Eigene Grenzen erkennen

 

Training ohne Überlastung:  Schmerzhafte Verspannungen des Rückens können durch das Sitzen auf dem Pferderücken gelöst werden. Dabei sollte der Reiter jedoch besonders bewusst und rücksichtsvoll mit dem eigenen Körper umgehen

 

Rückenschmerzen haben sich Platz eins auf der Liste der häufigsten Zivilisationskrankheiten erobert. Verschiedene Studien belegen, dass etwa 80 Prozent der Deutschen schon einmal darunter gelitten haben. Am häufigsten ist der untere Rücken betroffen. Auch Reiter sind davon nicht ausgenommen. „Die statistische Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass jeder Reiter im Verlauf seiner sportlichen Karriere mehrfach mit Rückenschmerzen zu kämpfen hat“, notiert Susanne von Dietze in ihrem Buch „Rücksicht auf den Reiterrücken“. Man sollte sie immer als Warnung respektieren – der Versuch, sie zu ignorieren oder zu überspielen, habe kaum Aussicht auf Erfolg. Besser ist es, auf Ursachensuche zu gehen. Insbesondere einseitige Belastungen, Überbelastungen, Fehlhaltungen, Übergewicht, Bewegungsmangel und wenig sportliche Betätigung können Schäden und daraus resultierende Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule auslösen. Wer über Rückenprobleme klagt, bringt diese meist aus seinem Alltag mit auf den Pferderücken – mit Folgen auch für das Reiten.

Eingeschränkte Beweglichkeit

Unter Verspannungen leidet die Beweglichkeit des Sitzes. Die Schwingungen des Pferderückens können nicht mehr so gut abgefedert werden. Sitzt der Reiter schief im Sattel, kann er die Schiefe des Pferdes verstärken. Oft wird auch versucht, durch eine veränderte Körperhaltung dem Schmerz auszuweichen. Dann kommt es, ebenso wie bei einer zu wenig ausgebildeten Rückenmuskulatur, schnell zu Kompensationsmustern. Der Reiter nimmt z. B. einen Stuhl- oder Spaltsitz ein, zieht die Schultern hoch, macht einen Rundrücken, klemmt mit den Oberschenkeln, schiebt die Unterschenkel weit nach vorne oder zieht die Absätze hoch. „Diese Kompensationsmuster kosten in der Regel unnötig Kraft und können den Rücken negativ belasten“, so die Expertin. Reiter wenden sie auch dann noch an, wenn ihre Schmerzen gar nicht mehr vorhanden sind. „Strategien zur Schmerzvermeidung schreiben sich nachhaltig ins Körpergedächtnis. Wenn bestimmte Bewegungsabläufe über längere Zeit mit Schmerzen verbunden waren, muss man diese Bewegungen tatsächlich neu einüben, wenn die Schmerzen verschwunden sind“, merkt die Expertin an. Das gelingt über viele Wiederholungen und Übungen. „Man muss die neue Bewegung zunächst einfacher und langsamer, dann auch feiner und schneller immer und immer wieder ausführen“, sagt Susanne von Dietze.

Die Entscheidung, ob man trotz akuter Rückenschmerzen überhaupt aufs Pferd steigt oder nicht, liegt bei jedem Einzelnen und sollte im Zweifelsfall einem Arzt, besser noch einem reitenden Mediziner überlassen werden. Bei heftigen starken Schmerz­zuständen oder bei akuten entzündlichen bzw. degenerativen Erkrankungen sollte jedoch nicht geritten werden. „Genau zu unterscheiden, wann ein Schmerz schützt oder schadet, ist eine nicht immer leichte Aufgabe. Erfahrene Therapeuten, eine gute Wahrnehmung des eigenen Körpers und Eigenverantwortlichkeit gehören zu einer erfolgreichen Schmerztherapie dazu“, meint die Physiotherapeutin.

Schmerzkreislauf durchbrechen

Das Reiten kann in vielen Fällen sogar förderlich sein, wenn der Rücken Probleme macht, denn der Pferderücken bewegt das Becken des Reiters rhythmisch in allen drei Bewegungsdimensionen. Damit ähnelt das Sitzen im Sattel der menschlichen Gehbewegung und hat das Potenzial, einen Schmerzkreislauf zu durchbrechen. Mehr noch: „Die dynamische Stabilisierung des Oberkörpers, die beim Reiten nötig ist, fordert und fördert die tiefe Rückenmuskulatur, deren ungestörte rhythmische Arbeit Voraussetzung für einen schmerzfreien Rücken darstellt. Die kurzen Muskeln müssen dabei die eigentliche Haltearbeit im Körper wieder übernehmen, mit der die langen äußeren Muskeln schmerzhaft überfordert sind“, erklärt von Dietze. Reiten hat damit sogar muskelkräftigende Effekte.

Wer mit einem verspannten oder schmerzenden Rücken in den Sattel steigt, sollte seine Trainingseinheit aber anders gestalten als üblich. „Freilich erfordert das Reiten in dieser Situation volle Rücksicht auf den eigenen Körper – leistungs- und fertigkeitsorientierte Ziele müssen in solchen Reitstunden außen vor bleiben. Situationen, die den Rücken besonders belasten oder durch unvorhergesehene Bewegungsabläufe gefährden, muss man vermeiden“, sagt sie. Dazu zählt jede Art von Konfrontation mit dem Vierbeiner, ebenso das Springen und Reiten von Korrekturpferden. „Gefragt sind Rundum-­Bedingungen, die es erlauben, sich zunächst vorrangig auf den eigenen Körper zu konzentrieren“, ergänzt von Dietze.

Eine gemeinsame Lösungsphase für Pferd und Reiter gehöre zu den wichtigsten Anforderungen für einen bewussten Umgang mit dem geplagten Rücken. Versuchen Sie über die Stellung des Beckens, die Sitzform und die Steigbügellänge, eine schmerzfreie Ausgangsposition im Sattel zu finden. Reiten Sie lange Schritt, lassen Sie sich „durch­bewegen“, aktivieren und dehnen Sie verschiedene Muskelpartien rund um den Rumpf. Entlasten Sie Ihren Rücken durch das Leichttraben und das Einnehmen eines Entlastungssitzes. Auch hier ist ein weiteres Mobilisieren hilfreich. Zudem kann ein Wechsel zwischen ­Anspannen und Loslassen der Rückenmuskulatur im Rhythmus der Pferdebewegung (zum Beispiel durch eine häufige ­Positionsänderung wie Aussitzen, Leicht­traben oder leichter Sitz) den Rücken lockern.

Präventiv handeln

Wichtig sei stets, einer Überanstrengung vorzubeugen. Verringert sich Ihre Koordination, verlieren Sie an Losgelassenheit im Sitz oder stellen sich kleinere Verkrampfungen ein, steckt vielleicht eine Ermüdung der tiefen Rückenmuskulatur dahinter. „Eine Pause oder Veränderung der Aufgabe ist dringend notwendig, um eine Schädigung des Rückens zu vermeiden. Im Training sollte die Ermüdungsgrenze nicht überschritten werden. Man kann entweder eine einfachere Aufgabe über längere Zeit absolvieren oder eine schwerere Aufgabe in kürzeren Trainingseinheiten“, erläutert Susanne von Dietze. Das heißt aber nicht, dass Sie nach den ersten Ermüdungserscheinungen das Reiten abbrechen müssen. Im Sattel lässt sich eine ermüdete Muskulatur auch wieder „entmüden“. Rhythmisches Bewegen, leichtes Dehnen, Schrittreiten, kurzes Leichttraben oder Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen können als Entspannungsmomente dienen. So gelingt rückenschonendes Reiten.

 

Foto: Adobe Stock

#doitride-Newsletter   Sei dabei und unterstütze die #doitride-Kampagne! Mit unserem Newsletter verpasst Du keine Neuigkeiten rund um #doitride. Jetzt aktivieren!