Text: Inga Dora Schwarzer Foto: www.Slawik.com
Die gesamte Ausbildung baut auf der Losgelassenheit des Pferdes auf. Sie ist Voraussetzung für jede Trainingseinheit. Der Weg dorthin ist jedoch von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Nur mit Gefühl und Know-how gelingt es, das Pferd individuell zu fördern und dabei Körper und Psyche im Gleichgewicht zu halten
Richtig aufwärmen
Wichtig sei ein erkennbarer Unterschied zwischen den beiden Aspekten. Mancher Reiter würde Runde für Runde am hingegebenen Zügel im Schleichtempo reiten und daraus in die Arbeitsphase starten. Von diesem Weg rät sie ab, weil die Losgelassenheit als Zwischenziel fehle. „Dann hat man sein Pferd zwar aufgewärmt, aber es weder effektiv für das Tragen des Reitergewichtes trainiert noch für die weitere dressurmäßige Arbeit vorbereitet“, gibt die Trainerin zu bedenken. Ähnliches gilt für die Nichtbeachtung der Zwanglosigkeit. Steigt der Reiter in den Sattel und fordert sein Pferd sofort zu einer kraftvollen Dynamik weit unter den Schwerpunkt fußenden Hinterbeinen und starkem Vorwärts auf, verliert es seine Zwanglosigkeit. „Man kann nicht von Beginn an 100 Prozent verlangen. Das kann das Pferd gar nicht leisten, weil es noch nicht losgelassen ist. Tut es der Reiter dennoch, verhindert er die erwünschte Losgelassenheit sogar“, warnt sie.
Zwanglosigkeit sollte übrigens auch im Gelände an erster Stelle stehen. Läuft ein Pferd nicht von Anfang an am hingegebenen Zügel vom Stall aus los, rät die Ausbilderin, den Vierbeiner zunächst in einem gemächlichen Schritttempo zu führen und ihm zu erlauben, seinen Hals in die Tiefe zu dehnen. „Erst wenn es ganz entspannt und unspektakulär neben Ihnen herläuft, sitzen Sie auf. Um im Trab zur Losgelassenheit zu kommen, nehmen Sie die Zügel auf und wählen eine lange Strecke in einem ruhigen Tempo, eventuell sogar mit einem sicheren, vorauslaufenden Führpferd. Ihr vierbeiniger Partner kann ruhig ein wenig müde werden und soll mit dem Gefühl durchparieren: Ach, Schritt ist jetzt wirklich eine gute Idee“, erläutert die Trainerin. Damit schlagen Sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Pferd darf sich einerseits bewegen und fühlt sich nicht vom Reiter ausgebremst, andererseits ist die Anspannung bzw. der Fluchtmodus in der Regel nicht so hoch wie im Galopp.
Langsamer Start
Diese erste Phase vor dem eigentlichen Aufwärmen darf gerne zehn Minuten oder länger dauern. Der Grund ist schnell erklärt. „Ein Pferd ist eigentlich zu groß für sein eigenes Herz. Von Natur aus nutzt es daher seinen Hufmechanismus als Durchblutungshilfe. Wenn es läuft, dehnen sich die Hornkapseln beim Auffußen aus und ziehen sich danach wieder zusammen. Nur wenn dies rhythmisch funktioniert, sind die Muskeln des Pferdes gut mit Blut versorgt. Wenn ich es aus der Box hole und gleich energisch losreite, kann es sich nicht loslassen, weil die Durchblutung noch gar nicht vollständig funktioniert“, so Möller. Die Dauer der Schritteinheit ist daher abhängig von der Größe des Pferdes, der Funktionsfähigkeit seines Hufmechanismus und dem jeweiligen Haltungssystem.
Jetzt erst gelangt der Reiter zur eigentlichen Lösungsphase. Hier kommt es auf die Wahl und die Ausführung der Lektionen an. „Die Standardübung, Leichttraben auf der ganzen Bahn und auf dem Zirkel, ist nur dann effektiv, wenn der Reiter sie richtig reitet – also die Linien exakt trifft, geschmeidig sitzt und dem Pferd durch eine korrekte Hand- und Armhaltung eine konstante Anlehnung an beide Gebisshälften ermöglicht. Vielleicht nutzt er dabei noch kleine Tempi-Unterschiede und wechselt öfter den Rahmen des Pferdes. Dann sieht es von außen so aus, als würde der Reiter langweilig herumreiten, aber der Vierbeiner löst sich dabei sehr schnell. Jemand, der nicht so versiert im Sattel ist, löst das Pferd mit diesen Übungen aber vielleicht überhaupt nicht“, hebt die Expertin hervor. Weniger geübten Reitern rät sie zu einer ihrer Lieblingsübungen, den Trab-Galopp-Trab-Übergängen im leichten Sitz. Fortgeschrittene könnten ein kurzes, dezentes Konterschulterherein auf dem Mittelzirkel reiten, danach eine Innenstellung und -biegung folgen lassen und zum Schluss nach einem Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen fragen. „Darin sind fast alle lösenden Aspekte vereint, was die Übung so effektiv macht“, erläutert sie. Ihr genereller Tipp lautet: „Deuten Sie anstrengende Lektionen nur an, aber reiten Sie diese nicht voll aus. Ein bisschen Vorwärts, ein bisschen Zügel-aus-der-Hand-kauen-Lassen und dann wieder aufnehmen, ein bisschen ins Seitwärts – das alles spielerisch auf beiden Händen ist zu Beginn am sinnvollsten.“ Damit vermitteln Sie Ihrem Pferd, dass es sich nur leicht anstrengen muss und danach wieder entspannen darf. Weitere lösende Übungen finden Sie im Kasten unten.
Angepasste Lösungsphase
Wie viel Zeit die lösende Arbeit in Anspruch nimmt, wird maßgeblich vom Ausbildungsstand beeinflusst. Bei jungen Reitern oder jungen Pferden nimmt sie die gesamte Trainingseinheit ein. „Das ist überhaupt nicht schlimm. Es kann und darf dauern, lösende Übungen zu erlernen, damit sie später richtig gut funktionieren“, beruhigt uns die Trainerin. Sind sie zur Gewohnheit geworden, gelangen beide oft schon nach 15 Minuten oder früher ans Ziel. Je schneller die Losgelassenheit erreicht ist, desto länger kann die darauffolgende Arbeitsphase ausfallen. Verschiedene Wege führen hierbei zum Ziel. Der Reiter muss selbst herausfinden, welche Übungen sich für das jeweilige Pferd am besten eignen. Können Sie die Lösungsphase sehr kurz gestalten, passt sie gut zum Pferd.
Weitere Informationen finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.