mit dem Reiten zusammenhängen. Das kann der erfahrene Sattler erkennen, wenn er Reiter und Pferd beim Training beobachtet: „Ich sehe immer häufiger, dass Reiter ihre Pferde nicht mehr richtig über den Rücken arbeiten.“ Die Folge: Die Pferde wölben den Rücken nicht mehr richtig auf, die Muskulatur wird schwächer, bis das Pferd den Rücken gar nicht mehr hochbekommt. Kein Sattler der Welt kann dieses Problem lösen. Kein Wunder also, dass Nancy Köpke betont: „Damit ein System funktioniert, also der Sattel gut liegt und das Pferd darunter und der Reiter darin sich wohlfühlen, müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden: Exterieur und Ausbildungsstand des Pferdes, Können des Reiters und Anleitung durch den Trainer.“ Das alles muss der Sattler berücksichtigen, wenn er seine Kunden berät. Und sich dann womöglich auch mal unbeliebt machen, wenn er darauf hinweist, dass das Problem nicht der Sattel als solches ist und auch nicht die „schwierige Sattellage“ des Pferdes, sondern mangelndes Wissen und Können des Reiters. Hier ist Diplomatie gefragt – und (Selbst-)Kritikfähigkeit der Reiter.

Wegen der Vielfalt der Aspekte, die eine Rolle spielen, gibt es nie eine Pauschallösung. Es ist deshalb empfehlenswert, immer einen Sattler zu wählen, der Sättel unterschiedlicher Hersteller anbietet. Firma X baut z.B. kurze Ortspitzen, Firma Y hingegen lange. Damit fühlt sich das eine Pferd wohl, während das andere massive Probleme hat. ­Nancy Köpke betont: „Wie Pferde auf unterschiedliche Sättel reagieren, hat nicht notwendigerweise nur etwas mit dem Exterieur, dem Bewegungsablauf und der Frage, ob der Sattel passt, zu tun. Es hängt auch mit den individuellen Vorlieben der Pferde zusammen. Manche fühlen sich wohler, wenn der Sattel etwas härter gepolstert ist, anderen kann es gar nicht weich genug sein. Das muss man ausprobieren!“

Schon wegen dieser individuellen Vorlieben der Pferde genügt es nicht, einen Sattel im Stand in Augenschein zu nehmen und vielleicht noch in Bewegung an der Hand. Um zu testen, ob die Pferde sich unter dem neuen Sattel wohlfühlen, muss man sie damit reiten. Köpkes Tipp: An einem Tag alle Sättel ausprobieren, zehn Minuten pro Exemplar reichen aus. Nur so ist eine Vergleichbarkeit sichergestellt. „Meiner Erfahrung nach zeigen die Pferde sehr deutlich, ob sie sich mit einem Sattel wohlfühlen“, sagt die Sattelergonomin. „Wenn sie sofort locker losschwingen, ist man mit dem Sattel auf der richtigen Spur. Wenn sie nicht vorwärts gehen wollen, den Rücken wegdrücken und den Schweif einklemmen, ist das nicht der Sattel der Wahl.“ Hat man ein Modell gefunden, mit dem das Pferd gut geht und in dem der Reiter sich wohlfühlt, sollte man den Trainer hinzuholen. Er kennt das Reiter-Pferd-Paar, kann Veränderungen also am ehesten beobachten und bewerten. Und: Einmal Reiten ist gut, mehrfach ist besser! Auch Nancy Köpke bietet ihren Kunden an, einen infrage kommenden Sattel mehrere Tage hintereinander zu testen. Dieses Angebot sollte man in jedem Fall annehmen!

Maßsattel = Nonplusultra?

Aber ist es überhaupt möglich, einen Sattel „von der Stange“ zu kaufen, der nicht immer in irgendeiner Weise ein Kompromiss ist? Ja, sagt Nancy Köpke. Schließlich tragen wir Menschen ja auch nicht alle Maßschuhe und laufen trotzdem, ohne Blasen zu bekommen, wenn der Schuh wenigstens die richtige Größe hat. Mit dem Sattel ist es ähnlich. Natürlich ist es toll für Pferd und Reiter, wenn der Sattel für sie beide maßgeschneidert wird! Heutzutage wird häufig mit speziellen Gerätschaften gearbeitet, die die Oberlinie des Pferdes exakt vermessen. Mithilfe der dabei gewonnenen Daten kann man verschiedene Arten von Dummys so einstellen, dass sie den Rücken des Pferdes dreidimensional nachbilden. So entsteht eine Art Schablone, mit der ein passgenauer Sattelbaum angefertigt und ein bereits vorhandener angepasst werden kann. Für die Ort­weite gibt es eine andere Messapparatur, die auch bei Standardsätteln zum Einsatz kommt. Mit all diesen Informationen sowie den Daten des Reiters kann also ein perfekter Sattel für den Reiter und fürs Pferd gebaut werden.

Nur: Das ist zum einen sehr teuer, zum anderen ist auch ein Maßsattel keine Garantie für lebenslanges Glück. Denn das Pferd verändert sich ständig ein wenig. So kann es sein, dass der Status quo, in dem der Maßsattel angepasst wurde, einige Monate später schon ein anderer ist. Dann passt auch ein Maßsattel nicht mehr wie ange­gossen. Und es ist durchaus möglich, den Traumsattel zu finden, ohne dass er extra für Pferd und Reiter angefertigt werden muss. Daylight ist das beste Beispiel.

 

Text: Dominique Wehrmann, Bild: slawik.com

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