Genug Schritt, anschließend Trab am langen Zügel, Nase in Richtung Buggelenk: Beim Thema Lösungsphase haben viele Reiter dieses Bild vor Augen. Wir haben mit Experten darüber gesprochen, wie man diese Trainingsphase individuell und so effektiver gestalten kann

Lucky wird von seiner Besitzerin Bea vor jeder Trainingseinheit erst mal ausgiebig Schritt geritten. Er ist erst fünf Jahre alt, kennt die reiterlichen Grundlagen, ist hier und da aber noch sehr umweltorientiert und mit einem hohen Muskeltonus ausgestattet. Nach dem Warmreiten im Schritt am halblangen Zügel gurtet Bea nach und trabt dann an, Leichttraben, wieder mit halblangem Zügel. Sie versucht, ihren Lucky in die Tiefe zu reiten, Richtung vorwärts-abwärts. Doch Lucky dehnt sich noch nicht an den Zügel heran, verharrt in einer hohen Kopf-Hals-Position. Das ist nicht besonders effektiv, um den Fünfjährigen innerlich und äußerlich zur Losgelassenheit zu bringen. Der Wallach braucht eine anders gestaltete Lösungsphase.

Am Anfang steht die Basis

Schon ganz am Anfang des Trainings legt man den Grundstein für alles Weitere. Per Definition ist die Lösungsphase da, um das Pferd zu lösen. Wichtig ist dabei aber nicht nur das Aufwärmen und Lockern von Muskeln, Gelenken, Sehnen und Bändern, sondern auch die innere Losgelassenheit. Die Pferdewirtschaftsmeisterin Susanne Miesner achtet daher ganz besonders darauf, dass das Pferd schon im jungen Alter lernt, mit hingegebenem Zügel Schritt geritten zu werden. „Deswegen mit hingegebenem Zügel, weil das Pferd nur dann die Oberhalslinie aus dem Widerrist heraus dehnen kann. Das Pferd ist dann in der Lage, die natürliche Nickbewegung durchzuführen. Diese Bewegung ist für die Oberlinie des Pferdes elementar wichtig, um sich zu dehnen. Dabei werden die beiden Rückenmuskeln abwechselnd gedehnt und kontrahiert. So erzeugen wir erst mal äußere Losgelassenheit, aber auch die innere Losgelassenheit fördern wir auf diese Weise“, erklärt Miesner. Und das nicht nur beim Pferd: „Auch der Reiter, der aus dem Büro kommt und tagsüber viel gesessen hat, erreicht mit dem Schrittreiten am hingegebenen Zügel schon unglaublich viel. Er kann sich in Ruhe ins Pferd hineinfühlen, sich von der Bewegung des Pferdes mitnehmen und die Hüfte mitschwingen lassen.“ Über die Dauer des Schrittreitens zu Beginn gibt es geteilte Meinungen. Die Richtlinien Reiten und Fahren sehen vor, mindestens zehn bis 15 Minuten im Schritt warmzureiten, ehe man sich höheren Gangarten widmet. Susanne Miesner sagt: „Die Dauer des Schrittreitens muss ganz individuell erfolgen, ausgerichtet nach dem vorherigen Trainingspensum – da muss man in das Pferd hineinhorchen, immer wieder aufs Neue, jeden Tag.“

Ist das Pferd nicht gewohnt, mit hingegebenem Zügel Schritt geritten zu werden, kann es unter Umständen unruhig werden und nicht wie gewünscht den Hals fallen lassen. Das ist einerseits Übungssache, andererseits aber auch vom Pferdetyp und der vorherigen Bewegung abhängig. „Ist das Pferd noch ein bisschen nervös oder heftig, würde ich immer dazu raten, vorher den Bewegungsdrang auszugleichen, z. B. longieren, Führanlage, laufen lassen. Was gar nicht geht, ist aufsitzen und direkt die Zügel aufnehmen. Gerade bei einem nervösen Pferd halte ich diese Phase mit dem hingegebenen Zügel für enorm wichtig, weil das Pferd sagt: Puh, ist ja alles gar nicht so schlimm.“ Würde man stattdessen direkt die Zügel aufnehmen und das Pferd so im Schritt warmreiten, steigert sich das Pferd in diesen Stresszustand von Tag zu Tag mehr hinein, weiß Susanne Miesner aus Erfahrung.

Nicht weniger bedeutsam ist diese Phase laut der Grand-Prix-Reiterin aber auch bei dem faulen bzw. triebigen Pferd. Auch hier löst sich die Muskulatur durch die Nickbewegung im fleißigen Vorwärtsschreiten. Statt dabei zu sehr ins Treiben zu kommen, sollte lieber ein deutlicher Impuls mit beiden Schenkeln gegeben werden. Der Reiter muss das Pferd jederzeit „vor sich haben“.

Text: Gloria Lucie Alter     Foto: www.Slawik.com 

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