Erste Springerfahrungen sollten Pferde ohne Reitergewicht machen. So fällt es ihnen leichter, den komplexen Bewegungsablauf zu lernen und die Balance zu finden. Freispringen ist jedoch nicht nur als Vorbereitung auf die Springausbildung sehr wertvoll, sondern bringt auch Abwechslung in den Trainingsplan von Dressurpferden.
Mit gespitzten Ohren schaut sich Merlin in der Reithalle um. An der langen Seite steht eine kleine Gymnastikreihe. Während Lea, seine Besitzerin, den vierjährigen Reitponywallach an der Longe aufwärmt, platziert eine Freundin noch ein paar Trabstangen und ein Cavaletti ohne Kreuze auf dem Zirkel. Merlin schnaubt zufrieden und hat dabei die bunten Stangen stets im Blick. „Wir haben vor drei Monaten mit dem Freispringen einmal pro Woche angefangen und Merlin Schritt für Schritt an die Hindernisse herangeführt“, sagt Lea und fügt hinzu: „In der kurzen Zeit hat er sehr viel Selbstbewusstsein bekommen, und man merkt ihm die Freude am Springen richtig an. Ich kann jedem nur raten, junge Pferde mit dem Springtraining nicht zu überfallen, sondern ihnen Zeit zu geben, Erfahrungen ohne Reitergewicht zu sammeln.“
Die richtigen Vorbereitungen treffen
Freispringen ist nicht nur eine gute Vorbereitung auf das Springtraining, sondern bringt auch Abwechslung in den Trainingsalltag. Je nach Pferdetyp, Alter, Größe und Temperament können die Hindernisse und Aufgaben entsprechend gestaltet werden. Am Anfang sollte das Training regelmäßig, am besten einmal pro Woche, stattfinden. Dazu sind mehrere Helfer nötig, die auch gemeinsam vor dem ersten Freispringen die Hindernisse in der Halle komplett aufbauen. Anschließend werden die Stangen seitlich neben die Ständer gelegt und alle Auflagen entfernt, damit sich das Pferd nicht daran verletzt. Nutzen Sie Trassierband, um die Ständer zu verbinden. So entsteht eine Gasse. Denken Sie daran, vor dem ersten und nach dem letzten Hindernis noch jeweils drei bis fünf Meter mit dem Band abzutrassieren. So stellen Sie sicher, dass Ihr Pferd gerade über das erste Hindernis springt und am Ende nicht abrupt abwendet. Nicht jede Reithalle verfügt über Bandenständer. Falls diese nicht vorhanden sind, muss der Freiraum zwischen Bande und Ständer ausgefüllt werden. Dazu können Sie beispielsweise eine Stange nutzen. Gerade für junge oder unerfahrene Pferde ist es wichtig, dass der Weg versperrt und ein Ausbrechen verhindert wird. Vielen Pferden fällt es anfangs leichter, Richtung Eingang zu springen.
Niemals ohne Warm-up
Ein Kaltstart kann schwere Verletzungen nach sich ziehen. Aus diesem Grund sollte das Pferd vor dem Freispringen immer ausreichend aufgewärmt werden. Beginnen Sie mit zehn Minuten im Schritt. Sie können Ihr Pferd führen oder direkt mit der Longenarbeit anfangen. Anschließend nehmen Sie Trab und Galopp hinzu– auch hier reichen in etwa zehn Minuten. Für einige Pferd ist es hilfreich, vor dem Springen den Übermut abzubauen. Sie können Ihr Pferd auch frei laufen lassen, jedoch haben Sie dabei weniger Kontrolle, weshalb ein Aufwärmen an der Longe meist sinnvoller ist. Übergänge oder Tempo unterschiede erhöhen die Aufmerksamkeit. Junge, unerfahrene oder ängstliche Pferde sollten Sie zunächst im Schritt und Trab durch die Gasse beziehungsweise anschließend auch über ein Bodenrick führen. Lassen Sie sich Zeit und erlauben Sie Ihrem Pferd, die neue Umgebung zu erkunden. Nun folgt der nächste Schritt: Das Bodenrick wird erhöht und mit einer Absprungstange versehen. Das Pferd lernt nun, allein darüber zu springen. Wiederholen Sie den Vorgang auf beiden Händen, wobei die Absprungstange entsprechend gewechselt werden muss.
Mit Lob zu mehr Motivation
Indem Sie Ihr Pferd nach jedem gelungenen Durchgang loben, erhöhen Sie die Springfreude. Ängstliche, aber auch besonders temperamentvolle Pferde sollten nicht einfach sich selbst überlassen, sondern jedes Mal nach dem Hindernis wieder eingefangen und neu aus dem Schritt angeführt werden. Eine feine Kommunikation mit dem Vierbeiner ist auch beim Freispringen unerlässlich. Versuchen Sie ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob Ihr Pferd vor dem ersten Hindernis zögert und inwieweit es angetrieben werden muss. Beim zweiten Mal achten Sie darauf, ob Ihr Pferd nun selbstständig anzieht oder noch einmal Unterstützung benötigt. Die Anzahl der Hindernisse wird langsam erhöht. Nach dem Bodenrick kann beispielsweise ein kleiner Kreuzsprung folgen. Dieser erzieht das Pferd zum Springen in der Mitte. Bei Steilsprüngen kann eine vorgelegte Absprungstange die Flugkurve verbessern. Als letzter Sprung in der Reihe eignet sich ein einladender Oxer. Hierbei sollte die letzte Stange etwa zehn Zentimeter höher als die vordere sein. So kann der Hochweitsprung flüssig überwunden werden. Generell wird mit jungen Pferden am besten auf der linken Hand begonnen, da sie an das Anführen auf dieser Hand gewöhnt sind. Achten Sie darauf, dass das Tempo weder zu eilig noch zu zögernd ist. Freispringen sollte immer gut vorbereitet sein und nicht allein durchgeführt werden. „Anfangs hat uns ein Springtrainer geholfen. Mittlerweile haben wir alle aber so viel Erfahrung, dass wir die Hindernisse richtig aufbauen und die Abstände einschätzen können“, sagt Lea. Helfer sollten jeweils am Anfang und Ende der Springreihe sowie in der Mitte der Bahn stehen. Mit der Peitsche wird das Pferd angetrieben, allerdings vorsichtig und nicht durch lautes Knallen. Die Stimme kann zum Beruhigen, Loben und auch zum Antreiben eingesetzt werden.
Einige Pferde sind anfangs sehr aufgeregt und nach ein paar Sprüngen bereits erschöpft oder nicht mehr in der Lage, sich zu konzentrieren. Hier kann eine Schrittpause helfen, oder das Training wird beendet und an einem anderen Tag weitergeführt. Bedenken Sie auch, dass gerade junge Pferde noch über sehr wenig Kondition verfügen. In jedem Fall ist ein entsprechender Cool-down nach jedem Freispringen wichtig. Dazu müssen Sie nicht in der Reithalle bleiben. Sie können auch eine Runde spazieren gehen. Denken Sie daran, gegebenenfalls eine Abschwitzdecke aufzulegen und Ihr Pferd so lange zu führen, bis sich der Kreislauf und die Atmung beruhigt haben.
Text: Aline Müller Foto: Holger Schupp