Klar, kein Reiter kann auf die Beratung eines Sattlers verzichten. ­Aber es ist immer gut, wenn man mitreden kann – das schützt Sie und Ihr Pferd auch vor schwarzen (Branchen-)Schafen!

 

Vor fast zwei Jahren wurde die Deutsche Reitpony-Stute Daylight auf der Weide getreten. Die Folge: eine Knochenhautentzündung, wegen der sie eineinhalb Jahre pausieren musste. Nun ist sie seit drei Monaten wieder regelmäßig in Arbeit. Das Problem: In der langen Zwangspause war Madame ein wenig rundlich ums Bäuchlein geworden. Der Sattel passte nicht mehr, und bald ging Daylight bei Berührung der Sattellage mit der Hand in die Knie, solche Schmerzen hatte sie. Gut, dass es Nancy Köpke gibt! Sie passte den Sattel an, empfahl Daylights Besitzerin eine Fellunterlage und gab ihr Hausaufgaben mit auf den Weg: Muskelaufbautraining fürs Pony. Nachdem Daylights Springsattel jetzt wieder wunderbar liegt, soll sie noch einen Dressursattel bekommen. Das ist nicht einfach bei Daylights Statur: breiter Rumpf, hoher Widerrist, tiefer Rücken, und dazu ist sie noch recht kurz. Worauf gilt es also zu achten beim neuen Sattel? Zunächst einmal darauf, dass die Stute sich mit dem Training körperlich verändern wird. Es heißt ja, eigentlich brauche man keine Extrapolster unter dem Sattel. Der Sattel selbst solle so gut liegen, dass eine einfache Satteldecke genügt. Das stimmt auch, bestätigt Nancy Köpke. Allerdings gilt: Wenn das Pferd in einem muskulär schwachen Zustand ist, weil es länger pausieren musste oder auch eine Weile mit einem schlecht sitzenden Sattel ging, sind einige Zwischenschritte notwendig. Dann macht es wenig Sinn, den Sattelbaum dem Ist-Zustand perfekt anzupassen, sondern die Ortweite (umgangssprachlich auch Kammerweite genannt) lieber eine Nummer größer zu nehmen. Solange der Sattel noch zu groß ist, stabilisiert man ihn mit Lammfellunterlagen, die mit Taschen ausgestattet sind, in die man Filzpads einschiebt. Nancy Köpke erklärt: „Auf diese Weise bringe ich den Sattel vom Pferd weg und kann die atrophierten Stellen (an denen die Muskulatur zurückgegangen ist, Anm. d. Red.) ausgleichen.“ Das Gute: Mit Unterlagen und Pads kann der Sattel stets nach Bedarf angepasst werden. Dafür braucht es auch nicht immer einen Termin mit dem Sattler, sondern der erfahrene Pferdemensch kann selbst ausprobieren, wie dem Pferd eine Veränderung bekommt. Merke: Spätestens nach sechs Monaten sollte der Sattel dem Pferd wieder passen. Ist das nicht der Fall, muss der Sattler noch mal ran!

Was das Material dieser Unterlagen angeht – Lammfell verteilt den Druck gut. Hat man ein besonders sensibles Pferd, ist Rentier(winter-)fell noch besser. In einer Studie von 2010 haben Forscher an der Veterinärmedizinischen Universität Wien herausgefunden, dass beim Vergleich von Schaumgummi, ­Leder, Gel und Rentierfell als Unterlage unter einem passenden Sattel nur letzteres den Druck signifikant besser verteilte. Nancy Köpke erklärt: „Das liegt daran, dass Rentierfell – man sollte übrigens das Winterfell nehmen – eine Wuchsrichtung hat. Dadurch wird der Druck noch ein bisschen besser verteilt.“ Kunstfell ist aus ihrer Sicht hingegen nicht empfehlenswert. Wer aus ethischen Gründen auf Echtfell verzichten will, sollte eher zu sogenanntem Dis­tanzgewebe greifen, das zum Beispiel auch in der Humanmedizin zur Anwendung kommt, etwa wenn es darum geht, bei bettlägerigen Menschen einen Dekubitus, also Wundliegen, zu vermeiden.

Der Widerrist …

… muss unter allen Umständen frei bleiben. Vom Widerrist bis zu der Stelle, wo das Sattel­kissen auf dem Pferd aufliegt, sollte seitlich eine Handbreit Platz nach unten sein. Dann tragen die Rippen das Gewicht des Sattels, und der Widerrist ist frei beweglich. Rund um den Widerrist müssen überall zwei Finger Platz sein zum Vorderzwiesel – und wenn Sie im Sattel sitzen, muss immer noch eine Hand flach unter den Sattel gelegt werden können! Ist der Widerrist druckempfindlich oder weist er gar Scheuerstellen auf, ist das ein deutlicher Hinweis, dass der Sattel drückt. Ein beliebter Fehler: Satteldecken und Schabracken über dem Widerrist schön glatt nach unten zie

hen. Auch das kann die Bewegungsfreiheit im Widerrist einschränken. Also lieber die Satteldecke etwas anlupfen, „einkammern“, damit auch darunter noch Luft zum Pferd ist. Und bei sämtlichen Fellen, Pads etc. daran denken: Sie nehmen Platz weg! Wer sie benötigt, muss eine entsprechend weitere Kammer wählen!

Die Schulter …

… muss ebenfalls frei arbeiten können, sonst drohen unter Umständen irreparable ­Schäden und große Schmerzen beim Pferd. Das Schulterblatt arbeitet in der Bewegung wie ein Scheibenwischer. Bewegt das Vorderbein sich nach vorne, rutscht das Schulterblatt nach hinten oben, etwa eine Handbreit. Das muss der Sattel zulassen! Ebenso muss der Trapezmuskel frei arbeiten können, der vom Nackenband an Hals und Rücken ausgehend bis zur Mitte des Schulterblattes verläuft und so ein Dreieck bildet. Wird er blockiert, ist das Pferd in seiner Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt, und der Muskel bildet sich zurück, erkennbar an Kuhlen neben dem Widerrist.

Entscheidend für die Bewegungsfreiheit der gesamten Schulter ist die Ortweite des Sattels. Sie muss so weit sein, dass das Schulterblatt frei unter ihr hindurchgleiten kann (aber auch nicht zu weit, sodass der Sattel auf der Wirbel­säule aufliegt!). Das kann man ausprobieren. Stellen Sie sich neben das korrekt gesattelte und angegurtete Pferd und fassen Sie an die Spitze des Schulterblatts. Bitten Sie einen Helfer, das Vorderbein aufzuheben und nach vorne zu bewegen. Wenn Sie fühlen, dass die Schulterblattspitze unter Ihrer Hand unter dem Sattel verschwindet, ohne dass sich der Sattel nach hinten verschiebt oder das Schulterblatt auf einen Widerstand stößt, ist die Ortweite richtig gewählt.

Nicht nur die Weite, auch die Winkelung des Kopfeisens bzw. der Ortspitzen ist zu beachten. Sie sollten parallel zur Schulter verlaufen und müssen so lang sein, dass sie einerseits helfen, den Sattel stabil zu halten, aber andererseits auch nicht so lang, dass sie in die Muskulatur drücken. Letzteres kann aber auch bei zu kurzen Ortspitzen passieren, weiß Nancy Köpke: „Zu kurze Ortspitzen drücken insbesondere bei der Landung nach einem Hindernis in die Schulter – sehr schmerzhaft! Wenn die Pferde direkt nach der Landung losbocken, ist das ein ziemlich sicheres Zeichen, dass ihnen etwas wehtut“, weiß die erfahrene Sattlerin. Viele Pferde wollen nach einer solchen Erfahrung gar nicht mehr abspringen, berichtet sie.

Mit dem Kopfeisen wird bei vielen Herstellern experimentiert. Da wird zurückgeschnitten, verlängert, verkürzt usw. Aber Nancy Köpke betont: „Wichtig ist, dass die Ortschenkellänge zum Pferd passt, damit sie nicht in die Schulter piksen und der Sattel stabil bleibt.“ Fakt ist, ein Kontakt des Sattels mit der Schulter ist unvermeidlich. Aber wenn der Sattel an den richtigen Stellen aufliegt, ist das kein Problem. Dann kann das Pferd ungehindert Muskulatur aufbauen.

Rücken und ­Dornfortsätze

Der tiefste Punkt des Sattels, der Schwerpunkt, muss mit dem tiefsten Punkt des Pferderückens korrespondieren, denn hier kommt der Reiter zum Sitzen. Der Sattel darf nur so lang sein, dass der Bereich hinter dem 18. Brustwirbel unter allen Umständen frei bleibt. Hier beginnt die Lendenwirbelsäule. Liegt der Sattel hier auf, bereitet das dem Pferd Schmerzen. Resultat: fester Rücken, nachgesprungene fliegende Galoppwechsel oder auch Bocken, Steigen und andere vermeintliche „Unarten“, die de facto das Ergebnis von vermeidbaren Schmerzen sind. Man findet den 18. Brustwirbel, indem man die Wasser­rinne nach oben verlängert oder auch die letzte Rippe. Dort, wo sie auf die Wirbelsäule treffen, liegt der Wirbel.

Auch wichtig: Der sogenannte Kissen­kanal, die Lücke zwischen den Sattelkissen, die die Wirbelsäule und die Dornfortsätze freihalten soll. Als Faustregel gilt: Rechts und links der Dornfortsätze sollte angegurtet und mit Reitergewicht rund zwei Finger Platz bleiben, damit die Kissen nicht auf die knöchernen Strukturen der Wirbelsäule drücken. Zu breit darf der Kissenkanal aber auch nicht sein, damit der Sattel nicht auf der Wirbelsäule aufliegt und die Muskulatur nicht durch den Sattel auf den Rippenbogen gedrückt wird.

Rückenmuskulatur

Die Kissen des Sattels sollten sich an die Rücken­muskulatur anschmiegen. So individuell wie die Anatomie des Pferderückens sind auch die Winkelung und die Passform der Kissen. Sie dürfen nicht zu lang sein, damit sie nicht auf den ersten Lendenwirbel drücken. Überhaupt ist Nancy Köpke der Ansicht, die Kissen könnten eigentlich nicht kurz genug sein, solange der Schwerpunkt des Sattels stimmt und der Reiter im Sattel gut sitzen kann.

Ein wichtiger Punkt ist auch der Härtegrad der Füllung. Zu hart bedeutet Druck auf die Muskulatur, der auf Dauer massive Schmerzen verursacht. Zu weiche Kissen können die Form nicht halten, fallen zusammen und drücken dann ebenfalls.

Die Gurtlage

Früher kaum beachtet, ist die Gurtlage inzwischen immer stärker in den Fokus gerückt. Und mit ihr die Ellbogenfreiheit. Die alte Faustregel, dass der Gurt eine Handbreit hinter dem Ellenbogen liegen soll, gilt nicht mehr. Gegurtet wird dort, wo der Leib des Pferdes sich verjüngt. Trotzdem muss der Ellenbogen sich bewegen können, ohne dass das Pferd sich am Gurt scheuert oder an ihn stößt. Ganz wichtig bei Kurzgurten: Die Schnallen sollten nicht auf Höhe des Ellenbogens liegen, damit beides nicht miteinander kollidiert, wenn das Pferd sich bewegt. Als Faustregel gilt: die Kurzgurte so lang wie möglich wählen, damit die Schnallen möglichst dicht am Sattelblatt liegen. Wenn Pferde nicht frei aus der Schulter herauskommen oder nicht durchatmen während des Reitens, liegt das womöglich daran, dass die Schnallen auf dem Reflexpunkt aufliegen, der sich in der Sattellage befindet. Bei einem Großpferd ist der etwa eine Handbreit über dem Ellbogen angesiedelt, bei Ponys entsprechend weiter unten. Wo genau, ist jedoch von Pferd zu Pferd verschieden. Darum der Tipp: Sie finden den Reflexpunkt Ihres Pferdes, wenn Sie mit dem Fingernagel in der Gurtlage von oben nach unten und von vorne nach hinten streichen. Dort, wo das Pferd zusammenzuckt, liegt der Reflexpunkt. Bekommt dieser zu viel Druck, kann die Atmung beeinträchtigt werden. Genauso wichtig: Die Gurtstrupfen müssen unbedingt senkrecht nach unten hängen und angegurtet werden, damit sie die Lage des Sattels nicht verändern.

Der ultimative Formcheck

Hat man einen Sattel gefunden, der den Eindruck macht, dass er passt, gibt es zwei Möglichkeiten, das unter dem Reiter zu über­prüfen: den Staub- und den Schweißabdruck. Ersteren nimmt man ohne Satteldecke. Das Pferd wird gesattelt und einige Minuten in allen Grundgangarten geradeaus und auf gebogenen Linien geritten. Danach wird der Sattel mit aller Vorsicht vom Pferd gehoben, um das entstandene Staubmuster nicht zu verwischen. Denn dieses zeigt nun zweifelsfrei, ob der Sattel da liegt, wo er liegen soll, und nicht drückt.

Den Schweißabdruck kann man nach jedem Training kontrollieren. Hat das Pferd geschwitzt, sollte die gesamte Sattellage nass sein. Das wäre optimal, ist aber eher selten der Fall. Wenn trockene Flächen kleiner als eine Handbreit sind, ist das ein Hinweis auf Druckspitzen – das darf nicht sein! Solche Druckspitzen findet man z. B. unter den Bügelschlössern, achten Sie mal darauf! Eine Studie von 2010 hat einen direkten Zusammenhang zwischen trockenen Stellen auf einer eigentlich verschwitzten Sattellage und Druckschmerz des Pferdes nachweisen können. Nancy Köpke betont aber, dass es normal ist, dass dort, wo der Reiter sitzt, Flächen sind, in denen das Pferd unter dem Sattel nicht geschwitzt hat. Hauptsache, die Bereiche vor und hinter dem Reitersitz sind verschwitzt. Dann kann sich das Pferd frei bewegen. Doch Vorsicht: Abgebrochene oder stark verwirbelte Fellflächen können ein Hinweis darauf sein, dass der Sattel sich auf dem Pferde­rücken zu stark bewegt und reibt.

Der verflixte vierte Monat

Rund vier Monate braucht es, bis die Muskulatur des Pferdes sich verändert. War der Sattel der Wahl der richtige, hat das Pferd aufgemuskelt und bewegt sich gerne und gut. Unter Umständen muss der Sattler jetzt noch einmal kommen, um den Sattel der veränderten Rückenform anzupassen. Möglicherweise hat sich in Sachen Muskelaufbau aber auch nichts getan, und das Gangbild verschlechtert sich wieder. Dann war der Sattel doch nicht der richtige und muss ausgetauscht werden. „Das ist blöd“, gibt Sattlerin Nancy Köpke zu. „Aber besser nach vier Monate merken, dass der Sattel doch nicht so gut geeignet ist, als nach zwei Jahren ein lahmes Pferd im Stall zu haben. Das ist nämlich ein schleichender Prozess.“

Noch eines möchte Nancy Köpke allen Pferdebesitzern und Reitern mit auf den Weg geben: Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl! Wenn Sie den Eindruck haben, Ihr Pferd fühle sich nicht wohl unter dem Sattel, dann stimmt das meistens. Lassen Sie sich nicht bequatschen à la „Der muss da jetzt mal durch!“. Wenn das Pferd Ihrer Meinung nach anders geht als sonst, warten Sie noch ein paar Tage ab, ob es vielleicht an Rosse etc. lag. Verändert die Situation sich nicht, sollten Sie sich auf Ursachenforschung begeben! Es kann, muss aber nicht am Sattel liegen. Fest steht: „Pferde denken sich ihr Unwohlsein nicht aus!“

 

Text: Dominique Wehrmann, Bild: slawik.com

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