Ein ernster Reiter kann in sich nie locker oder gelöst sein. Ebenso wenig lässt sich ein gefühlvoller Sitz erzwingen. Was Sie beim Bewegungslernen unterstützen kann und welche Hindernisse Sie vermeiden sollten, erklärt Eckart Meyners.
Insgesamt wird zu ernst geritten, und der Unterricht ist zu starr aufgebaut“, kritisiert der Bewegungstrainer Eckart Meyners. „Der Reitunterricht sollte so gestaltet werden, dass es trotz aller Ernsthaftigkeit des Lernens auch vergnügt und emotional angenehm zugeht. Auf dieser Grundlage ist gutes Gelingen möglich.“ Viele Reiter konzentrieren sich so sehr und reiten nahezu verbissen, dass sie nicht mehr gefühlvoll sitzen können. Beobachten Sie sich ein- mal selbst: Bei starker Konzentration schau- en Sie regelrecht starr vor sich hin. Nach Feldenkrais leiten die Augen die Bewegungen des menschlichen Körpers. In diesem beschriebenen Fall fixieren sie jedoch den Kopf, und dieser fixiert wiederum das Becken, sodass der Reiter nicht mehr mit dem Pferd mitschwingen kann. „Außerdem wird die lin- ke Gehirnhälfte, welche die Dinge nur analytisch und nicht gefühlsmäßig angeht, zu stark eingesetzt. Somit findet keine optimale Koordination im Körper statt“, erklärt der Bewegungsexperte.
Fühlen statt denken
Gefühlvolles Reiten kann nicht durch Nach- denken erreicht werden. Die ständige Selbstreflexion beziehungsweise das Denken darf also nicht dauerhaft vorherrschen. „Insgesamt muss das Fühlen im Zentrum des Unterrichts stehen“, betont Eckart Meyners. Dabei trägt auch der Reitlehrer mit seiner Art dazu bei, dass der gute Sitz und das Reiten gelingen oder misslingen. So können beispielsweise ein autoritärer Ton oder ständige Anweisungen ein positives Unterrichtsklima verhindern. „Die äußeren Störfaktoren las- sen keine innere, emotionale Lockerheit zu, womit auch eine äußere Lockerheit des Reiters unmöglich ist“, so der Experte. Hinzu kommt, dass immer wieder Missverständnisse bei Korrekturen entstehen, vor allem, wenn es um den aufrechten Sitz geht.
Kommt Ihnen folgende Situation bekannt vor? Sie haben das Gefühl, aufrecht zu sitzen, aber Ihr Reitlehrer korrigiert immer wieder die Position Ihres Oberkörpers? Ihrem Empfinden nach sitzen Sie bereits hinter der Bewegung, in Wahrheit ist Ihr Oberkörper aber immer noch leicht nach vorn geneigt. Wenn Ihr Trainer nun nicht auf Ihr Befinden ein- geht beziehungsweise die Kommunikation nicht stimmt, werden Sie auch nicht aufrecht sitzen. „Hintergrund dieser Situation ist, dass die Rückenmuskulatur nicht dem Bewusst- sein unterstellt ist – anders als Hände und Beine, die stark vom Bewusstsein gesteuert sind“, erläutert Eckart Meyners und fügt hinzu: „Der aufrechte Sitz ist nur einzunehmen, wenn der Reiter optimal auf den Sitzbein
Schambein-Ästen sitzt.“ Denn nur in dieser Position werden die Akupunkturpunkte an den Sitzbeinhöckern, die für die natürliche Tonisierung (Spannung–Entspannung) der Rückenmuskulatur zuständig sind, ständig angeregt. Aus diesem Grund wirkt sich auch ein schlecht oder falsch liegender Sattel ne- gativ auf den Sitz des Reiters aus.
Positiv denken, Stärken kennen
Oft ist es gar nicht so einfach, den inneren Kritiker auszuschalten. Auch beim Reiten hu- schen uns zahlreiche Gedanken durch den Kopf, und wir bewerten immer wieder unser Verhalten. Doch das Nachdenken über negative Erlebnisse greift störend in unseren Körper ein. Wenn Sie beispielsweise über Fehler nach- denken, die Ihnen gerade unterlaufen sind, oder Sie sich ärgern, dann wirkt sich das auch auf Ihren Sitz, Ihre Losgelassenheit und Ihre Einwirkung aus. Deshalb sollte Ihr Ziel sein, aus positiven Gedanken Energie zu schöpfen. „Angenehme Gedanken und Gefühle wirken sich positiv auf die Losgelassenheit des Reitersitzes aus“, sagt Eckart Meyners. „Und nur ein losgelassener Reiter ist im Gleichgewicht mit dem Pferd. Ausschließlich aus diesem Zu- stand heraus kann sich gefühlvolles Reiten entwickeln.“ Durch Lächeln können Sie sich positiv unterstützen. Dabei werden unter an- derem Muskelschlingen vom Gesicht über den Hals-Nacken-Bereich bis zum Becken aktiviert. Beißen Sie sich nicht an vermeintlichen Schwächen fest, sondern denken Sie daran, Ihre Stärken zu betonen. So kann eine positive innere Stimmung erzeugt werden. „Tre- ten Probleme auf, muss sofort wieder der Weg zum Erfolg über die Stärken gesucht werden“, betont der Bewegungstrainer. Beim Pferd sei es dasselbe: „Wenn die rechte Seite des Pferdes die stärkere ist, müssen Lektionen auf dieser Hand begonnen werden. Danach wird die an- dere Seite getestet, die von der stärkeren Seite lernen kann, weil sich im Gehirn beide Seiten beeinflussen.“ Über ständige kurze Reprisen rechts beziehungsweise links verbessere sich im Lauf der Zeit die schwächere Hand.
Sich selbst wahrnehmen
„Grundlage für ein gefühlvolles Sich-Bewegen ist die Fähigkeit, seinen eigenen Kör- per wahrzunehmen“, sagt Eckart Meyners. Der Reiter muss also Spannungs- und Entspannungszustände ebenso spüren wie die räumlichen Möglichkeiten seines Körpers. Diese Aspekte werden unter dem Begriff Körperbewusstsein zusammengefasst. Sie können Ihre eigenen Bewegungen und die Ihres Pferdes nur kontrollieren, wenn Sie auch die Unterschiede zwischen den eigenen Bewegungsabläufen und denen des Pferdes spüren. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass An- und Entspannung nicht nur durch äußere Faktoren beeinflusst werden, sondern auch die psychische Verfassung eine Rolle spielt. Wer den Stress aus dem Alltag mit in den Stall und aufs Pferd nimmt, wird auch nicht locker sitzen können.
Achtsamkeit ist ein wichtiges Stichwort. Lernen Sie, Ihren Körper, aber auch Ihre Innenwelt zu beobachten. So manches Problem, das im Training auftaucht, kann auf mentale Anspannung zurückgeführt werden. In Bezug auf den Stressausgleich und das gefühlvolle Reiten macht Eckart Meyners auch auf die Bedeutung der Zunge aufmerksam: „Wenn die Zungenspitze ungefähr einen halben Zentimeter hinter den oberen Schneide- zähnen an den Gaumen gedrückt wird, bleibt die Körperenergie intakt. Die Energien sind zentriert“, so der Experte. In kritischen Lebenssituationen und beim Reiten sollte des- halb stets auf die Funktion der Zunge geachtet werden. Sie sorge für die Unterstützung des Gleichgewichts und könne als Grundlage für einen gefühlvollen Sitz des Reiters mit einbezogen werden. Machen Sie den Test: Stellen Sie sich auf ein Bein und bitten Sie jemanden, vorsichtig an Ihrem Arm zu ziehen. Das Gleichgewicht geht schnell verloren. Wenn Sie denselben Test mit am Gaumen anliegender Zunge durchführen, muss Ihr Gegenüber deutlich mehr Kraft aufwenden, um Sie ins Wanken zu bringen.
Text: Inga Dora Schwarzer, Bild: slawik.com