Um ein Pferd unter dem Sattel korrekt zu gymnastizieren, sind Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung und Versammlung wichtig. Wie diese Punkte der Ausbildungsskala auch in der Freiarbeit umgesetzt werden können, erklärt Ausbilderin Bianca Rieskamp
Klassische Lektionen mit dem freien Pferd vom Boden üben? „Na klar! Warum eigentlich nicht?“, meint Bianca Rieskamp. Als ihre Pferde die Grundlagen der Freiheitsdressur beherrschten, fragte sich die Pferdewirtin (Schwerpunkt Reiten): „Wie gestaltet sich die Ausbildung mit dem freilaufenden Pferd, wenn man dabei die Systematik der klassischen Reitlehre gemäß der H.Dv.12 einhält?“ Probehalber begann sie, die Ausbildungsskala auf die Arbeit mit dem freilaufenden Pferd zu übertragen. Und schon war die Idee geboren, beides miteinander zu kombinieren. Das Ergebnis: Dressurlektionen ohne Strick und Halfter.
Freiwilligkeit ist gefragt
Für sie bedeutet diese Arbeit eine schöne Überprüfung der Verbindung zwischen Mensch und Pferd. „Die Freiwilligkeit spielt noch mehr eine Rolle als beim Reiten, weil das Pferd sich im Gegensatz zum Reiten durch Weglaufen entziehen kann, auch, weil die Einwirkungsmöglichkeiten begrenzter sind“, sagt die Expertin. „Aber auch die Ausbildungsskala ist für mich wichtig, da sich darauf die ganze Ausbildung des Pferdes – auch in der Freiheitsdressur – logisch aufbaut. Viele Lektionen sind durch die Einhaltung der Skala leicht zu erarbeiten, weil sie zu einer Gymnastizierung führt, die die weitere Entwicklung fördert und damit Lektionen vorbereitet und ermöglicht“, sagt Rieskamp. Wie beim Reiten legt sie daher vor allem Wert auf Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung und Geraderichtung.
„Der Takt ist für beide Seiten wichtig. Er bringt Mensch und Pferd ins Gleichmaß“, so die Ausbilderin. Besonders schön lässt sich hiermit das Gehen im Gleichschritt üben. So verlängert das Pferd z. B. die Tritte, wenn der Mensch es tut. Der Takt ist immer auch ein Zeichen für innere und äußere Ruhe. „Bin ich angespannt, werde ich mich nicht geschmeidig und vielleicht zu eilig bewegen, was keine gute Grundlage für die Arbeit mit dem Fluchttier Pferd ist“, sagt die Expertin.
Spannungen vermeiden
Nicht weniger von Bedeutung ist die Losgelassenheit. Sie ist die körperliche Voraussetzung für die Zusammenarbeit. Wie beim Reiten sollte der Mensch bei der Freiheitsdressur nur die Muskeln anspannen, die er für eine bestimmte Bewegung und für seine Hilfen braucht. „Das ist natürlich nur als angestrebter Idealzustand zu verstehen, der in Perfektion kaum erreicht werden kann. Bin ich losgelassen, habe ich aber die Voraussetzung, um diesen Zustand annähernd zu erfüllen. Durch meine eigene Losgelassenheit bekomme ich auch ein Gefühl dafür, wenn ich unter Spannung gerate und dadurch falsche Signale gebe“, erläutert Rieskamp. Ähnliches gilt für den Vierbeiner. Nur ein Pferd, das innerlich wie äußerlich entspannt ist, wird dem Menschen frei folgen und in der Lage sein, Lektionen korrekt zu erlernen und auszuführen. Ist es aufgeregt, achtet es nicht auf die Signale des Menschen und neigt dazu, Entscheidungen selbst zu treffen.
Den nächsten Punkt der Ausbildungsskala, die Anlehnung, gibt es im reiterlichen Sinne, bei der das Pferd die Verbindung über den Zügel zur Reiterhand sucht, in der Freiheitsdressur nicht. „Den Begriff kann man vielleicht treffender durch die Selbsthaltung ersetzen, da ja ohne Zaumzeug gearbeitet wird“, so die Expertin. Hier gibt der Vierbeiner im Genick mit selbigem als höchstem Punkt nach, nimmt die Stirn-Nasen-Linie leicht vor die Senkrechte und rundet seinen Hals bei entspannter Unterhalsmuskulatur. „Alle Gelenke sind dann im weiteren Sinne losgelassen und die Bewegung geht ohne Widerstände durch das Pferd“, erklärt die Pferdewirtin. Anlehnung versteht Rieskamp hier zudem im übertragenen Sinne. „Das Pferd soll sich an den Menschen, der ihm Sicherheit gibt, anlehnen und ihm frei folgen.“
Text: Inga Dora Schwarzer Foto: Sophia Diestel