Pferde spiegeln die innere und äußere Losgelassenheit des Reiters. Unsere mentalen oder körperlichen Blockaden wirken sich auch auf den Vierbeiner aus – und umgekehrt. Eine Therapie sollte im besten Fall immer ganzheitlich erfolgen
Manchmal ist es der kurze Blick über den Tellerrand, der zur Lösung eines Problem beiträgt, wie bei Nadine Burger und ihrem Wallach Primo. Kurz vor der Turniersaison 2018 zeigte der siebenjährige Hannoveraner plötzlich Abwehrreaktionen beim Satteln und Taktfehler im Trab. „An manchen Tagen ging er sogar richtig lahm“, erinnert sich seine Besitzerin und fügt hinzu: „Meine Osteopathin und Physiotherapeutin für Pferde erkannte, dass er unter Verspannungen im Rücken- und Halsbereich litt, doch kurz nach den Behandlungen traten die Symptome erneut auf.“ Die Expertin riet Nadine dazu, sich ebenfalls an einen Osteopathen zu wenden. Die junge Reiterin hatte ein halbes Jahr zuvor eine Ausbildung als Bürokauffrau begonnen und klagte aufgrund der Computerarbeit schon länger über Schmerzen im unteren Rücken und der Halswirbelsäule. „Mir waren die Zusammenhänge zwischen meinen und Primos Beschwerden anfangs gar nicht klar“, sagt Nadine. „Doch bereits nach der ersten Behandlung hatte ich ein viel besseres Gefühl beim Reiten.“
Verminderte Beweglichkeit
Rückenschmerzen sind zu einer echten Volkskrankheit geworden. Gründe dafür sind unter anderem mangelnde Bewegung oder langes Sitzen am Computer. Nach einem anstrengenden Arbeitstag geht es dann in den Stall, und während viele Reiter Wert darauf legen, ihr Pferd ausreichend aufzuwärmen, wird der eigene Körper außer Acht gelassen. Wenn Rittigkeitsprobleme auftreten, wird die Ursache beim Vierbeiner gesucht. Doch Pferd und Reiter bilden eine funktionelle Einheit. Zusätzlich wirken sich auch Stress oder andere psychische Belastungen auf den Bewegungsapparat aus. Blockaden sind keine Seltenheit. Der Begriff Blockade ist eigentlich kein medizinischer Begriff, sondern er beschreibt, was im Gewebe passiert. Der Osteopath versteht darunter eine Funktionsstörung, die unter anderem mit verminderter Beweglichkeit einhergeht. Die Spanne reicht dabei von geringen Mobilitätseinschränkungen bis hin zu echten Gelenkblockaden. Ursache können zum einen eine Überdehnung der bindegewebigen und muskulären Strukturen oder zum anderen immer dieselben stereotypen Bewegungen beziehungsweise Fehlhaltungen sein. Insbesondere bei akuten Verletzungen wird durch Blockaden sozusagen eine muskuläre Schutzspannung hervorgerufen, durch die der Körper eine Ruhigstellung des betroffenen Körperteils erreicht. Diese Reaktion wird problematisch, wenn die Bewegungseinschränkung erhalten bleibt, obwohl der ursprünglich auslösende Faktor nicht mehr vorhanden ist.
Den Kreislauf durchbrechen
Wenn der Reiter ständig den Kopf schief hält, dann wird das Pferd die Bewegung ausgleichen und womöglich auch den Kopf schief halten, was mit der Zeit zu einer Blockade führt. Leidet das Pferd unter Verspannungen im Rücken und kann es sich nicht mehr gut nach links biegen, dann wird der Reiter versuchen, dies auszugleichen, indem er vermehrt nach links sitzt. Sein Rücken erfährt eine Dysbalance, und eine Blockade entsteht. Das sind nur zwei Beispiele. Denken Sie noch einmal an den Wallach Primo: Das Problem besserte sich nach der Behandlung zwar kurzfristig, allerdings dauerte es nicht lange, bis sich der Bewegungsablauf wieder veränderte, da seine Besitzerin weiterhin blockiert war. Dieser Kreislauf kann nur nachhaltig durchbrochen werden, wenn Reiter und Pferd gezielt behandelt und gestärkt werden. Ansonsten wird sich keine Harmonie einstellen. Bei Nadine hat ein Physiotherapeut Fehlhaltungen aufgedeckt, Blockaden gelöst und ihr einen Trainingsplan erstellt. „Durch das neue Körpergefühl haben sich auch meine Wahrnehmung und meine Koordination im Sattel verändert“, sagt die Reiterin, die noch heute einmal im Monat zur Therapie geht und außerdem neben dem Reiten Ausgleichssport betreibt, um die Muskulatur zu stärken und gleichzeitig geschmeidig zu halten.
Übungen am Boden und im Sattel
Eine länger andauernde, einseitige Belastung bestimmter Körperpartien des Reiters mit unbewussten Kompensations- oder Ausweichmechanismen führt auch zu einer veränderten beziehungsweise unklaren Hilfengebung. Jede Veränderung des Gleichgewichts durch Blockaden, Fehlbelastungen oder Schonhaltungen hat auch einen direkten Einfluss auf das Gleichgewicht und den Bewegungsapparat des Pferdes. Auf Dauer entsteht eine muskuläre Dysbalance. Unter anderem können Probleme in der Biegung, Taktfehler oder Anlehungsprobleme auftreten. Eine gute Körperwahrnehmung ist eine wichtige Voraussetzung für gutes Reiten. Nur so ist der Reiter in der Lage, Bewegungsabläufe zu erspüren und die Koordination zu verbessern. „Mein Physiotherapeut hat mir gezeigt, wie ich meinen Rücken zunächst durch klassische Mobilisations- und Stabilisationsübungen am Boden vorbereiten kann und mit meinem Trainer habe ich dann im Sattel weitergearbeitet“, erinnert sich Nadine. Nach und nach hat sie so ein neues Sitz- und Körpergefühl gewonnen. Primo wird momentan noch alle ein bis zwei Monate osteopathisch behandelt. Die Taktfehler sind verschwunden, ebenso zeigt der Wallach keine Abwehrreaktionen mehr beim Satteln. Doch ganz ohne Veränderungen im Alltag war das nicht möglich: „Im Büro stelle ich mir den Wecker und stehe jede Stunde auf, um ein paar kurze Gymnastikübungen zu machen“, sagt Nadine. „Mittags gehe ich meistens spazieren, und ich habe Yoga für mich entdeckt. Das hilft nicht nur meinem Rücken, sondern auch meinem Kopf.“
Text: Aline Müller Foto: www.Slawik.com