Ein guter Sitz ist der Schlüssel für die Kommunikation mit dem Pferd. Leiderwird dem Sitz in der Praxis häufig viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Physiotherapeutin Vivian Nockmann bietet Sitzschulungen an und verhilft damit Pferd und Reiter zu einem gelungenen Zusammenspiel

Man sitzt auf dem Pferd und hat das Gefühl, dass man nicht wirklich gerade und locker sitzt. Auch die Lektionen scheinen häufig allein durch viel Krafteinwirkung zu funktionieren. Bei genauerer Beobachtung fällt auf, dass das eine Bein besser am Rumpf liegt als das andere, auf Bildern ständig das Knie hochgezogen wird oder sogar der Sattel sich mehr auf der einen als auf der anderen Seite gesetzt hat.

Diese Probleme kennt Vivian Nockmann nur zu gut. Sie ist Physiotherapeutin für Menschen und Pferde und hat täglich mit den Problemen von beiden Individuen zu tun.

Sitzschulung: Das Vorgehen

Durch ihr eigenes Pferd und die Probleme mit ihm kam sie vor ein paar Jahren auf die Idee, ihr Wissen der Anatomie  sinnvoll einsetzen zu können: „Mein Pferd ist sehr schwierig, und ich kam immer wieder an den Punkt, an dem ich mich gefragt habe, warum wir nicht weiterkommen. Ich habe dann angefangen, Analysen von meinem Sitz und der dadurch entstehenden Einwirkung zu machen. Die Erfolge sprachen für sich, und so wurde ich häufig gefragt, ob ich dies denn auch bei anderen Reiter-Pferd-Paaren machen könnte. Daraus entstand die Sitzanalyse, die ich heute mache“, erzählt die Physiotherapeutin.  Zwei Mal in der Woche arbeitet Vivian Nockmann in der Humanphysiotherapie, an den anderen Tagen der Woche arbeitet sie mit Pferden und Reitern.

Als Vivian uns an diesem sonnigen Frühlingstag besucht, ist sie mit einer tragbaren Liege, einem Stuhl und ihrem iPad ausgestattet: „Das iPad ist mein wichtigstes Werkzeug für eine Sitzanalyse. Es dient mir als Aufnahmegerät für Fotos und Videos, und ich kann Auffälligkeiten direkt markieren.“ Die beiden Probanden sollen vor den Aufnahmen die Pferde so reiten, dass diese den Rücken fallen  und den Reiter sitzen lassen. Danach werden sie im Schritt, Trab und Galopp fotografiert und gefilmt. Aussagekräftig sind nicht nur seitliche Aufnahmen, sondern auch solche von hinten: „Wenn ich Videos und Fotos der Rückansicht mache, kann ich gut erkennen, ob die Wirbelsäule des Reiters gerade ist, wie er in den Bewegungen in der Hüfte einknickt und ob die Steigbügel gleichmäßig ausgetreten sind“, erklärt die Expertin. Neben den Aufnahmen verschafft sich Vivian auch durch Beobachtung einen Eindruck: „Bevor und zwischen den Aufnahmen schaue ich mir auch genau an, wie das Gesamtbild ist. Fällt das Pferd vielleicht durch die Fehlhaltung des Reiters auf die Vorhand, oder wird es im Rücken blockiert, sodass die Hinterhand nicht richtig mitschwingen kann? Alles Dinge, die wir allein durch unseren Sitz beeinflussen können und an denen wir häufig den Pferden die Schuld geben.“ Vivian Nockmann analysiert also schon, während sie sich entweder in den Ecken der Bahn oder im Zirkel befindet, welche Auffälligkeiten Reiter und Pferd zeigen und was der Grund dafür sein könnte. Unser Sitz ist das wichtigste Instrument der Hilfengebung und damit der Kommunikation mit dem Pferd. Ist dieser nicht fein und mitschwingend, so versteht das Pferd nicht, was wir von ihm möchten, oder es wird sogar an der Ausübung gehindert. „Gerade vor der Turniersaison habe ich sehr viele Anfragen von Reitern, die besser sitzen wollen, damit es in der Saison besser klappt. Wichtig ist, dass das Wissen über die Wichtigkeit des richtigen Sitzes überhaupt da ist und die Schuld nicht auf das Pferd geschoben wird“, so Vivian Nockmann. Nachdem beide Testreiter fertig sind, sichtet die Therapeutin das Material und zeichnet in ihre gemachten Bilder Hilfslinien zum leichteren Erkennen der Defizite. Eine schiefe Hüfte, ein zu weit nach hinten gelehnter Oberkörper oder ein klemmendes Knie werden so für die Reiter deutlich und sichtbar gemacht. Das Resultat erschreckt unsere Tester – dass Probleme im Sitz vorhanden sind, war beiden klar, allerdings wird es einem selten so deutlich vor Augen geführt: „Reitlehrer gehen meiner Erfahrung nach zu wenig auf den Sitz ein, was ich nicht nachvollziehen kann. An diesem sollte immer wieder gearbeitet werden, weil er einfach so wichtig ist“, so Nockmann. Der männliche Reiter hat zu wenig Tiefenmuskulatur im Rücken und fehlende Bauchmuskulatur, wodurch der Schwung nicht gehalten werden kann und ein vermehrtes Gegensitzen nach hinten gezeigt wird. Der Hals und der Kopf schwingen dafür im Takt mit. Die weibliche Reiterin ist im Gegenzug zwar stabil im Rücken, jedoch auch sehr steif in der Hüfte, wodurch ein „Hüppeln“ im Sattel statt eines Mitgehens mit der Bewegung entsteht, wie die Expertin erläutert. „Diese beiden Sitzfehler sind so nicht ungewöhnlich, allerdings ist es ansonsten genau umgekehrt – Männer sind normalerweise steifer in der Hüfte und Frauen eher überelastisch, sodass sie zu viel Bewegung über den Körper ausgleichen statt mitzuschwingen“, stellt die Therapeutin verwundert fest.

Sitzschulung: So läuft es ab

Runter von den Pferden und rauf auf die Liege, heißt es nach der Analyse des Bildmaterials für die Reiter. Vivian erkundigt sich nach möglichen Vorerkrankungen des Skeletts, bevor sie mit der Behandlung beginnt. Auffälligkeiten und Defizite im Sitz werden jetzt genau untersucht: Warum fällt es dem Reiter schwer, mitzuschwingen oder den Rücken richtig als Stütze zu nutzen? Dem geht sie mithilfe geschulter Griffe auf den Grund.

Bei der weiblichen Testerin wird ein sehr steifes Becken auch bei der Untersuchung entdeckt. Die halbstündige Behandlung der Muskulatur und der Gelenke durch manuelle Technik soll bei regelmäßiger Behandlung dazu führen, dass ein lockeres Mitschwingen wieder möglich ist. Auch der Testreiter, der Probleme mit einem aufrechten Sitz hat, wird untersucht und behandelt. „Die Tiefenmuskulatur des Rückens ist zu schwach, sodass er immer wieder in eine falsche Lage gerät. Er versucht, die Balance durch ein Nach-hinten-Lehnen im Sattel zu verbessern, weil die Muskeln nicht reichen“, erklärt Vivian Nockmann. Hier ist eine Stärkung der Tiefenmuskulatur die Lösung. Nach der Behandlung im Sitzen und Liegen haben beide Reiter das Gefühl, dass ihre Schwachpunkte, die sie schon im Vorhinein als solche vermutet hatten, auch erkannt und behandelt wurden. Beide bekommen  neben Behandlungstipps einen Schwimmflügel, der mit etwas Luft gefüllt und als Kissen in den Lendenwirbelsäulenbereich gelegt wird, gegen das beim Sitzen im Bürostuhl immer mal wieder Druck ausgeübt werden soll. Dadurch wird die Tiefenmuskulatur an dieser Stelle gestärkt.

Das Resultat der Sitzschulung

Etwa zwei Wochen nach dem ersten Termin baten wir die Sitztrainerin, erneut vorbeizukommen und nach den Veränderungen der beiden Testpersonen zu schauen. Beide Reiter hatten in der Zwischenzeit die Tipps der Trainerin befolgt und gezielt auf ihre Defizite geachtet: „Wenn man diese Videos und Bilder von sich gesehen hat, dann achtet man automatisch mehr auf die Schwachpunkte, die man mitbringt, und versucht sich immer wieder selbst zu korrigieren“, sagt die weibliche Teilnehmerin.

Auch Vivian Nockmann ist zufrieden: „Man sieht, dass der Sitz bei beiden Reitern schon etwas besser geworden ist. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass ein eingespieltes Bewegungsmuster nicht so einfach zu beheben ist. Man verfällt immer wieder in die falsche Haltung, weil es sich seit Jahren manifestiert hat“, erläutert Nockmann. Wichtig ist daher, dass man seinen Sitz und die Einwirkung auf das Pferd immer wieder selbst reflektiert. Nur so kann die Kommunikation und der damit verbundene Erfolg eines guten Zusammenspiels zwischen Reiter und Pferd funktionieren.

Text: Lara Wassermann    Foto: Daniel Elke

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