Text: Aline Müller         Foto: www.Slawik.com (1), Kosmos (1)

Im Umgang oder bei der gemeinsamen Arbeit mit dem Pferd zeigen sich häufig deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Doch auch wenn viele Verhaltensmuster von Hormonen gesteuert werden, ist jeder Vierbeiner individuell zu betrachten.

Der Reiter bittet die Stute, befiehlt dem Wallach und konsultiert den Hengst“ – so lautet ein altes Sprichwort. Stuten gelten oft als zickig und Hengste als eher schwierig im Umgang – doch dabei handelt es sich lediglich um Pauschalurteile. Es gibt Hengste, die so gut wie kein Imponiergehabe zeigen und völlig problemlos gemeinsam mit Stuten in einer Reithalle geritten werden können. Dann wiederum gibt es die „Macho-Männer“: Hengste, die um das weibliche Geschlecht buhlen und sich kaum noch auf den Reiter konzentrieren, wenn sie von ihrem Sexualtrieb übermannt werden. Umgekehrt benehmen sich auch manche Wallache trotz Kastration hengstig, oder sie sind weitaus sensibler als so manche Stute in der Rosse. Dennoch: Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist gar nicht so klein. Dabei wird das Verhalten eines Pferdes keineswegs nur von seinen Hormonen, sondern auch von den jeweiligen Haltungsbedingungen sowie dem Umgang beeinflusst.

Fürsorglich und ernsthaft

In sämtlichen Pferdesportdisziplinen erbringen Stuten Höchstleistungen und stellen so manchen männlichen Kontrahenten in den Schatten. Sie haben oft einen enormen Willen, gepaart mit einem besonderen Durchsetzungsvermögen. Kein Wunder, denn in der freien Wildbahn übernehmen Leitstuten häufig die Führungsrolle. Ranghohe Stuten können dazu neigen, auch im Umgang die Führung an sich zu reißen, und brauchen einen entschlossenen, liebevoll konsequenten, fairen Reiter. Wer eine Stute zu etwas zwingen will, zieht meist den Kürzeren. Besonders bei sensiblen Vertreterinnen ist viel Einfühlungsvermögen und Verständnis gefragt. Eine Stute mit starkem Charakter und eigenem Kopf lässt sich bei der Arbeit gerne mal bitten, wenn eine bestimmte Aufgabe für sie keinen Sinn ergibt. Auch das soziale Verhalten unter Geschlechtsgenossinnen ist vielfach deutlich ausgeprägter als bei Hengsten und Wallachen: Stuten tragen Streitigkeiten anders aus. Meist stehen sie quiekend Kruppe an Kruppe, drücken sich gegenseitig weg oder keilen aus. In der Regel können bei gleichem Raumangebot wesentlich mehr Wallache als Stuten in einer Gruppe gehalten werden, da weibliche Pferde mehr Freiräume für sich beanspruchen. Auffällig ist zudem, dass sie weniger miteinander spielen. Wallache und Hengste integrieren sich zum Beispiel deutlich intensiver in Laufspiele. Es lassen sich regelrechte Wettrennen beobachten, die immer mal wieder von kleinen Kampfspielen unterbrochen werden. Dennoch schließen einzelne Stuten immer wieder feste Freundschaften mit Wallachen.

Stuten während der Rosse

Zyklusbedingt zeigen sich bei manchen Stuten deutliche Schwankungen, wobei sich der hormonelle Einfluss anders auf das Verhalten auswirkt als bei männlichen Pferden: Während der Rosse können sie unter Umständen sehr empfindlich (vor allem am Schenkel), launisch, schnell abgelenkt und weniger rittig sein. Manche Ladys halten dann aktiv Ausschau nach einem potenziellen Partner und wirken dadurch schnell abgelenkt oder unkonzentriert, wobei sich der hormonelle Einfluss nicht bei jeder Stute bemerkbar macht. „Ich hatte sowohl Stuten, bei denen man nichts gemerkt hat, als auch andere, die deutlich empfindlicher waren“, sagt die erfahrene Ausbilderin Silke Hembes. „Meine Stute Esperanza ist ein sehr kerniges, energetisches Pferd und sehr reizbar. In der Rosse ist sie das sanftmütigste, freundlichste Pferd der Welt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sehr stutige, kernigen Vertreterinnen in dieser besonderen Zeit oft sanftmütiger und die freundlichen, ausgeglicheneren eher mal ein bisschen anders als sonst sind.“ Eine Stute hat Silke Hembes in der Rosse gar nicht geritten, da sie sehr gestresst auf Impulse am Schenkel reagierte. „Ich hätte sie sehr energisch reiten müssen, was ich nicht wollte, denn ansonsten war sie ein sehr feines Pferd. Also habe ich sie in den ersten Tagen der Rosse einfach anders beschäftigt“, betont die Expertin. Nathalie Penquitt hat mit ihren Stuten durchweg die Erfahrung gemacht, dass sich die Rosse kaum bemerkbar machte, obwohl sie mit Wallachen in einer gemischten Herde standen. „Die Sensibilität hängt meiner Meinung nach nicht nur mit dem Geschlecht zusammen, sondern auch mit der Art des Umgangs mit dem Pferd. Eine gewisse Rassedisposition gibt es sicher auch“, sagt die Ausbilderin.

Starke Kerle mit sozialen Kompetenzen

So mancher Hengst ist sozusagen ständig auf Droge: Die männlichen Geschlechtshormone wie Testosteron steuern den Sexualtrieb und sorgen für ein dominantes, zum Teil auch aggressives Verhalten, wobei eine gewisse Aggression völlig natürlich und artgerecht ist. Die Hormone wirken anabol und fördern den Aufbau von Muskelmasse. Optisch fallen Hengste dadurch häufig durch eine ausgeprägte Halsung auf. Auch durch ihr Verhalten lassen sie erkennen, dass sie starke Kerle sind. Wobei hier nicht die zu unrecht als typische Hengstmanieren angesehenen Verhaltensauffälligkeiten gemeint sind, denn diese sind vor allem Ausdruck einer falschen Haltung beziehungsweise eines unsachgemäßen Umgangs. Hengste sind gleichzeitig auch Beschützer der Stuten, Bewacher der Fohlen und Aufpasser für ihre Artgenossen. Sie sind also nicht einfach nur Chef, sondern sehr sozial engagierte Pferde. Allerdings konkurrieren sie auch mit anderen „echten Männern“ der Pferdewelt um die Gunst der Stuten. Dann zeigen sie Imponiergehabe und Kampfverhalten. Sowohl im Kampf als auch bei Kampfspielen sind die Abläufe sehr ritualisiert: Dazu gehören gegenseitiges Ansteigen, Niederknien, Umkreisen und Bisse in die Hinterhand. Gleichzeitig sind Hengste ohne die Anwesenheit der holden Ladys anderen Wallachen und Hengsten gegenüber meist sehr duldsam. In Deckherden spielen sie sogar oft sehr vorsichtig und hingebungsvoll mit jungen Fohlen.

… den kompletten Artikel finden Sie in der Mein Pferd-Ausgabe 10/19.

 

BUCHTIPP

Silke Hembes erklärt in ihrem Buch „Der Weg zum guten Reiten“ korrektes, pferdefreundliches Reiten detailliert und aus kleinen Bausteinen zusammengesetzt. Ihr Ziel ist es, dass Reiter die innere Logik der Reiterhilfen verstehen. Dann gelingt es, ein Pferd so zu führen, dass es gerne bereit ist, zu tun, was der Reiter möchte. In kurzen Exkursen geht sie auch auf Faktoren wie das Exterieur des Pferdes ein und stellt einzelne Übungen vor.

Kosmos; 248 Seiten; 30,00 Euro; EAN: 9783440148808

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