Ausbildung mit System Wenn ein Pferd auf die Vorhand fällt, kann das viele Ursachen haben. Deswegen ist es wichtig, die Situation genau zu analysieren und das Training dementsprechend individuell zu gestalten. Neben der Anatomie muss dabei auch das Alter und die bisherige Ausbildung des Pferdes beachtet werden.
Obwohl viele Jungpferde dank der heutigen Zucht bereits vor der Grundausbildung mit Gangwerk und Hinterhandaktion beeindrucken, lastet von Natur aus über die Hälfte ihres Körpergewichts auf der Vorhand. So wird das vordere Drittel des Pferdekörpers bezeichnet, zu dem der Kopf, der Hals bis zum Widerrist und die Vorderbeine zählen. Ein Großteil der inneren Organe befindet sich in diesem Bereich.
Sehen und spüren
Aufgrund dessen liegt auch der Schwerpunkt des Pferdes nicht in der Körpermitte. Kommt nun noch das Gewicht des Reiters hinzu, dann verstärkt sich die Vorhandlastigkeit. Auf Dauer führt sie zu einer Überbelastung und einem Verschleiß des Bewegungsapparates. Aufgabe des Ausbilders ist es, dieses Ungleichgewicht und zudem die natürliche Schiefe durch gezieltes Training wieder auszugleichen und das Pferd so lange gesund zu erhalten. Dazu gehört unter anderem, die Hinterhand zum Tragen zu befähigen und die Rückentätigkeit zu fördern. Eine zu starke Vorhandlastigkeit äußert sich auf unterschiedliche Art und Weise. Das kann der Reiter sowohl vom Boden aus sehen, beispielsweise während des Longierens, als auch im Sattel spüren. Während manche Pferde regelrecht „in den Boden“ laufen und immer stärker schlurfen, werden andere aufgrund des mangelnden Gleichgewichts übereilig und laufen davon. Die Hinterbeine treten nicht ausreichend unter den Schwerpunkt, sodass die Hinterhand zu wenig Last aufnimmt. Einige Pferde stützen sich auf dem Zügel oder der Longe ab. Dabei können sie den Hals nicht korrekt fallen lassen und es fällt ihnen schwer, sich korrekt zu biegen. Durch die vermehrte Vorhandlastigkeit bleiben die Vorderbeine besonders unter dem Reitergewicht zu lange am Boden. Mehr oder weniger stark ausgeprägte Taktfehler können die Folge sein. Auf Momentaufnahmen darf ein Hinterbein, das dem nicht nach vorne wegkommenden Vorderbein zu nahe kommt, nicht mit einer aktiven Hinterhand verwechselt werden. Ebenso kann ein weit nach hinten heraustretendes Hinterbein ein Indiz für eine Vorhandlastigkeit sein. Dabei wirkt das Pferd optisch sehr lang.
Zeit und Geduld
Vorhandlastigen Pferden ist es nicht möglich, sich ausbalanciert in Selbsthaltung zu tragen, da der Rücken nicht korrekt arbeitet und schwingt. Nun kann kein Reiter erwarten, dass ein Pferd sich ohne die entsprechende Ausbildung und Muskulatur in Balance präsentiert. Das macht sich auch in der Dehnungshaltung bemerkbar. Besonders jungen oder untrainierten Pferden, aber auch solchen mit Defiziten aufgrund des Exterieurs fällt das Vorwärts-Abwärts anfangs schwer. Meist schaffen sie nur kurze Reprisen in einer guten Haltung, bis sie zu stark auf die Vorhand fallen und der positive Trainingseffekt dahin ist. Deshalb sollte immer darauf geachtet werden, wie lange und in welchem Grad der Dehnungshaltung sich ein Pferd sowohl muskulär als auch konditionell noch im Gleichgewicht halten kann. Das verlangt nicht nur Feingefühl und Aufmerksamkeit, sondern auch ein geschultes Auge seitens des Reiters und des Trainers. Eine Vorhandlastigkeit innerhalb einer Stunde „wegreiten“ zu wollen wird immer nach hinten losgehen. Vielmehr ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass es Zeit und Geduld braucht, bis ein Pferd in der Lage ist, sich selbst und den Reiter zu tragen.
Einfluss des Exterieurs
Wenn ein Pferd Probleme hat, Last mit der Hinterhand aufzunehmen, und immer wieder auf die Vorhand fällt, kann eine Beurteilung des Exterieurs wichtige Hinweise liefern und helfen, das Training optimal zu gestalten. So neigen sowohl Pferde mit einem tief angesetzten Hals oder einer steilen Schulter als auch solche mit einem geraden oder nach hinten heraus gestellten Hinterbein dazu, ins Laufen zu geraten und auf die Vorhand zu kommen. Gleiches gilt für überbaute Pferde, wobei beachtet werden muss, dass auch Wachstumsschübe zu mehr oder weniger lange andauernden körperlichen Veränderungen führen können und zu dieser Zeit möglicherweise auch bereits erzielte Trainingsfortschritte wieder verloren gehen. Auch bei einer steilen Schulter wird das Pferd eher vorhandlastig sein und somit wenig Raumgriff entwickeln können. Von einer steilen Schulter spricht man, wenn der Winkel zwischen Schulterblatt und Oberarm größer als 100 Grad ist. Besonders in Kombination mit einer flachen Kruppe neigen Pferde dazu, auf die Vorhand zu fallen. Mehr Belastung für Knochen, Sehnen und Gelenke entsteht zudem durch eine permanent rückständige Vorhand. Das Exterieur ist zudem immer rassespezifisch zu betrachten. So kann ein Friese nicht mit einem Araber verglichen werden. Selbst Pferde mit einem Gebäudefehler können, abhängig von dessen Ausmaß, bis zu einem gewissen Grad durch entsprechendes Training zu mehr Lastaufnahme der Hinterhand gebracht werden. Generell sollten aber immer auch die Grenzen des Pferdes beachtet werden, um es nicht zu überfordern.
Puzzleteile zusammenfügen
Das Exterieur ist nur ein Puzzleteil im Gesamtbild. Auch Verspannungen oder andere muskulär bedingte Probleme können dazu führen, dass ein Pferd auf die Vorhand fällt und nicht aktiv mit der Hinterhand untertritt. Ebenso darf die psychische Verfassung nicht unbeachtet bleiben. Sind beispielsweise die Anforderungen an das Pferd zu hoch, ist es ängstlich oder hat es schlechte Erfahrungen gemacht, dann spiegelt sich das unter dem Sattel oder an der Longe wieder. Auch eine falsche oder unangemessene Einwirkung des Reiters beeinflusst die Losgelassenheit und Balance des Pferdes und somit die Lastaufnahme. Unter diesen Umständen wird ein Pferd weder die nötige Muskulatur aufbauen, um sich zu tragen, noch wird es in der Lage sein zu lernen. Für den Reiter ist es nicht immer leicht zu erkennen, woher eine Vorhandlastigkeit kommt. Es ist ratsam, bei der Ursachenforschung nicht zu einseitig vorzugehen und sich Hilfe zu holen. Nehmen wir dazu noch einmal das Beispiel des überbauten Pferdes: Ein Jungpferd, dass sich noch im Wachstum befindet und deshalb überbaut ist, wird sich körperlich noch verändern und muss anders trainiert werden als ein Pferd mit einem Gebäudefehler, der sich nicht mehr auswächst. In ersterem Fall kann es ausreichen, einen erfahrenen Trainer um Rat zu fragen, der die Ausbildung begleitet, während bei Exterieurproblemen zusätzlich eine tierärztliche, osteopathische oder physiotherapeutische Behandlung in Betracht gezogen werden sollte.
Basisarbeit am Boden
Zur Korrektur der Vorhandlastigkeit ist ein systematisch aufgebautes, individuell auf das Pferd zugeschnittenes Training wichtig. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf dem Aufbau von Muskulatur, sondern auch auf einer entsprechenden Gymnastizierung und der Förderung von Beweglichkeit und Balance. Nur ein lockeres und gut gymnastiziertes Pferd ist in der Lage, den Reiter zu tragen, ohne dabei Schaden zu nehmen. Die Grundlage dafür kann sehr gut vom Boden aus geschaffen werden. Neben jungen Pferden sollten besonders solche mit Rittigkeitsproblemen, Verspannungen oder Pferde nach längeren (Verletzungs-)Pausen zunächst durch Bodenarbeit wieder aufgebaut werden. Das hat mehrere Vorteile: Es lastet kein zusätzliches Gewicht durch den Reiter auf dem Rücken des Pferdes, die Kommunikation kann verfeinert werden, und der Ausbilder kann das Pferd vom Boden aus genau beobachten. Zudem fällt es dem Pferd so leichter, sich auszubalancieren und behutsam zu mehr Lastaufnahme mit der Hinterhand bewegt zu werden. Eine einfache, aber effektive Übung zur Verbesserung der Balance mit gymnastizierendem Effekt ist das gezielte Verschieben der Schultern oder der Hinterhand des Pferdes im Stand. Durch das Weichen der Hinterhand wird diese gelockert sowie die Beweglichkeit der Hüfte gefördert. Vorhandlastige Pferde haben anfangs oft Probleme, die Schulter zur Seite zu verschieben. Hier ist Geduld angesagt. Mit der Zeit können die Anforderungen behutsam gesteigert werden. Schulterherein oder das Weichen über eine Stange eignen sich sehr gut dazu.
Weniger schief, weniger Last
Beobachten Sie Ihr Pferd doch einmal im Freilauf in der Halle oder auf der Weide. Von Natur aus wird es in Schräglage durch Kurven gehen. Dabei biegt es den Hals nach außen und verlagert gleichzeitig sein Gewicht auf die innere Schulter. Da Pferde in der freien Wildbahn nicht ständig im Kreis laufen und schon gar nicht in höheren Gangarten oder mit einem Reiter auf dem Rücken, hat die Vorhandlastigkeit keine gravierenden Auswirkungen. Reitpferde sind allerdings weitaus höheren Belastungen ausgesetzt. Das gilt auch an der Longe. Um den Verschleiß der Vorderbeine zu minimieren, ist daher das Beheben der natürlichen Schiefe und eine korrekte Biegung unerlässlich. Ein Pferd, dass auf gebogenen Linien nicht im Gleichgewicht ist, wird nicht locker über den Rücken gehen und möglicherweise versuchen, sich mit angespannter Oberlinie in Balance zu halten. Ein guter Ausbilder wird die Schiefe erkennen und Übungen zur Verbesserung vorschlagen können. Auch hier sind beispielsweise Seitengänge eine gute Möglichkeit zur Gymnastizierung, zur Stärkung und zur Schulung des Gleichgewichts.
In der Ruhe liegt die Kraft
Sportler, die auf Kraft trainieren oder ihre Beweglichkeit verbessern möchten, führen die Übungen bewusst in einem ruhigen Tempo aus. Zudem braucht ein Muskel immer wieder Phasen zur Regeneration. Auch bei der Korrektur der Vorhandlastigkeit sollten Trainingsakzente so gesetzt werden, dass sie das Pferd nicht überfordern und der Körper sich anschließend ausreichend erholen kann. Wer zu viel fordert, provoziert unter anderem Überlastungen oder Verspannungen und kommt dadurch auch nicht schneller ans Ziel. Pferde, denen es an Balance und Kraft fehlt, laufen gerne unter dem Reiter davon und kommen dabei noch mehr auf die Vorhand. In einem eiligen Tempo fußt das Hinterbein im Allgemeinen nicht mehr ausreichend aktiv ab. Hinzu können dann auch Anlehnungsfehler wie Verkriechen oder auf den Zügel legen kommen. Wer in diesem Fall versucht, durch fleißiges Vorwärtstreiben die Aktivität der Hinterhand zu steigern, wird das Weglaufen nur verstärken. Manche Pferde machen dann komplett zu, reagieren nicht mehr auf die Hilfen des Reiters oder werden widersetzlich. In solch einer Situation heißt es Ruhe bewahren und umdenken.
Im Schritt zum Erfolg
Der Schritt ist die am meisten unterschätzte Gangart. Doch gerade bei vorhandlastigen Pferden kann eine gute Schrittarbeit die Basis für den weiteren Erfolg legen. In einem ruhigen Bewegungsablauf können sich Pferd und Reiter besser ausbalancieren und Kondition aufbauen. Zudem fällt die feine Korrektur von Fehlern leichter. Pferde, die zum Wegrennen neigen und möglicherweise auch nicht mehr auf die Hilfen des Reiters reagieren, sollten durch gefühlvolle Einwirkung sensibilisiert werden. Auch hier kann zunächst am Boden begonnen werden. Generell sollte der Schritt fleißig und geregelt sein. Fleißig darf aber nicht mit eilig verwechselt werden, denn Wegeilen führt zu Verspannungen, und einige Reiter machen dann den Fehler, das Tempo durch Verkürzen des Zügels oder Wegstrecken der Unterschenkel zu drosseln. In Folge dessen leiden Takt und Losgelassenheit noch stärker. Die Kombination aus vorwärts- und seitwärtstreibenden Schenkelhilfen kann helfen, den Schritt zu verbessern. Übergänge auf gerader Linie sind hingegen schwierig, wenn das Pferd nicht an den Hilfen steht. Es empfiehlt sich zunächst Übungen zu vermeiden, die nicht korrekt geritten werden können. Wenn Ihr Pferd sich beispielsweise schon in einem fleißigen Schritt gut ausbalancieren und biegen kann, im Trab aber noch Schwierigkeiten hat, dann versuchen Sie nicht, die Situation im Trab zu korrigieren, sondern reiten Sie nur kurze Reprisen in der höheren Gangart und nutzen Sie gebogene Linien oder Seitengänge zur Vorbereitung der halben Paraden. So schaffen Sie es, mehr Ruhe in das Training zu bringen, und können vermeiden, dass Ihr Pferd in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Machen Sie immer wieder Pausen und geben Sie Ihrem Pferd die Möglichkeit, sich im Schritt zu dehnen. Durch das Reiten unterschiedlicher Halslängen beugen Sie Verspannungen vor und unterstützen den Muskelaufbau.
Text: Aline Müller
Bild: slawik.com