Für das Training eines Stresspferdes braucht es Ruhe und Geduld. Und man darf es nicht in eine Form zwingen wollen.

 

Julia Mesterns Trainingskonzept für Stresspferde basiert auf Ruhe und Trainieren ohne Zwang: „Man sollte sich rigoros und diszipliniert ­einen Trainingsplan überlegen, damit das Pferd die Leistung bringen kann, die man fordert. Das heißt für mich in erster Linie, ich muss das Pferd in die Lage bringen, sich auf mich zu konzentrieren. Aber ich darf nie über seine Kraft gehen! Das fördert eine negative Kondition. Das Pferd darf also nicht so lange gearbeitet werden, bis es ruhig ist, weil ihm die Kraft ausgeht – das wirkt sich langfristig negativ auf den Körper und die Psyche aus. Ich möchte das Pferd nicht abarbeiten, es soll loslassen in der Bewegung. Bevor man in den Sattel steigt, kann man das Pferd führen oder ablongieren – aber das lieber ohne Ausbinder. Ein Stresspferd braucht Phasen, in denen es sich frei bewegen darf, es soll nicht gleich mit einem Kampf mit dem Reiter ins Training einsteigen. Im Sattel muss man dann sehen, wo die Nervosität sitzt. Oft sind solche Pferde bei Schritt-Übergängen zurück im Stresslevel, auch Halten bedeutet Stress, also lieber Lektionen im Vorwärts üben, Seitengänge, gebogene Linien reiten … Lektionen, bei denen sich das Pferd wohlfühlt und wofür ich es ­loben und neugierig machen kann, um noch mehr Lob zu bekommen. Tendenziell würde ich versuchen, das Pferd mit

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inem längeren Zügel zu arbeiten. Ein kurzer Zügel hält Spannung aufrecht, Spannung bedeutet in diesem Fall Stress.“ Ihr Trainingstipp: Das Pferd nach Zeit arbeiten – viermal fünf Minuten mit Pausen ­dazwischen und dann auf jeden Fall aufhören und spazieren gehen oder Schritt reiten. „Wobei Stresspferde oft nicht Schritt gehen wollen – ich würde sie auch nicht zu irgendwas zwingen, im Zweifel dann vielleicht ­lieber führen.“

Für Bernadette Brune sind es zwei Aspekte, worauf die ganze Arbeit am Boden wie auch vom Sattel aus abzielt. Erstens die Entspannung der Unterhaltsmuskulatur und somit des ganzen Pferdes, und zweitens die Verfeinerung der Hilfen: „Bei nervösen Pferden rate ich dazu, zunächst immer jemanden am Boden dabeizu­haben. Schon beim Aufsteigen sollte diese ‚Vertrauensperson‘ dabei sein, möglichst nicht festhalten, aber notfalls anfangs auch das. Das Pferd soll lernen: ‚An der Aufsteigehilfe passiert nichts, da kann ich entspannt stehenbleiben.‘ Da muss man konsequent sein, das Pferd muss lernen, auf das Kommando zum Losgehen zu warten.“ Die Vertrauensperson, die auch sonst das nervöse Pferd viel spazieren führt, soll das Pferd dann auch in neuen Situationen begleiten. Dies hilft viel. Mal sollte man voraus-, mal nebenhergehen, immer jedoch ohne festzuhalten, ggf. festhalten, aber mit Knotenhalfter über der Trense, um nicht im Maul zu ziehen – einfach nur, damit jemand da ist. Ansonsten folgt Bernadette Brune – gerade bei unsicheren, nervösen Pferden – einem Schema, das sie auch bei jungen Pferden anwendet. Denn: „Ein junges Pferd braucht seine Gewohnheiten. Man sollte da wenig im Ablauf verändern.“ Man startet mit ausreichend Schrittgehen. Das kann geführt sein, falls ein Pferd z. B. erst noch ablongiert werden muss, oder bereits reitend. „Um das entspannte Schrittgehen zu üben, bleibe ich gerne erst an der Bande“, erklärt die Grand-Prix-Reiterin. Man müsse immer wieder versuchen, den Zügel fast komplett lang zu lassen, um den Druck wegzunehmen. Die Bande hilft dem Pferd, zu entspannen, weil es eine Anlehnung bekommt. Außerdem kann der Reiter dem Pferd da schon Angstobjekte zeigen, die sich meist eher am Rand des Vierecks befinden als im Zentrum. „Guckt das Pferd etwas besonders an und hat es Angst, dann bleibe ich als Reiter ruhig, gucke woanders hin, um die Aufmerksamkeit nicht noch mehr auf das besagte Objekt zu lenken, und versuche, die Schulter des Pferdes in Richtung des Objektes zu treiben, den Pferdekopf aber in Fluchtrichtung zu lassen. So behält das Pferd immer das Gefühl: ‚Ich könnte noch flüchten.‘“ Mental gibt das dem Pferd Ruhe. Während der Angstsituation sollte man das Pferd in Entspannungshaltung reiten, davor und danach kann man es mehr anpacken, findet Brune. Das geht auch schon im Schritt. Nach einigen Runden außen herum reitet sie bewusst Durch-die-ganze-Bahn-Wechseln, einfache Schlangenlinien und später auch Schenkelweichen sowie viel auf dem Zirkel. „Das Pferd weiß ganz genau, beim Aufwärmen kommt diese Routine, das gibt schon mal Sicherheit“, erklärt die 47-Jährige. Danach beginnt sie mit dem Leichttraben auf Zirkeln. Hier folgt sie insofern einem Schema, als dass das Pferd sich entspannen muss, sich im Körper lang machen und den Hals fallen lassen soll sowie sich rechts und links biegen lässt und zur Losgelassenheit kommt, ehe es an das Aussitzen oder den Galopp geht. Erzwingen nützt nichts. „Es gibt Tage, da reite ich nur Schritt und Trab. Da merke ich, Galopp bringt heute nichts. Ich muss mich da auch immer selber im Zaum halten, um nicht Lektionen zu reiten. Unser Heimtrainer weist mich auch oft darauf hin, noch mal ­einen Gang runterzuschalten und erst an der Losgelassenheit zu arbeiten“, erzählt Bernadette Brune und betont, wie wichtig es bei nervösen Pferden ist, sein eigenes Verhalten stets zu hinterfragen.

Weder beim Longieren noch beim Reiten befürwortet sie den Einsatz von Hilfszügeln. „Ich will ja erst mal immer, dass das Pferd in der Balance ist und der Hals fällt, außer später bei Piaffe, Passage und höheren Lektionen.“ Sie longiert ihre Pferde in der Regel am Bodenarbeitshalfter, und für die Ausbildung unter dem Reiter wählt sie ein so weiches Gebiss wie möglich, ist jedoch kein Fan von gebisslosem Reiten, da die Pferde dann keine Anlehnung haben.

Julia Mestern reitet im Training ­gerne Trab-Galopp-Übergänge und baut Trabstangen mit ein, weil die den Takt vor­geben und so Ruhe in den Bewegungsablauf und in das Pferd bringen. In einer Gymnastikreihe muss das Pferd lernen, sich zu konzentrieren und zurückzukommen, weil die nächsten Aufgaben schnell hintereinander kommen. Wenn die Vielseitigkeitsausbilderin beim Springen ein Pferd hat, das sich schwer im Tempo regulieren lässt, legt sie nach dem Sprung eine Volte an und kann so über die Wendung im Reiten bleiben.

Zwischendurch lässt sie ein Stresspferd auch mal etwas länger galoppieren, bis es zurück in der Konzentration ist. Aber ganz wichtig: die positive Energie erhalten! „Generell achte ich darauf, einem Stresspferd viel Abwechslung zu bieten, ich reite es überall. Ich finde es nicht sinnvoll, aus Vorsicht nur an einem Ort zu reiten – früher oder später muss man woanders hin. Neues oder Unangenehmes würde ich gegebenenfalls vorher an der Hand zeigen.“

 

Foto: Jaques Toffi

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