Basierend auf den Untersuchungen zur Wirkung von Hitze auf Sehnenzellen erforschten Tierärzte in den letzten Jahren, welche Gamaschen und Bandagen Probleme durch Hitze fördern könnten.
2013 hatten Forscher der Nottingham Trent University in Zusammenarbeit mit dem deutschen Hofgut Beutig und dem Forschungszentrum UNEQUI unter verschiedenen Gamaschen (traditionellen, vorne offenen und perforierten) die Hauttemperatur am Bein bei 131 Pferden nach Abschluss eines Geländetests gemessen – entweder hatten die Pferde an einem Dreitagesturnier oder an einem CCI*-Zweitagesturnier im Kurzformat teilgenommen. Perforierte Gamaschen gaben 3,5 Grad mehr Wärme an die Umgebung ab, bei dieser Art Gamaschen war auch die Oberflächentemperatur des Beins geringer (28 °C) als bei den traditionellen (32,3 °C) und vorne offenen Gamaschen (31,1 °C). Der Rat der Forscher: Obwohl die genauen Mechanismen, die zu diesen Ergebnissen führen, und der Zusammenhang zwischen Hitze und Sehnenverletzungen noch weiter erforscht werden muss, ist es ratsam, Gamaschen so zu gestalten, dass die Sehnen möglichst wenig hohen Temperaturen ausgesetzt sind, die zu Sehnenverletzungen beitragen können.
Mit dem gleichen Fazit, aber anderen Testergebnissen – vor allem bei den perforierten Gamaschen – schlossen Wissenschaftler aus Tennessee vor zwei Jahren ihre Studie zu Wärme unter verschiedenen Gamaschen ab. Getestet hatten sie eine herkömmliche Gamasche, eine perforierte Gamasche, eine Neoprengamasche auf Pflanzenbasis aus Stomatex, eine Geländegamasche, eine elastische Trainingsbandage und eine Fleecebandage. Sechs Pferde trugen abwechselnd in sechs Trainingseinheiten die sechs unterschiedlichen Gamaschen und Bandagen an jeweils einem Vorderbein, das andere Vorderbein diente zur Kontrolle. 20 Minuten lang wurden sie bei einer Außentemperatur von etwa 23°C trainiert, dann folgte eine 180 Minuten lange Erholung im Stehen. Temperatur und Feuchtigkeit an den Beinen wurden minütlich mit einem Miniatur-Datenlogger, der auf Höhe des Griffelbeins angebracht worden war, aufgezeichnet. Am nackten Bein wurde die niedrigste Temperatur nach neun Minuten gemessen (27,7 °C), sie erreichte maximal 33 °C. An den Beinen mit Gamaschen und Bandagen stieg die Temperatur auf etwa 36 °C an.
Am heißesten und auch feuchtesten wurde es unter den Fleecebandagen, aber unter allen getesteten Gamaschen und Bandagen wurde es so warm, dass Sehnenzellen geschädigt werden können, so die Forscher. Unter der Stomatex-Gamasche war es noch am kühlsten, was allerdings auch daran liegen könnte, dass diese Gamasche recht locker saß, räumten die Forscher ein. Zwischen der herkömmlichen und der perforierten Gamasche konnten keine Unterschiede festgestellt werden. Die Geländegamaschen hatten ein Wabendesign und boten guten Aufprallschutz, allerdings waren sie stark gepolstert, was den Wärmerückhalt erhöhte. Nach 180 Minuten erreichte aber kein Bein die Ausgangstemperatur und -feuchtigkeit. Die Wissenschaftler raten Pferdebesitzern und Reitern, die Vor- und Nachteile von Gamaschen und Co. zu bedenken, bevor sie einen Beinschutz anbringen. Bei dieser Entscheidung sollten sie vor allem folgende Faktoren berücksichtigen: die Umgebungstemperatur, die Intensität des Trainings, ob sich das Pferd des Öfteren streift oder greift sowie Design und Material des Beinschutzes.
Stützen, schützen, schaden?
Auch Prof. Florian Geburek gibt bei der Diskussion über entstehende Hitze unter Gamaschen und Co. zu bedenken, dass man deren Schutz- und Stützfunktion nicht außer Acht lassen sollte. Er verweist auf eine Studie aus Wien (2004), in der man gemessen hatte, wie weit sich der Fesselkopf im Schritt und Trab nach unten durchdrückt — je weiter sich das Fesselgelenk in der Belastung streckt, desto stärker wird z.B. die oberflächliche Beugesehne belastet. Die Wiener fanden heraus: Mit einem Beinschutz wird die Überstreckung des Fesselgelenks je nach Modell im Trab signifikant, d.h. um bis zu 1,44 Grad gesenkt.
Viel entscheidender ist aber, dass Gamaschen und Bandagen die Sehne vor Tritten schützt. „Je nach Nutzungsrichtung ist es angebracht, die Sehnen vor äußerlichen Verletzungen, durch Streifen oder Greifen der Zehen der Hinterhufe an den Mittelfuß, zu schützen. Hierdurch können starke Sehnenschäden im Randbereich entstehen, die sehr langsam heilen“, erklärt der Experte aus Hannover.
Die Kräfte, die im Training auf Sehnen wirken, lassen sich also nur ein klein wenig abfangen. Besonders stark sind
diese Kräfte, wenn das Pferd im Galopp mit dem Huf auftritt und noch höher sind sie, wenn das Pferd nach einem Hindernis landet. Was aber auffällt: Im Spring- oder Vielseitigkeitssport, wo auch die Gefahr des Reingreifens der Hinterhufe in den Mittelfuß hoch ist, tragen Pferde Gamaschen. Weitaus dicker eingepackt, nämlich mit Bandagen und Unterlagen vom Fesselkopf bis teilweise übers Karpalgelenk, sind Pferde im Dressursport. Gerade unter Bandagen wird es allerdings sehr warm. Warum wird dennoch so oft bandagiert, obwohl so viel Material manchmal gar nicht immer nötig ist und es Risiken birgt? Prof. Inga Wolframm beschäftigt sich mit der Frage, welche Motive es sind, die Reiter zu Gamaschen oder Bandagen greifen lassen. Sie erklärt: „Es gibt viele Gründe, warum wir bestimmte Sachen machen und Logik ist dabei nicht immer ausschlaggebend, sondern meistens unsere Routine, unser Umfeld und unsere Motivation. Routine ist zunächst sinnvoll, denn wir Menschen möchten nicht über jede Entscheidung aufs Neue nachdenken, das kostet Energie. Wenn wir nun erfahren, dass unsere Routine – in diesem Fall das Bandagieren – ein Risiko sein kann, dann schauen wir erstmal, wie das die Anderen um uns herum machen: Stallkollegen oder Trainer. In der Verhaltenslehre geht man davon aus, dass sich das Verhalten einer Gruppe erst dann ändert, wenn im Durchschnitt ein Viertel der Mitglieder etwas anders macht. Erst dann fängt ein Umdenken an.“ Bis das soweit ist, spielt die eigene Motivation eine große Rolle: Ich möchte damit – häufig unbewusst – zum Ausdruck bringen, wie viel mir mein Pferd bedeutet. Ich investiere Geld und Zeit, mir ist wichtig, dass mein Pferd gepflegt aussieht, und ich zeige, dass ich die empfindlichen Beine gut schützen möchte. Die Bandagen werden also oft auch zum Symbol von dem, was ich für mein Pferd empfinde. „Schließlich bandagiert man ein Pferdebein ja auch bei bestimmten Krankheiten ein, um es zu schützen oder beim Transportieren. Da scheint es ja widersprüchlich, dass diese Maßnahme auch schaden kann“, gibt Prof. Inga Wolframm zu bedenken.
Offene Fragen, aber ein klarer Rat
Noch sind viele Fragen offen, wenn es darum geht, inwieweit Gamaschen und Co. schützen oder schaden. „Sie haben eine Schutz- und Stützfunktion, aber sie tragen auch zur Überwärmung bei“, fasst Prof. Florian Geburek zusammen. „Aber ab wann es kritisch wird, hängt von vielen Faktoren ab, sodass wir das noch nicht sagen können.“ Um Risiko und Nutzen noch besser abwägen zu können, planen Forscher aus Tennessee eine weitere Studie: Sie wollen die Kräfte messen, die bei unterschiedlichen Arbeitsintensitäten entstehen, um herauszufinden, welches und wie viel Material überhaupt nötig ist, um das Pferdebein zu schützen. Ein weiteres Ziel der Forscher: Testen, wie man das Pferdebein am effektivsten kühlen kann, um Schäden zu vermeiden. Eines raten sie aber schon jetzt: Wenn man zum Beinschutz greift, dann sollte man diesen nach dem Training so schnell wie möglich abnehmen und das Bein kalt abspritzen! Und auch die Studie von Hiorto Yamasaki belegt: Das Kühlen der Beine nach der Arbeit lindert wirksam Entzündungsprozesse in der oberflächlichen Beugesehne.
Bild: Daniel Elke, Text: Kerstin Wackermann