Was möchten Sie mit Ihrem Pferd erreichen? Und wie können Sie ihm die erforderlichen Lerninhalte vermitteln? Darum geht es beim Training von Lektionen. Das Geheimnis des Erfolgs liegt in den Vorübungen. Sie führen das Pferd schrittweise an höhere Anforderungen heran. So wird das Ziel nicht nur spielerisch, sondern auch schneller erreicht

Stellen Sie sich vor, Sie haben vor sich auf dem Tisch ein großes Puzzle liegen. Das Motiv des Bildes ist wunderschön, aber Sie haben Bedenken. So ein Puzzle raubt doch unglaublich viel Zeit. Mit der steigenden Anzahl der Teile sinkt auch Ihre Motivation. Frust kommt auf, wenn keine zusammengehörigen Puzzleteile gefunden werden. Was würde passieren, wenn Sie sich auf das Puzzeln vorbereiteten und strategisch vorgingen? Die Antwort: Sie wären nicht nur eher fertig, sondern Sie hätten auch viel mehr Spaß – und am Ende den verdienten Erfolg.

In Einzelteile zerlegen

Ähnlich ist es beim Training von Lektionen. „Soll das Pferd eine neue Lektion erlernen, ist es empfehlenswert, diese vorab in ihre kompletten Einzelteile zu zerlegen, bevor nach und nach alle Stücke wieder zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Dafür muss sich der Reiter zunächst die einzelnen Teilaspekte bewusst machen“, sagt Franziska Wiese, Sitzschulungstrainerin nach BKR (biomechanisch korrekt reiten) aus dem niedersächsischen Varrel. Ein Beispiel: Wird das Reiten einer Traversale als Ziel definiert, sollten vorab verschiedene Vorübungen absolviert werden. Dazu zählen gebogene Linien für eine korrekte Längsbiegung und das Schenkelweichen für die Akzeptanz der vorwärts-seitwärts treibenden Schenkelhilfen. Weiter geht es mit Schultervor, Schulterherein und Reiten-in-Stellung für die Hinführung zu Travers und Renvers – und dann ganz am Ende ergibt sich die Traversale fast schon von selbst. Es ist so, als ob Reiter und Pferd gemeinsam das letzte Puzzleteil an die richtige Stelle legen würden. „Durch die vorbereitenden Übungen erhalten Reiter und Pferd ein Gefühl für das, was in der eigentlichen Lektion gezeigt werden soll“, so die Ausbilderin weiter.

Sie rät ferner dazu, neue Lektionen zunächst nach dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ zu erarbeiten. „Wir Menschen denken zielorientiert – unsere Pferde haben jedoch keine Ahnung davon, wann ein von uns definiertes Ziel erreicht oder wie weit der Weg dorthin noch ist. Deshalb sollte jeder Schritt so kleinschrittig sein, dass er für das Pferd verständlich und somit auch an feinen Hilfen auszuführen ist. Nur dann kann es sich auch körperlich und mental auf die steigenden Anforderungen vorbereiten. Mit einer Vielzahl kleiner Zwischenschritte gelingt es, das Pferd immer näher an die gewünschte Lektion heranzuführen. Langsam, aber sicher wird sich so aus einem zunächst einfachen Bewegungsablauf ein schwieriger entwickeln, der viele Details enthält“, erklärt Franziska Wiese.

Dabei gilt es insgesamt vier verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die Einfluss auf das individuelle Lernverhalten des Pferdes nehmen: den Charakter, das Exterieur, die Vorerfahrungen und den aktuellen Ausbildungsstand. „Der Charakter ist absolut entscheidend für die Strategie, die wir beim Lehren einer Lektion auswählen. Wie wir Menschen haben auch Pferde völlig unterschiedliche Persönlichkeiten. Wenn wir es schaffen, das jeweilige Pferd dort abzuholen, wo es steht, erhalten wir einen motivierten Partner“, meint Franziska Wiese. Ein extrovertiertes Pferd benötige beispielsweise viel Abwechslung und Bewegung auf dem Lernweg. Konzentrierte, kleinschrittige Wiederholungen würden ihm eher schwerfallen. Daher sollten sie nur in kurzen Reprisen stattfinden und immer wieder durch lockere Bewegungsphasen unterbrochen werden. Ein introvertiertes Pferd hingegen brauche einen kleinschrittigen Aufbau mit zahlreichen Denkpausen und viel Lob, um die Aufgaben zu verstehen. Dann gebe es Vierbeiner, die durch ständige Wiederholungen besser lernen würden. Und wieder andere verstünden innerhalb weniger Einheiten, manchmal sogar innerhalb weniger Minuten, was von ihnen verlangt werde.

Zeit zum Nachdenken

Wichtig zu wissen: „Pferde lernen nicht in dem Moment, in dem sie etwas umsetzen, sondern in dem Moment, in dem sie Zeit haben, über das Getane nachzudenken. Diese Zeit wird den meisten Pferden aber leider nicht gegeben“, bemängelt die Trainerin. Wenn sie mit einer neuen Lektion beginnt und sich ein guter Moment ergibt, auch wenn er noch so klein ist, folgt eine kurze Pause. „Ich erwarte nichts vom Pferd, außer dass es sich entspannt und in Ruhe nachdenkt. Baue ich das Training derart auf, erreiche ich das gesetzte Ziel viel schneller, als wenn ich versuchen würde, etwas zu erzwingen“, erläutert die erfahrene Ausbilderin.

So erhält jeder kleine Gedanke und jeder Schritt in die richtige Richtung ein positives Feedback. Dadurch lernt das Pferd besser und ist motivierter und aufmerksamer, weil es versteht, was der Reiter von ihm möchte. Doch aufgepasst: Das, was das Pferd tatsächlich als Lob empfindet, kann variieren. Während der eine Vierbeiner das stille Zusammensein in der Abwesenheit jeglichen Drucks, also eine gemeinsame Pause, genießt, empfindet der andere ein Stimmlob oder ein beherztes Kraulen als wohlige Genugtuung. „Beobachten Sie Ihr Pferd und finden Sie das richtige Lob!“, empfiehlt sie. Im Trainingsplan sollte zudem das individuelle Exterieur als erschwerender oder begünstigender Faktor berücksichtigt werden. Das Gebäude hat einen enormen Einfluss darauf, wie leicht oder schwer eine Lektion dem jeweiligen Pferd fällt. Es sei nicht fair, bei einem schweren Typ wie dem Kaltblüter die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei einem dressurgezogenen Warmblut. „Manche Pferde brauchen einen längeren Ausbildungsweg, um z. B. eine gewisse Versammlungsbereitschaft zu entwickeln, während andere sie von Natur aus mitbringen oder gewisse Lektionen bereits als junge Pferde im freien Spiel anbieten. Die Dressur bzw. die Lektionen sollten bei jedem Pferd ein Mittel sein, um die Balance und damit das Körpergefühl zu schulen und ihm dadurch zu einem stärkeren, kraftvolleren Ausdruck zu verhelfen.“ Die Trainerin erinnert dabei an den alten Grundsatz: Nicht das Pferd ist für die Dressur da, sondern die Dressur für das Pferd.

Besser lernen

Ebenso spielen Vorerfahrungen eine wichtige Rolle – im positiven wie im negativen Sinne. „Pferde, welche in der Vergangenheit unter starkem Leistungsdruck standen, neigen dazu, sich schnell zu verkrampfen und ‚dicht zu machen‘. Oft wurde zu früh zu viel von ihnen verlangt. Wir stehen als Reiter in der Verantwortung, ihnen zu helfen, wieder mehr Vertrauen in sich selbst und in den Menschen zu finden“, so Franziska Wiese. Ihre Strategie heißt: Minischritte vorangehen, niemals am Lob sparen und schnellstmöglich Erfolgserlebnisse schaffen. „Hat ein Pferd bereits gelernt, die reiterlichen Hilfen zu ignorieren oder gar dagegen anzuarbeiten, ist eine klare Hilfengebung und ein präzises Timing von großer Bedeutung“, erläutert sie. Generell würden sich positive Vorerfahrungen immer auch positiv auf die Arbeitseinstellung des Pferdes auswirken und das gemeinsame Training erleichtern.

Nicht zuletzt dient der Ausbildungsstand als Parameter, um zu entscheiden welche Lektionen einem Pferd bereits zugetraut werden können. Ihr Rat: „Keine Schritte überspringen und eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ausbildung gewährleisten. Dann wird sich ein Pferd mit einer korrekten Grundausbildung unter einem gefühlvollen Reiter und bei angemessener Leistungsanforderung mit Leichtigkeit durch alle Lektionen hindurchbewegen.“ Nützlich könne ferner der Blick über den Tellerrand sein. Es gebe viele Möglichkeiten, das Pferd am Boden durch Hand- oder Doppellongenarbeit auf bestimmte Lektionen vorzubereiten oder bereits erlernte Lektionen zu verbessern. „Das eine Pferd braucht mehr Unterstützung durch gezielte Bodenarbeit, das andere Pferd findet mehr Halt durch den Reiter im Sattel. Jedes Pferd ist anders und lernt auf unterschiedliche Weise. Das kann sich sogar im Laufe der Ausbildung verändern“, weiß die Trainerin. Es müsse daher bei jeder neu zu erlernenden Lektion individuell vorgegangen werden. Um von Beginn an Missverständnisse auf dem Lernweg zu vermeiden, könne fachkundige Hilfe notwendig sein, die das Verständnis für die Zusammenhänge einzelner gymnastischer Übungen schule und dem Reiter-Pferd-Paar mit unterstützenden Hilfen beiseitestehe.

Überforderung vermeiden

Probleme tauchen in der Regel nur dann auf, wenn der Vierbeiner die gewünschte Aufgabe noch nicht erfüllen kann. „Grundsätzlich kann man sagen, dass Pferde, die mit einer Lektion überfordert sind, häufig die Tendenz haben, sich muskulär zu verspannen. Sie werden fest und steif. Blockaden oder sogar Lahmheiten treten auf, da das Pferd durch Kompensation und Fehlbelastungen versucht, den Anforderungen irgendwie gerecht zu werden“, gibt Franziska Wiese zu bedenken. Die Tiere würden außerdem Stresssignale äußern: „Sie verändern ihren Takt, gehen nicht mehr in einer korrekten Anlehnung, und manche fangen an, mit dem Kopf zu schlagen, blockieren beim Vorwärtstreiben, zeigen eine allgemeine Unwilligkeit, schreckhafte Verhaltensweisen oder verweigern gänzlich ihre Mitarbeit“, zählt die Expertin die möglichen Folgen auf.

„Pferde sind Lebewesen, die sehr gewillt sind, dem Menschen zu gefallen und nicht die Absicht haben, sich uns gegenüber böse oder abwertend zu verhalten. Ganz im Gegenteil: Sie sind sehr eifrig, engagiert und wollen alles richtig machen. Aus diesem Grund sind auch psychische Probleme aufgrund von nicht angepasstem Training bei den Tieren weit verbreitet“, ergänzt sie. Ignoriert der Reiter die Anzeichen des Vierbeiners, könnten sich Verhaltensauffälligkeiten wie z.B. Zungenfehler, Steigen, Bocken oder Durchgehen etablieren. Wichtiger als „schnell fertig zu werden“ sei der Erhalt von Durchlässigkeit und Leichtigkeit in jedem Teilschritt. „Denn ein erfolgreiches Training gelingt nur miteinander in Harmonie, nie gegeneinander“, betont Franziska Wiese. Grundlegend dafür ist eine solide Basisarbeit. „Habe ich z.B. ein Pferd, das sich nicht gern selbst trägt und sich aufs Gebiss legt, so sollte ich zunächst eine feinere Anlehnung herstellen, bevor ich mit einer bestimmten Lektion beginne.“ Stimmten die Grundvoraussetzungen, falle es dem Reiter deutlich leichter, die Anforderungen z. B. an Gleichgewicht, Lastaufnahme oder Durchlässigkeit des Pferdes in der neu zu erlernenden Lektion zu definieren. Der Reiter kennt die Lehrschwerpunkte und entwickelt daraufhin passende Vorübungen für sein Pferd. „Habe ich das einmal getan und dabei die individuellen Eigenschaften meines Tieres berücksichtigt, kann ich mir überlegen, welche Teilaspekte noch eine vermehrte Aufmerksamkeit benötigen“, so die Expertin. Was wird Ihrem Pferd in der Vorbereitungsphase leichtfallen? Wo sind Herausforderungen zu erwarten? Welcher Einstieg ist sinnvoll, und welcher Verlauf ist realistisch?

Lektionen umsetzen

Wenn Sie merken, dass Ihr Pferd alle Vorübungen verstanden sowie die Kraft und den Willen hat, diese umzusetzen, können Sie versuchen, zur eigentlichen Lektion zu wechseln. „Ich erlebe immer wieder, dass Pferde durch das Verständnis, das sie während der Vorbereitung erlangen, die eigentliche Lektion am Ende wie von allein umsetzen, ohne dass ich sie bewusst einleite. Idealerweise gehen die Vorübungen fließend in die Lektion über, sodass die Schwelle zur Lektion gar nicht auffällt. Das Pferd wird spielerisch an das Ziel herangeführt. So entsteht kein Leistungsdruck, und das Lernen fällt immer leicht“, weiß Franziska Wiese.

Doch auch wenn das Pferd gut vorbereitet wurde, könne es innerhalb der Lektionen zu Problemen kommen. „Tiere sind keine Roboter. Rückschritte sind ganz normal und bedeuten nur, dass man sich etwas Zeit nehmen muss, um die Ursache zu analysieren. Ebenfalls darf man nicht außer Acht lassen, dass der Reiter mit seinem Sitz eine entscheidende Rolle dabei spielt, ob ein Pferd eine Lektion ausführen kann oder nicht“, sagt die Ausbilderin. Ein korrekter, stabiler und im Lot befindlicher Sitz sei elementar für gutes Reiten sowie die korrekte Umsetzung von Lektionen und die Gesundheit des Pferdes. „Versteifen wir uns zu sehr auf ein Endergebnis, verkrampfen wir häufig. Unsere Hilfen werden starr und können negativ auf das Pferd einwirken“, warnt sie.  Deshalb sollte nicht nur der Vierbeiner, sondern auch der Reiter eine solide Grundausbildung genossen haben. Dann weiß er, dass praktisch jede Lektion, die im Viereck vom Pferd verlangt wird, bereits von Natur aus im Bewegungspotenzial des Pferdes verankert ist. „Unsere Aufgabe ist es, den Stolz, die Motivation und die Eigeninitiative der Tiere in der Arbeit zu erhalten, sodass sie die Lektionen mit natürlichem Eifer umsetzen und anbieten, ohne dass der Mensch sie dabei stört oder einschränkt. So erhalten wir glückliche und gesunde Pferde“, erklärt die Franziska Wiese zum Abschluss. Und nun viel Spaß beim Lektionen-Puzzle! Sie werden sehen: Am Ende steht ein wunderschönes Bild von Ihnen und Ihrem Pferd.

Text: Inga Dora Schwarzer    Foto: www.Slawik.com     

#doitride-Newsletter   Sei dabei und unterstütze die #doitride-Kampagne! Mit unserem Newsletter verpasst Du keine Neuigkeiten rund um #doitride. Jetzt aktivieren!