Mehr Power, weniger Verschleiß, bessere Performance: Nur wenn die Hinterhand ihre volle Kraft entfaltet, kann das Pferd die vom Reiter erwünschte Leistung erbringen. Was aber tun, wenn sie inaktiv ist und es an Schub- und Tragkraft mangelt? Antworten gibt Pferdewirtschaftsmeisterin Gesa von Hatten.

 

Eben noch waren Sie mit Ihrem Pferd in einem schönen Vorwärts unterwegs – und dann ist zu Beginn der Volte der Schwung dahin. Ihr Pferd wird triebig. Die Hinterhufe pflügen jetzt den Boden, anstatt aktiv abzufußen. Die „Motorleuchte“ blinkt. Der Antriebsmotor, der in der Hinterhand sitzt, bringt nur noch eine eingeschränkte Leistung. Nur mit Mühe schaffen Sie es aus der Volte wieder heraus.

Kennen Sie das? Dann ist es an der Zeit, Ausbildung, Haltung, Fütterung und Gesundheit auf den Prüfstand zu stellen. Denn einen schlurfenden Gang hat ein Pferd nicht von Natur aus. Aber beginnen wir von vorn.

Hinterbeine als Sprungfeder

„Als Hinterhand bezeichnet man zunächst allgemein das hintere Drittel des Pferdes: das Becken mit Kreuzdarmbein, den Schweif und die Hinterbeine. Der Beckenring dient als Halterung für die Hinterbeine und ­deren Knochen, Muskulatur und Gelenke und ermöglicht eine dreidimensionale Bewegung“, erklärt Gesa von Hatten, Pferdewirtschaftsmeisterin, ­OsteoConcept Coach und Huforthopädin aus dem nordrhein-westfälischen Mechernich. Die Hinterbeine wiederum sind in Aufbau und Funktionalität mit einer Sprungfeder vergleichbar. „Sie können sich in den Gelenken sowohl beugen als auch vorgreifen.“ Dank ihnen kann eine aufgebaute Spannung nach oben oder vorne herausgefedert werden.

Wichtig für eine aktive Hinterhand ist v.a. der lumbosacrale Übergang. Das ist der Bereich zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein, in dem die Kraftübertragung des Impulses aus der Hinterhand in den Rücken übergeht, erklärt die Expertin.

Angetrieben wird die Hinterhand von großen, kräftigen Muskeln. Die inneren Lendenmuskeln, die äußeren Hüft- und Kruppenmuskeln, die langen Sitzbeinmuskeln und die Kniegelenkstrecker agieren zusammen, um die Gelenke des hinteren Drittels zu bewegen.

Im Vergleich zur Vorhand des Pferdes hat die Hinterhand übrigens sehr viel mehr Kraft, da ihre Gliedmaßen fest mit dem ­Skelett verbunden sind. Die Vorhand besteht hingegen nur aus Weichteilen, die zwischen den Vorderbeinen und den Schulterblättern baumeln. Es sind lediglich Verbindungen aus Muskeln und Bändern vorhanden. Daher hat sie im Gegensatz zur Hinterhand, die aktiv agiert, eher eine passive Funktion.

„Betrachtet man das Exterieur, steht das Pferd in einer Art Brückenkonstruktion, wobei Vorhand und Hinterhand als Stützen dienen, an denen Hals, Kopf, Rücken und Rumpf hängen. In der Vorwärts­

bewegung schiebt die aktive Hinterhand den Körper nach vorne, die Vorhand stützt die Bewegung ab und „rollt“ vorwärts. Dies ­geschieht mit Hilfe des Halspendels (Nickbewegung)“, erläutert die Ausbilderin.

Schub für mehr Vorwärts

Diese schiebende Kraft diente dem Fluchttier Pferd dazu, in der Steppe blitzschnell vor einem Feind davonlaufen zu können. Daher gilt: Je schneller die Gangart, desto mehr Schub kommt von hinten. „Die Hinterhand greift weit nach vorne durch und winkelt dann wieder weit nach hinten heraus. So entstehen große Schritte, Tritte und Sprünge. Der gesamte Körper wird nach vorne geschoben. Die großen Tritte und Sprünge vergrößern wiederum die Schwebephase und bringen den Rücken zum Schwingen“, so von Hatten. Das ist unter dem Sattel besonders gut in den Trab- und Galopp-Verstärkungen zu sehen.

Neben der Schubkraft waltet die Tragkraft in der Hinterhand, die ebenfalls aus einer natürlichen Veranlagung resultiert. Wenn ein Hengst beispielsweise beim Kampf um die Rangordnung steigt, einen Stopp auf der Hinterhand hinlegt oder Imponiergehabe zeigt, lastet für kurze Zeit sein gesamtes Gewicht auf den Hinterbeinen.

„Dabei komprimiert sich die Hinterhand, die Winkelung der großen Gelenke verkleinert sich (Hankenbeugung), das Becken wird abgesenkt und der Rücken wölbt sich mehr auf. Dadurch fußen die Hintergliedmaßen stärker unter den Körperschwerpunkt. Jetzt trägt die Hinterhand vermehrt Last und „hebt“ zusammen mit den Rumpfhebern die Vorhand und den Rumpf an. Durch das Absenken der Hinterhand und das Anheben des Rückens wird der Körper nun mehr angehoben als angeschoben. Die Schritte, Tritte und Sprünge werden kleiner und dynamischer. Es kommt zu einer Bergauf-Tendenz“, erklärt die Ausbilderin. Tragkraft entsteht v.a. in der Versammlung der Gangarten, in den Seitengängen, beim Absprung und Rückwärtsrichten.

Aktivierung der Hinterhand

Obwohl das Pferd von Natur aus eine starke Hinterhand mitbringt, müssen Schub- und Tragkraft für die Anforderungen des Reitens erhöht werden. Unter dem Sattel ist nämlich deutlich mehr Muskelkondition erforderlich, die durch das Tragen des Reitergewicht noch verschärft wird. Spricht man von einer Aktivierung der Hinterhand bedeutet dies also, die Schub- und Tragkraft des vierbeinigen Sportpartners weiter zu entwickeln. Und das gelingt mithilfe von bestimmten Übungen (siehe Kasten oben).

Wichtig zu wissen: An allen Lektionen sind immer beide Kräfte beteiligt, jedoch kann der Reiter ihr Verhältnis zueinander beeinflussen. Im Mitteltrab wird z.B. mehr Schub- als Tragkraft verlangt, in der Galoppvolte mehr Trag- als Schubkraft. Im Training gibt es zwei Grundsätze für die Schulung der Hinterhand zu beachten: Die Schubkraft sollte vor der Tragkraft erhöht und versammelnde Elemente sollten mit schwungvollen im Wechsel geritten werden.

Die Gründe dafür erklärt die Expertin wie folgt: „In der natürlichen Vorwärtsbewegung schiebt das Pferd mehr, als dass es trägt. Dieser Bewegungsablauf ist grundsätzlich und ohne Reiter ökonomischer und wenig verschleißend. Ein Reitpferd sollte aber den Rücken aufwölben, um das zusätzliche Gewicht des Reiters in der Bewegung tragen zu können. Dazu benötigt es einen kräftigen Bewegungsimpuls aus der Hinterhand, der über den möglichst schwingenden Rücken und der Anlehnung in Selbsthaltung erhalten werden muss. Dieser Bewegungsimpuls ist zu Beginn der Ausbildung mehr ein Schub- als ein

Tragimpuls.“ Um dem Pferd die Ausbildung zu erleichtern, wird daher zunächst der Schwerpunkt auf die Erhöhung der Schubkraft gelegt.

Der reine Schubimpuls würde jedoch auf Dauer zu Lasten der Vorhand gehen, die diese Kräfte (ab)stützen muss. Deswegen müsse durch die Entwicklung der Tragkraft die Vorhand entlastet werden. Eine biodynamisch korrekte Tragkraft könne aber nicht losgelöst von der Schubkraft entstehen. Der Grund? „Der Schub vergrößert die Schwebephase, wodurch ein größerer Bewegungsablauf entsteht. Diesen benötigt der Rücken zum Schwingen. Werden die Tritte und Sprünge durch die Erhöhung der Tragkraft in der Versammlung kürzer und dynamischer, wird der Rücken noch mehr aufgedehnt und bewegt sich in kürzeren Schwingungsweiten. Das erfordert viel Kraftaufwand und muss langsam antrainiert werden. Sinnvoll ist es daher, im Training zwischen Schub- und Tragkraft abzuwechseln“, sagt von Hatten.

Fehlerhafte Ausbildung

Problematisch wird es, wenn aus falschem Ehrgeiz oder einer falsch verstanden Art der Ausbildung die Entwicklung von Schub- und Tragkraft missverstanden wird. „Grundsätzlich stimme ich dem Grundsatz Schwung vor Versammlung zu. Leider sehe ich aber häufig eine für das (junge Dressur-)Pferd fatale Entwicklung. Je schneller ein bewegungsstarkes Pferd läuft, desto spektakulärer sieht es aus.

Gesund ist das nicht. Die für die Schubkraft benötigte Muskulatur entwickelt sich schnell. Die Sehnen und Bänder aber, die diesen Schub aushalten müssen, brauchen länger in ihrer Entwicklung“, kritisiert die Pferdewirtschaftsmeisterin.

Deswegen plädiert sie für ein moderates Vorwärtsreiten v. a. bei jungen und Reha-Pferden. Hier bietet sich zur Aktivierung der Hinterhand ein längeres, moderates Ausdauer-Trabtraining auf großen gebogenen Linien an, sodass sich Muskeln, Sehnen und Bänder an die Belastung anpassen können und es nicht zu Überlastung und frühem Verschleiß kommt.

Eine zu hohe Geschwindigkeit führt außer­dem dazu, dass der Rücken nicht mehr schwingt. Dafür braucht er Zeit. „Bei eiligen Tritten jedoch wird er festgehalten. Ohne schwingenden Rücken kann das Pferd sich aber nicht selbst tragen, nicht ausbalancieren und fällt auf die Vorhand. Das hohe Tempo verursacht zudem ein weites ­Herauswinkeln der Hinterbeine, so dass das Becken vermehrt nach vorne gekippt wird. Ein Hohlkreuz entsteht. Der Rücken wird eher weggedrückt statt aufgewölbt“, warnt die Ausbilderin.

Genauso fatal wirkt sich ein zu starker Fokus auf die Tragkraft aus. „Wird das Pferd zu langsam, mit wenig aktiver Hinterhand, geritten, kann sich kein Schwung entwickeln, der den Rücken aufwölbt. Häufig fehlt hier dem Reiter das Gefühl für die richtige Geschwindigkeit bzw. Aktivität“, merkt von Hatten an. Das Pferd wird „rückwärts“ geritten, sodass keine reelle Versammlung stattfinden kann. Das Bild einer inaktiven Hinterhand zeigt sich dann oft wie folgt: gestörte Fußfolge, hohe Kruppe, kurz und eng im Hals, vorne strampeln die Vorderbeine, und hinten ziehen die Hinterbeine nicht nach.

Falscher Bewegungsablauf

„Ist die Hinterhand inaktiv, zieht das Pferd seinen Körper mit der Vorhand nach vorne. Dieser biodynamisch nicht korrekte Bewegungsablauf kann zu einer Überlastung der vorderen Gliedmaßen führen“, gibt die ­Ausbilderin zu bedenken. Mehr noch: Es kann zu unnötigen, körperlichen Belas­tungen mit vielschichtigen Folgen kommen: ­beispielsweise Taktstörungen, Triebigkeit, Anlehnungs­probleme, Verspannungen, ­Blo- ckaden, Verschleiß des Bewegungsapparates (u. a. Sehnenschäden, Überbeine) und Kompensationsmuskulatur (Muskeln an den ­falschen Körperstellen).

Nicht selten treten aufgrund des hohen Verspannungsgrads auch Stoffwechselstörungen auf. Verspannte Muskeln sind immer auch verkürzte Muskeln, in denen

die Durchblutung und der Nährstofftransport verringert sind. So kann der Stoffwechsel nicht mehr seine volle Leistung erbringen, um das Tier gesund zu erhalten. Eine inaktive Hinterhand hat also immer Auswirkungen auf das Gesamtsystem Pferd. „Sie kann deshalb niemals isoliert gesehen werden“, sagt die Expertin.

Die Ursachen für den falschen Bewegungsablauf sind vielfältig und äußerst individuell. „Hat das Pferd Probleme mit der Hinterhand, sollte immer genauestens nach den Gründen geforscht und das Pferd entsprechend betreut werden. Oft sind Gründe nicht nur beim Reiten zu suchen, sondern in der Haltung, Fütterung, Gesundheit und im Management des Tieres“, so die Pferdewirtschaftsmeisterin.

Steht der Vierbeiner in einer für ihn unpassenden Haltungsform? Hat er, bedingt durch eine falsche Fütterung, Magenprobleme? Sind die Hufe schlecht bearbeitet? Liegt vielleicht eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung der Muskulatur (z. B. PSSM) zugrunde? All das beeinträchtigt die muskuläre Leistung der Hinterhand, sagt sie.

Pferd als Ganzes betrachten

Wie schwierig es sein kann, die Ursache für eine mangelnde Hinterhandaktivität zu finden, veranschaulicht von Hatten an einem Beispiel: „Wenn das Pferd Schmerzen in der Vorhand hat, wird es seine Hinterhand nicht so benutzen, wie es dies eigentlich könnte. Da ihm der Schub aus der Hinterhand vorne wehtut, wird es die Kraft von sich aus reduzieren. Bewegungsabläufe beim Pferd müssen daher immer als Ganzes betrachtet werden.“

Die Expertin rät daher, mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen zusammenzuarbeiten. Das würde vor Betriebsblindheit schützen. Darin lag auch ihre Motivation, zusätzliche Ausbildungen in Huforthopädie und Pferdefütterung zu absolvieren. „Letztlich ist jedes Pferd ein Individuum und sollte auch so behandelt werden. Dafür braucht es viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl“, sagt sie abschließend.

 

Bild: slawik.com, Text: Inga Dora Schwarzer

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