Können Pferde das Reiten wirklich lieben und Spaß am Training haben? Mit diesem Thema befassen sich die Ausbilderinnen Katharina Möller-Weingand und Claudia Weingand eingehend und berufen sich dabei auch auf wissenschaftliche Studien

Spätestens seit dem Skandal um Charlotte Dujardin und den Olympischen Spielen 2024 werden auch die Stimmen der Nicht-Reiter in den (sozialen) Medien immer lauter. Es häufen sich Kommentare, dass Pferde nur als Sportgeräte missbraucht würden und sie aus freiem Willen nie solche Leistungen bringen würden. Ja, es gibt definitiv viele Negativbeispiele bis hin zur enormen Tierquälerei, die auch für uns als Pferdemenschen mehr als schwer anzuschauen sind. Und die Berichte über solche Schandtaten hören nicht auf. Doch nicht nur im Training von Profis oder auf großen Turnieren sind Pferde zu sehen, die Schmerzen haben beziehungsweise in gesundheitsgefährdenden Kopf-Hals-Positionen geritten werden. Auch im Breitensport sowie im Freizeitbereich laufen Dinge schief. Sollte daher das Reiten wirklich ganz verboten werden? Und ist es nicht einfach nur der Wille des Menschen, der Spaß am Reiten hat und auch davon ausgeht, dass ein Pferd das Ganze genauso liebt? „Viele würden sagen, dass das Wohlergehen ihres Pferdes an erster Stelle steht, völlig unabhängig von der Nutzung oder von sportlichen Erfolgen. Aber auch hier ist die Frage: Wie stellen wir dieses Wohlergehen eigentlich fest? Außerdem hängt das nicht nur vom Reiten ab, sondern von wirklich allem, was wir mit unseren Pferden unternehmen – ob vom Boden oder im Sattel“, schreiben Katharina Möller-Weingand und Claudia Weingand, die gemeinsam das Zentrum OsteoDressage gegründet haben und pferdegerechtes Reiten fördern möchten.

Unterschiedliche Charaktere

Pferde werden nicht mit einem Reiter auf dem Rücken geboren. Wenn sie jedoch nichts Negatives erlebt haben, sind sie von Natur aus häufig neugierig, und gerade Jungpferde besitzen oft eine starke Offenheit dem Menschen gegenüber. Sie lernen schnell und „warten“ manchmal regelrecht auf die nächste Aufgabenstellung. So geht es auch meinen beiden jungen Ponys. Sie wurden am Boden behutsam auf ihre Aufgaben vorbereitet und lassen den Reiter ganz freundlich mit gespitzten Ohren aufsteigen. Ihr Training wird dem Alter entsprechend angepasst, sie haben viele Sozialkontakte, werden nicht einfach nur in der Box gehalten und zeigen auch ihren ganz eigenen Charakter.

Mein Wallach ist ein echtes Spielkind. Er ist der Jüngere von beiden und liebt es, mit Wasser oder einem Ball zu spielen. Meine Stute hört ihre liebsten Personen schon am Schritt und macht sich mit einem freudigen Blubbern bemerkbar. Dann möchte sie sofort gekrault werden. Und gibt diese Zuneigung auch gerne zurück. Will heißen: Wir kraulen ihr den Hals oder die Brust (was sie besonders liebt), und sie krault unseren Rücken oder Arm. Beide Ponys sind im Umgang sehr entspannt, lassen sich ganz unaufgeregt satteln und sind dann beim Reiten durchaus motiviert. Die Ohren sind immer gespitzt, und nach dem Training wirken sie zufrieden. Ob ich das Gefühl habe, dass die beiden Spaß an der gemeinsam Arbeit haben: Ja, das habe ich. Natürlich bringen mich die Skandale und Diskussionen auch zum Nachdenken.

Selbstreflexion und stolze Pferde

Ich ritt als Jugendliche nie Pferde, die man heute „Lampenaustreter“ nennt. Meine erste Stute hatte solide Grundgangarten. Ab der Klasse M bin ich mit ihr gegen die anderen oft strampelnden Pferde nicht mehr gut angekommen. Obwohl sie die Aufgaben fehlerfrei gemeistert hat. Irgendwann habe ich mich bewusst vom Turniersport distanziert. Auch in dieser Zeit lernte ich viel. Heute bin ich an einem Punkt, an dem ich meine Pferde gerne noch mal auf Turnieren vorstellen möchte, aber ohne dabei überehrgeizig zu sein.

Meine Reitponystute wirkt in vielen Momenten unter dem Sattel wirklich stolz. Dann sehe ich ein Bild vor Augen, wie wir durchs Viereck traben. Mir ist auch bewusst, dass ich mich selbst immer wieder reflektieren muss. Ich habe Wege gefunden, die mir helfen, Emotionen aus dem Alltag nicht mit zu den Pferden zu nehmen. Ich setze mich zum Beispiel nicht in den Sattel, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht mit einer innerlichen Gelassenheit und Freundlichkeit auf meine Pferde richten kann. Denn unsere Vierbeiner sind sehr sensible Wesen. Sie nehmen die kleinsten Spannungen oder Veränderungen wahr. „Wir können aus eigener Erfahrung sagen: Der Weg zum Reiten, wie es Pferde lieben, ist mitunter hart, weil er einen ziemlich unangenehmen Blick in den Spiegel erfordert“, sagen Katharina Möller-Weingand und Claudia Weingand. Tröstlich ist: Weil wir alle nicht perfekt sind und es nie sein werden, werden wir alle Dinge finden, die uns nicht gefallen oder für die wir uns sogar schämen. Wenn wir den Mut fassen, trotzdem hinzuschauen, ohne sofort in Rechtfertigungen ab- zudriften, ist der erste Schritt getan.

Dieses Thema wird immer wichtig sein

Schon vor Jahren wurde das Thema Rollkur intensiv diskutiert. Sowohl die klassische Reitlehre als auch das nationale sowie das internationale FEI-Reglement sind sich einig und sagen klipp und klar: Die Stirn-Nasen- Linie des Pferdes soll während des Reitens an oder etwas vor der Senkrechten getragen werden. Was eine Senkrechte ist, ist ebenfalls klar definiert. Dennoch waren bei den Olympischen Spielen 2024 in der Dressur Pferde zu sehen, die deutlich hinter die Senkrechte gezogen wurde. Mit vollem Zug auf der Kandare. Trotzdem bekamen sie in den einzelnen Lektionen teilweise hohe Wertnoten. Immerhin haben die Kommentatoren das Thema angesprochen und es nicht totgeschwiegen. „Wie Pferde ihren Kopf und Hals beim Reiten tragen, sagt einiges darüber aus, wie sie das Gerittenwerden empfinden“, erklären Katharina Möller-Weingand und Claudia Weingand. Dabei hänge die Kopf-Hals-Position sowohl vom Reitstil und dem langfristigen Ausbildungsweg eines Pferdes ab als auch von seinem Gesundheitszustand und seinem aktuellen Wohlbefinden. „Wir können und dürfen die Kopf-Hals-Position also nicht nur als Gradmesser für gutes Reiten heranziehen, sondern auch für das aktuell empfundene Wohlergehen des Pferdes“, betonen unsere Expertinnen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass eine fehlerhafte, schmerzhafte und unerwünschte Kopf-Hals-Position des Pferdes „angeritten“ sein kann und damit Reiterfehler zeigen, aber sie kann ebenso vom Pferd gewählt werden und dann Stress oder Schmerzen zeigen, die das Pferd empfindet – teilweise völlig unabhängig vom Reiter.

Wie es dem Pferde wirklich geht

Wenn es falsch ist, hinter der Senkrechten zu reiten, warum machen es Reiter dann? Diese Frage ist berechtigt und zeigt, dass es noch immer einen großen Aufklärungsbedarf gibt. Die Kopf-Hals-Position hat nämlich einen immensen Anteil daran, ob Pferde das Reiten lieben können“, so Katharina Möller- Weingand und Claudia Weingand. Einerseits sei das eine Frage guten Reitens, in welche Kopf-Hals-Position man sein Pferd bringt. Andererseits sei die freiwillig gezeigte Kopf- Hals-Position ein Symptom dafür, wie es dem Pferd gerade ehrlich geht. Für viele Pferde ist nicht die eigentliche Tätigkeit das, was sie stresst, sondern die Kopf-Hals-Haltung, in der sie das tun müssen. „Bei denselben Übungen, derselben Strecke, denselben Hindernissen in freier Kopf-Hals-Haltung lassen sich deutlich weniger Zeichen für Stress und Schmerzen zählen, als wenn gleichzeitig eine enge Kopf-Hals-Position abgefragt wird“, erklären unsere Expertinnen. Zudem führe die zu enge Haltung zu einer Dysfunktion der oberen Atemwege. Das bedeutet, die Pferde bekommen beim Gehen hinter der Senkrechten messbar zu wenig Luft. Und jeder kann sich vorstellen, dass auch wir ausreichend Luft zum Atmen brauchen – vor allem unter Belastung. Dass die Rollkur heutzutage als „Low, Deep and Round“ beschönigt wird, macht es nicht besser und ist aus der Perspektive des Pferdewohls abzulehnen. Das Reiten in einer sehr tiefen Kopf-Hals-Position mit extrem rundem Hals und einer Stirn-Nasen-Linie weit hinter der Senkrechten ist allerdings auf öffentlichen Veranstaltungen über einen begrenzten Zeitraum erlaubt.

Grundausbildung zur Losgelassenheit

Dr. Sue Dyson, verschiedene Verhaltensforscher sowie die klassische deutsche Reitlehre sind sich in einem Punkt sehr einig: Die Losgelassenheit ist unerlässlich. „Denn nur wenn ein gerittenes Pferd alle Zeichen von Losgelassenheit zeigt, kann davon ausgegangen werden, dass es angst- und schmerzfrei ist, keinen nennenswerten Stress hat, seine Aufgabe versteht und den Reiter im aktuellen Augenblick weitestgehend mühelos tragen kann, ohne dass es verschleißend wäre“, so Katharina Möller-Weingand und Claudia Weingand. Die Äußere Losgelassenheit kann nie ohne die innere Losgelassenheit, also einen entspannten, aufmerksamen mentalen Zustand erreicht werden. „Losgelassenheit ist der angenehme Zustand zwischen Entspannung, Konzentration und leichter sportlicher Anstrengung, in dem Flow-Erlebnisse möglich sind: Der Fokus auf das gemeinsame Tun steht über allem, Umweltreize werden unwichtiger, und das Pferd ist ganz in seine Tätigkeit versunken“, betonen unsere Expertinnen. Wer schon mal ein wirklich losgelassenes Pferd geritten ist, weiß, wie viel Freude diese Harmonie und das feine Reiten macht.

Nicht zu vergessen ist, dass der Losgelas- senheit immer die Zwanglosigkeit zugrunde liegt. „Das Pferd bewegt sich dann zwanglos unter dem Reiter, wenn es auch mit hinge- gebenem Zügel so ökonomisch relaxt läuft, als wäre es gerade gemütlich auf der Weide unterwegs. Es ist ehrlich reell entspannt“, erklären die beiden Ausbilderinnen. Nehmen Sie sich dazu Zeit, denn Zwanglosigkeit lässt sich nicht erzwingen. Vielmehr ist sie eine Frage des Vertrauens des Pferdes in den Reiter und umgekehrt. Ebenso wichtig ist, dass sich beide sicher fühlen und keinen Stress haben. „Ein zwangloses Pferd erfordert einen zwanglosen Reiter, der sich jederzeit auf seinen Sitz verlassen kann. Habe ich be- rechtigte Angst, dass ich herunterfalle, wenn das Pferd mal einen unkontrollierten Tritt macht, werde ich die Zügel ungern hingeben oder zumindest ein komisches Gefühl haben, was mein Pferd natürlich sofort registriert“, so unsere Expertinnen. Umgekehrt werden Sie spüren, wie gut sich losgelassene Bewegungen anfühlen und wie Sie gemeinsam mit Ihrem Pferd in ein Flow-Erlebnis kommen können und dabei die Zeit vergessen.

Da der gute Reitersitz eine wichtige Voraussetzung ist, kann für Reiter jeden Niveaus eine regelmäßige Sitzschulung sehr wertvoll sein. „Flow-Erleben braucht eine gewisse körperliche Aktivität in einem sportlichen Rhythmus, am besten mit Schwebephase. Ein losgelassener Trab oder Galopp sind am besten geeignet“, so Katharina Möller-Weingand und Claudia Weingand.

Text: Aline Müller      Foto: Maresa Mader/Müller Rüschlikon

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